Management

Kampfpreise unterhalb der Grenzkosten?

Was Apotheker bei ihrer Wettbewerbsstrategie beachten sollten

Wenn man wie der Autor als Managementberater langjährig für Industrie, Handel und Immobilienwirtschaft tätig war und sich dann einige Jahre mit dem Apothekensektor beschäftigt, fällt einem auf, dass es in dieser Branche festgefügte Paradigmata in Bezug auf die Wettbewerbsstrategie gibt, die empirisch nicht belegbar sind. Von T. Michaelis

Das fängt bei einer falschen Preispolitik an. Häufig findet sich Werbung über Rabatte von 20 bis 35 Prozent bei Sicht- und Freiwahl­artikeln in der Annahme, damit Kunden mit Rx-Rezepten in die Apotheke zu locken.

Nur: Diese Vorgehensweise ist nicht profitabel. Der verhaltenslenkende Effekt und der Deckungsbeitrag zusätzlich eingehender Rx-Rezepte durch diese Art der Werbung dürfte kaum die Kosten decken. Der Autor kennt kein Beispiel, wo sich dies positiv gerechnet hätte. Viele Apothekeninhaber glauben selbst nicht, dass sich diese Art der Werbung rentiert, sondern sehen sich durch Branchenverhalten dazu veranlasst.

„Race to the bottom“

Bei solchen preisbezogenen Werbe­aktionen, die ja häufig auch von den eigenen Wettbewerbern gestartet werden, handelt es sich für niemanden um ein „Nullsummenspiel“, sondern um ein „Race to the bottom“ in Bezug auf die Profitabilität.

Anders als bei Mobilfunkverträgen, bei denen die Anbieter (vorab angekündigt) ein Jahr oder zwei Jahre nach Vertragsabschluss die Rabatte einstellen, haben Kunden bei Apotheken keine Vertragsbindung. Sie können ein Billigangebot durch erhöhte Käufe (ohne ausreichenden Rohertrag für die Apotheke) nutzen und sodann für gewisse Zeit auf den späteren Kauf des gleichen Artikels zum Normalpreis verzichten.

Was bleibt da für den Inhaber übrig? Dass dann derjenige, der ge­rade ein Billigangebot wahrnehmen möchte, auch ein Rx-Rezept mitbringt, kommt vor, aber nicht eben häufig.

Foto: kasto - stock.adobe.com
Rechnen sich Preisangebote im Frei- und Sichtwahlsegment wirklich? Ein Apotheker, der in eine Freiwahl-Preisschlacht einsteigt, konkurriert nicht nur mit Apotheken, sondern praktisch mit ­allen Einzelhandelsbetrieben, die vor Ort entsprechende Artikel anbieten – und dies in der Regel viel kostengünstiger.

„Eh-da“-Kosten-Phänomen

Ein Kernpunkt ist, dass Personalkosten von Apothekeninhabern oft nicht zutreffend gerechnet werden. Eine Topmanagerin eines Pharmagroßhandels meinte, dass viele Apotheker die Personalkosten zu den „Eh-da“-Kosten rechnen, also unterstellen, dass das Personal „eh da“ ist. Eine Zurechnung von Personalkosten zu einzelnen Tätigkeiten und Tätigkeitskategorien sei nicht erforderlich und durch Personal entstehende Grenzkosten seien nicht zu berücksichtigen und zu berechnen. Dies ist aber falsch.

In Zeiten, in denen in Regionen ohne ein pharmazeutisches Institut und ohne PTA-Schulen rasant zunehmender Personalmangel herrscht, und in einer Branche, die von Frauen dominiert wird, die aus familiären Gründen ihre Beschäftigung unterbrechen oder ihr Stundenvolumen herabsetzen, ist der Verzicht einer Zurechnung von personalbedingten Grenz­kosten auf keinen Fall mit einer betriebswirtschaftlich sinnvollen Betriebsführung vereinbar.

Ausreichender Rohertrag je Packung notwendig

Zwar ist zutreffend, dass das pharmazeutische Personal mehrfach am Tag keine Kunden bedient und es in dieser Zeit auch für ca. 0,40 Euro Rohertrag ein Schmerzmittel verkaufen könnte. Aber es zählt eben auch der Fall, dass Rx-Kunden wegen des beratungsintensiven Verkaufsgesprächs über ein Kopfschmerzmittel warten müssen und gegebenenfalls eine andere nahe gelegene Apo­theke aufsuchen. Schon deswegen sollte jeder Artikel einen ausreichenden Rohertrag je Packung mit sich bringen. Durchschnittliche Wartezeiten lassen sich im Übrigen betriebswirtschaftlich ausrechnen und steuern.

Grenzkosten des Vertriebs

Wenn man die Grenzkosten des Vertriebs ausrechnet, landet man je nach technischer und personeller Ausstattung von Apotheken bei 2,30 Euro bis etwa 4,00 Euro je Sicht- bzw. Freiwahlpackung, die man in wenigen Bereichen noch nach unten (z. B. für Hustenbonbons) oder oben differenzieren muss. Hierbei werden die Kosten des Apothekeninhabers im Handverkauf noch nicht einmal voll zeitanteilig gerechnet, sondern nur auf Basis von PTA-Kosten. Allerdings werden die Vertriebskosten für Frei- und Sichtwahl­packungen höher gewichtet als für Rx-Packungen, da Kunden mit Rezepten häufig eine Beratung beim Arzt erhalten haben, wohingegen der nicht-rezeptgebundene Verkauf von Sicht- und Freiwahl­artikeln oft eine mehr oder weniger zeitaufwendige Beratung durch Apotheker und PTAs voraussetzt. Bei unseren Recherchen wird ganz überwiegend die Meinung ver­treten, dass die Beratungszeit bei Sicht- und Freiwahlartikeln mindestens doppelt so hoch ist wie bei einem Rezept.

Vollkosten je Packung: Sämtliche Kosten einer Apotheke, z. T. einzeln und z. T. nach sinnvollen Schlüsseln umgelegt auf die einzelne Packung.

Grenzkosten je Packung: Grenzkosten bezeichnen die (veränderten) Gesamtkosten (berechnet je Packung) bei einer Erhöhung oder Reduzierung der Zahl der abgegebenen Packungen um z. B. 10.000 oder 20.000 Packungen jährlich.

Freiwahlbereich wenig attraktiv

Der Freiwahlbereich ist in typischen deutschen Stadt-Apotheken häufig völlig unwirtschaftlich. Vielen Apothekern ist nicht bewusst, dass sie hiermit nicht nur „nicht viel Geld verdienen“, sondern auch massive Verluste einfahren, obwohl der prozentuale Rohertrag häufig recht hoch ist. Auch Apotheker leben aber nicht von Prozenten, sondern von Euro. 40 Prozent von ganz wenig ist eben nicht ausreichend, wenn der Rohertrag geringer ist als der notwendige Deckungsbeitrag unter Einbeziehung der Vertriebskosten.

Die Ergebnisse einer realistischen Kalkulation zeigen, warum der Freiwahlbereich in Apotheken ein weniger attraktives Geschäftsfeld sein muss: Die Vertriebskosten einer Apotheke sind durch die Kosten gut qualifizierter Mitar­bei­ter sehr viel höher als die Vertriebskosten einer Drogerie, eines Discounters oder eines Lebensmittelmarktes (mit Non-Food-Anteil). Die Kosten des Kassen- und Lagerpersonals sind dort im Durchschnitt sehr viel geringer.

Ein Apotheker, der meint, er müsse den Wettbewerb über eine Freiwahl-Preisschlacht gewinnen, ­bewegt sich mit Sicherheit auf dem völlig falschen Gefechtsfeld. Er konkurriert nicht nur mit Apotheken, sondern praktisch mit allen Einzelhandelsbetrieben, die vor Ort entsprechende Artikel anbieten – und dies in der Regel viel kostengünstiger.

Grenzkosten-deckende Preise

Selbst bei Sichtwahlartikeln liegt der Rohertrag weitgehend unterhalb der Durchschnittskosten, meistens aber wenigstens oberhalb der Grenzkosten. Diesen Bereich stark zu reduzieren, ergibt aber für Apotheker keinen Sinn. Ein möglichst weitgehendes An­gebot an apothekenpflichtigen Sichtwahlprodukten wird von Kunden wahrlich zu Recht erwartet und dem Apotheker steht es frei, wenigstens grenzkosten­deckende Preise zu nehmen.

Zumindest grenzkostendeckende Preise können (vielleicht mit Ausnahme von Pflastern) auch bei Freiwahlartikeln festgelegt werden, was natürlich zur Reduzierung der Abverkäufe führt. Aber warum sollte ein Apotheker teures Personal für Produkte vorhalten, die Wettbewerber viel günstiger grenzkostendeckend an Kunden verkaufen können? Dies ist nur selten sinnvoll.

Hinzu kommt, dass viele Apotheker den Freiwahlbereich nicht zufriedenstellend im Griff haben. Ein Testkauf für einen Lippenpflegestift führte zu folgendem Ergebnis: Die Packung war schon vier Jahre alt und wurde in der Zeit dreimal umetikettiert. Die tatsächlichen Grenzkosten für Vertrieb und Lagerhaltung dieser Packung lagen ein Vielfaches über dem erzielten Rohertrag. Dieses Beispiel ist kein Einzelfall.

Problematisch ist auch die Weitergabe von Direktbezug-Rabatten an die Kunden. Zunächst entsteht Verwaltungsaufwand für die Direktbezüge. Dieser wird ohnehin häufig unterschätzt und nicht gerechnet. Sodann steigt nicht nachfragegerecht, sondern angebots­induziert der Lageraufwand. Schlussendlich legen durch die Rabatte die Packungsverkaufs­zahlen zu, was zwar den Aufwand durch die Weitergabe der Rabatte, aber keineswegs die Deckungs­beiträge erhöht. Apotheker, die auf Umsatz und Packungsverkaufszahlen fokussiert sind, empfinden die steigenden oder hohen Zahlen als vorteilhaft, aber sehen nicht die wirtschaftlichen Nachteile.

Fehlendes strategisches Controlling

Apotheken fehlt oft ein qualifiziertes strategisches Controlling. Die meisten Apotheker analysieren nur die monatliche von ihrem Steuerberater gelieferte BWA, die vielfach keine Lagerbestands-Veränderungen berücksichtigt und insbesondere bei einer Änderung der Geschäftspolitik über Monate hinweg systematisch zu Fehleinschätzungen führen kann. Wer über drei, vier Monate durch ein automatisches System Lageraufbau zur Erreichung einer höheren Lieferquote betreibt, sich dies aber in der BWA mangels Berücksichtigung von Bestandsveränderungen nicht zeigen kann, erhält dann möglicherweise Warnhinweise ­seines Steuerberaters wegen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Wer hingegen Lager abbaut, freut sich über die monatelang tolle BWA, bis dieser Prozess endet. Schon eine einfache Kosten- und Leistungsrechnung für Sicht- und Freiwahlartikel würde für viele Apotheker zu sehr ernüchternden Einsichten führen.

Entscheidend für die Zukunft einer Apotheke ist aber, dass sie digitale Steuerungsmöglichkeiten wahrnimmt, um Kundenzufriedenheit und Profitabilität zu er­höhen. Automatische Sortiments- und Preissteuerung auf der Basis eines hochmodernen Warenwirtschaftssystems mit Nutzung eines leistungsfähigen Kommissionierers können – richtig konfi­guriert – Wettbewerbsvorteile schaffen, die mit konventionellen Werbe- und Preiskampfstrategien nicht erreichbar sind. Mehr dazu in einer der nächsten Ausgaben der AZ. |

Thomas Michaelis

Diplom-Volkswirt Thomas Michaelis, LL.M., MBA (Columbia University, New York) ist Managing Director von Alameda Global Consulting und hat in Deutschland den Geschäftsbereich Alameda Apotheken Consulting etabliert.

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