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Gesundheitsökonomie – aktueller denn je

Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie

HAMBURG (tmb) | Den Mittelpunkt der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie (dggö) am 5. und 6. März in Hamburg bildete das Jubiläumsplenum zum zehnjährigen Bestehen der Fachgesellschaft. Die Fachvorträge boten wieder einen breiten Überblick über die gesundheitsökonomische Forschung in Deutschland, vielfach auch zu Themen rund um Arzneimittel.
Foto: DAZ/tmb
Prof. Dr. J.-Matthias Graf von der Schulenburg (li.) trägt die Gérard-Gäfgen-Medaille, mit der ihn der scheidende dggö-Vorsitzende Prof. Dr. Stefan Felder (re.) auf der Jahrestagung ausgezeichnet hat.

Die Jahrestagung stand unter dem Motto „Ökonomie und Medizin im ­Dialog“ und wurde von Prof. Dr. Hans-Helmut König, Hamburg, organisiert. Mit dem Schluss der Jahrestagung übernahm König für ein Jahr den Vorsitz der dggö, während die Amtszeit des bisherigen Vorsitzenden Prof. Dr. Stefan Felder, Basel, turnusgemäß endete.

Zehn Jahre dggö

Felder erklärte im Jubiläumsplenum, dass die geplante Kosten-Nutzen-Bewertung neuer Arzneimittel in der Zeit um 2007 den Anstoß für die Gründung der dggö im Jahr 2008 gegeben habe. Er beschrieb die Entwicklung der dggö als Erfolgsgeschichte, auch wegen der über 800 Mitglieder, der Arbeit der Ausschüsse und des hohen Nachwuchsanteils unter den Mitgliedern. Felder verlieh die höchste Auszeichnung der dggö, die Gérard-Gäfgen-Medaille, an Prof. Dr. J.-­Matthias Graf von der Schulenburg, Hannover, der im Gründungsjahr Vorsitzender der Gesellschaft gewesen war. Von der Schulenburg habe entscheidend zur Gründung und Entwicklung der dggö beigetragen, als Herausgeber des „European Journal of Health Economics“ eine weltweit anerkannte Fachzeitschrift mit hohem Impact-Faktor etabliert und die Gesundheitsökonomie auch außerhalb der Universitäten in der Öffentlichkeit sichtbar gemacht.

Wissenschaftspreis

Im Jubiläumsplenum wurde auch der Wissenschaftspreis der dggö verliehen, der diesmal auf zwei Arbeitsgruppen aufgeteilt wurde:

  • Christian Bommer, Göttingen, und Mitarbeiter: für eine weltweit angelegte Krankheitskostenanalyse zu Diabetes.
  • Stefan Pichler, Zürich, und Nicolas R. Ziebarth, Cornell University (Ithaca, NY): für eine Studie über die Auswirkung der Lohnfortzahlung auf die Anwesenheit am Arbeitsplatz.

Alte und neue Trends in der Gesundheitsökonomie

In seinem Festvortrag blickte von der Schulenburg auf „40 Jahre Gesundheitsökonomie in Deutschland“ zurück, die er in vier Dezennien gliederte; zudem gab er einen Ausblick in die Zukunft.

  • Die Zeit von 1978 bis 1988 beschrieb von der Schulenburg als „deskriptive, ordnungspolitische Phase“, in der besonders die angebliche „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen thematisiert worden sei.
  • Die Phase von 1989 bis 1999 sei durch „mikroökonomische Modellschneiderei“ geprägt gewesen. Von der Schulenburg distanzierte sich dabei von Modellen, die den Akteuren stets nur Eigennutz unterstellen.
  • Die Jahre von 1999 bis 2008 seien die Zeit der „ökonomischen Durchdringung des Gesundheitswesens“ gewesen, wie auch der damalige Höhepunkt der gesundheitsöko­nomischen Evaluationsforschung zeige.
  • Seit 2009 sei die Zeit der Versorgungsforschung, der Routinedatenanalysen und der stochastischen Modelle. „Die Gesundheitsökonomie hat das Risiko entdeckt“, erklärte von der Schulenburg, und die Politik habe versucht, Probleme durch mehr Geld zu lösen.
  • Ab 2020 prognostiziert von der Schulenburg weniger gute Einnahmen für das Gesundheitssystem. Dann seien gesundheitsökonomische Expertise, ordnungspolitische Konzepte, intelligente Bezahl- und Anreizsysteme sowie „echte ökonomische Evaluation“ gefragt.

Arzneimittel aus ungewohnter Perspektive

Im Rahmen der Jahrestagung wurden zahlreiche Arbeiten zu den unterschiedlichsten Themen der Gesundheitsökonomie präsentiert. Es ging um die Funktionsweise von Gesundheitsmärkten und -systemen, die Versorgungsforschung, Krankenversicherungen, Krankenhäuser, die Kostenerfassung im Gesundheitswesen, vielfältige methodische Aspekte und oft auch um Arzneimittel. Aus pharmazeutischer Sicht erstaunte dabei immer wieder, wie Nicht-Pharmazeuten aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive arzneimittelbezogene Themen untersuchen und vielfach ganz andere Fragen stellen als Apotheker. Pharma­zeutische Aspekte wie unerwünschte Wirkungen oder die Gliederung der Patienten in Subgruppen sind eher selten Gegenstand der verwendeten Modelle.

Beispielsweise untersuchte Dr. Ann-Kathrin Richter, Universität Duisburg-Essen, die Kosten-Effektivität der HIV-Präexpositionsprophylaxe (mit Truvada® und Generika) anhand von QALY-Werten aus einem niederländischen Modell. Dabei stellte sie fest, dass die GKV Kosten sparen würde, wenn sie Hochrisikopersonen die Präexpositionsprophylaxe (mit generischem Emtricitabin/Tenofovir disoproxil) erstatten würde.

Dr. Alexander Kuhlmann, Hannover, ermittelte die Kosten-Effektivität von Checkpoint-Inhibitoren beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom. So fand er für Nivolumab (Opdivo®) eine Größenordnung von 200.000 Euro pro gewonnenem QALY (Qualitäts-adjustiertes Lebensjahr) im Vergleich zu Docetaxel. Dies veranschaulicht den hohen Preis eines therapeutischen Vorteils.

Benjamin Birkner, Universität Hamburg, stellte ein Markov-Modell zur Dosisreduktion von Biologicals in der Langzeittherapie der Rheumatoiden Arthritis vor. In einer probabilistischen Sensitivitätsanalyse ermittelte er, dass die Kostensenkungen bei gut 40 Prozent der Patienten mit einer verschlechterten Lebensqualität einhergehen. Daraus könne keine klare Empfehlung für eine Deeskalation der Therapie abgeleitet werden, so Birkner.

Studien zum Arzneimittelmarkt

Neben einzelnen Arzneimitteln und Indikationen waren auch grundsätzliche Aspekte des Arzneimittelmarktes Themen der Tagung. Natalie Ernst, Hamburg, untersuchte die Preisrückgänge beim Beginn des generischen Wettbewerbs. Sie zeigte anhand der Patentabläufe von zwölf ZNS-wirk­samen Arzneimitteln zwischen 2012 und 2015, dass das Ausmaß des Preisrückgangs sowohl mit der Zahl der Generika-Anbieter als auch mit dem Jahresumsatz des Wirkstoffs positiv korreliert.

Danny Bot, Hamburg, suchte bei der frühen Nutzenbewertung von Indikationserweiterungen innovativer Arzneimittel nach einem Zusammenhang zwischen dem Arzneimittelpreis, der Anzahl der Indikationserweiterungen und dem jeweiligen Zusatznutzen, wurde aber nicht fündig. Er nimmt an, dass der Arzneimittelpreis eher von der Vergleichstherapie, den Preisen in anderen Ländern sowie der Mengen- und Verbrauchsentwicklung abhängt.

Annika Herr, Düsseldorf, untersuchte, ob erhöhte Zuzahlungen bei Festbetragsänderungen einen Einfluss auf die generische Substitution von Antiepileptika haben. Dies ist der Fall, obwohl gerade bei Antiepileptika die Substititution aus pharmazeutischer Sicht oft problematisch erscheint. |

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