Management

Situativ führen

Wie Sie trotzdem authentisch bleiben

Muss der Apothekenleiter als Führungskraft immer „gleich“ agieren, um authentisch zu sein? Ganz er selbst sein und bleiben und immer in derselben Rolle? Oder ist es nicht besser, sich der Situation oder dem Mitarbeiter, mit dem er interagiert, anzupassen – also situativ zu führen? Von Michael Madel

Authentizität ist mittlerweile ein Fetisch in der Führungslehre. Wenn man nachfragt, was konkret damit gemeint ist, heißt es oft: Eine Führungskraft möge sich bitte schön nicht verbiegen, sondern stets so geben, wie sie nun einmal ist. Ein durchaus sympathischer Ansatz. Aber ist das auch realistisch? Schauen wir uns den Alltag eines Apothekenleiters an, der mit einem recht großen Team zusammenarbeitet, zu dem mehrere Apotheker, pharmazeutisch-technische Assistentinnen und pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte gehören. Mit dabei sind zudem ein Buchhalter, eine Raumpflegerin und eine Botin, die als Kurierfahrerin die Medikamente bis an die Haustür der Kunden bringt. Der Apothekenleiter, von seiner Persönlichkeitsstruktur her ein harmonieorientierter Beziehungsmanager mit eher „sanftem“ Führungsstil, setzt auf Kooperation, Konsens, Kompromiss und Kommunikation auf Augenhöhe.

Bunter Führungsalltag

Es liegt auf der Hand, dass der Apothekenleiter bei dieser Vielzahl an Mitarbeitern tagtäglich mit höchst unterschiedlichen Führungssituationen konfrontiert wird. Der Führungsalltag ist bunt wie ein Kaleidoskop. Zunächst einmal erwartet ihn ein Konfliktgespräch mit einer Apothekerin und einer PTA. Die zwei können sich nicht riechen, die Chemie stimmt einfach nicht. Es ist sogar von Mobbing die Rede. Der Apothekenleiter hat natürlich ein Interesse daran, im Sinne der Kunden und der Apotheke für ein sonniges Betriebsklima zu sorgen. Aufgrund der Persönlichkeitsstruktur der zwei Streithähne weiß er, dass er mit klaren Vorgaben arbeiten muss, um die Eskalation des Konflikts zu verhindern. Mit seiner kooperativen Haltung, so befürchtet der harmonieorientierte Beziehungsmanager, wird er dabei nicht weit kommen.

Ähnliches gilt für das Mitarbeitergespräch mit der Kurierfahrerin. Mehrere Kunden haben sich beschwert. Auch hier – so nimmt er sich vor – wird er härtere Bandagen auffahren müssen. Allerdings weiß er, wie sensibel die Mitarbeiterin auf Kritik reagiert. Soll er doch auf Kooperation setzen und die Kritik behutsam vortragen?

Da freut sich der Apothekenleiter schon fast auf ein Gespräch mit der PKA, die für das Lagercontrolling und die Betreuung der Großhandelsbestellungen zuständig ist. Hier geht es „nur“ darum, die Frage zu klären, wie sie das Lagercontrolling optimieren kann.

Anpassungsfähigkeit ist ­notwendig

Das fiktive Szenario zeigt, dass es problematisch ist, in jeder Führungssituation die Person zu bleiben, die man ist. Eine gewisse situative Anpassungsfähigkeit an die konkrete Situation und die Person bzw. die Personen, mit denen der Apothekenleiter als harmonieorientierter Beziehungsmanager agiert, ist notwendig. Er sollte Authentizität vor allem als glaubwürdiges und zuverlässiges Handeln in Anlehnung an die jeweilige Situation definieren. Übrigens: Das Wort „Authentizität“ kommt aus dem Griechischen („authentikos“) und meint so viel wie „zuverlässig, richtig, verbürgt“.

Ein authentischer Apothekenleiter muss also nicht in jeder Situation ganz er selbst sein. Das könnte sich sogar als kontraproduktiv erweisen, etwa wenn er – siehe die Beispiele oben – im Gespräch mit einem mobbenden Angestellten grundsätzlich auf Einsichtsfähigkeit setzt und alles unterlassen will, was zur Disharmonie führen könnte. Die Situation macht es jedoch erforderlich, klare Kante zu zeigen und die Beteiligten darauf hinzuweisen: „Bis hierhin – und nicht weiter!“

Foto: Korn V. – stock.adobe.com
Ausgewogen und gerecht Wer sich bewusst ist, welche Werte und Überzeugungen für ihn wichtig sind, führt notwendige Mitarbeitergespräche entsprechend – und ist damit ein glaubwürdiger Vorgesetzter.

Werte reflektieren und ­kommunizieren

Aber geht nicht die Glaubwürdigkeit verloren, wenn der ansonsten kooperative Chef plötzlich schwere Geschütze auffährt? Das ist nicht der Fall, wenn er für sich selbst das Fundament seines Handelns reflektiert und geklärt hat, sich seiner grundlegenden Werte, Normen und Überzeugungen bewusst ist und diese an das Team, an die Mitarbeiter kommuniziert hat. Um im obigen Beispiel zu bleiben: Der Apothekenleiter hat immer wieder verdeutlicht, dass er kooperativ führen will und auf das Engagement und die Eigeninitiative der Mitarbeiter vertraut. Er ist bereit, zunächst einmal Vertrauen zu schenken, erwartet aber auch, dass ihm dieses Vertrauen zurückgezahlt wird. Zugleich steht in seinem Wertesystem die Kundenorientierung ganz oben: Der Kunde hat ein Recht darauf, dass er im Fokus der Bemühungen und Anstrengungen aller Apothekenmitarbeiter steht. Dem haben sich die Verhaltensweisen der Mitarbeiter unterzuordnen.

Wenn der Konflikt zwischen der Apothekerin und der PTA das ­Betriebsklima derart stört, dass die Kundenorientierung darunter leidet, ist für den Apothekenleiter eine Linie überschritten. Er ist nicht bereit, das Verhalten der Beteiligten zu tolerieren. Er nimmt sich vor, eine Veränderung der Verhaltensweisen herbeizuführen und dies auch zu kontrollieren, wenngleich dieses Vorgehen seinen Grund­überzeugungen zuwiderläuft.

Anders gelagert ist seine Entscheidung bezüglich der Kurierfahrerin. Es darf nicht mehr zu Kundenbeschwerden kommen. Aber im Gespräch wird er mit Fingerspitzengefühl und Sensibilität agieren, ohne in der Sache selbst Kompromisse einzugehen.

Glaubwürdig, echt und ­zuverlässig wirken

Was heißt das in der Praxis? Der Apothekenleiter sollte die Frage des authentischen Führens nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Motivation seiner Mitarbeiter hängt entscheidend von der Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit ab, die sein Team bei ihm wahrnimmt. Darum sollte er sich über seine grundsätzlichen Werte und Überzeugungen („Wofür stehe ich? Was ist für mich von besonderer Bedeutung?“) im Klaren sein und daraus seine Führungsprinzipien ableiten. Werte und Prinzipien grundieren sein Verhalten und seine Entscheidungen. So weiß jeder Mitarbeiter, „woran er ist“, und kann einschätzen, welche Prämissen für den Apothekenleiter mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Problemfall (siehe das Mobbing-Beispiel) relevant sind. In der Wahrnehmung der Mitarbeiter wirkt er glaubwürdig, echt und ­zuverlässig.

Das heißt aber nicht, dass er sich in jeder der Rollen, die er als Führungskraft innehat, und in jeder Situation vollkommen kongruent verhalten muss. Das würde wohl auch zu einer Eindimensionalität im Führungsverhalten führen, die der Komplexität der Führungsarbeit nicht gerecht wird. Es kann zu Abweichungen im konkreten Tun und Handeln ­kommen (etwa die Entscheidung, in der Mobbingsituation eine ­Kontrollfunktion auszuüben), aber sein Wertegerüst, seine Grundüberzeugungen sowie seine Harmonieorientierung im Umgang mit anderen Menschen bleiben als Fundament erhalten.

Fazit

Die Komplexität allein dieses einfachen Beispiels veranschaulicht, vor welchen Herausforderungen der Apothekenleiter als Führungskraft steht. Die Frage, ob er als glaubwürdig und zuverlässig wahrgenommen wird, hängt davon ab, inwiefern er sich mit seinen Werten, Überzeugungen und Führungsprinzipien beschäftigt. Es ist zielführend, regelmäßig in die Selbstreflexion zu gehen und sich zu fragen: „Was kann, was muss ich tun, um als glaubwürdiger Chef zu wirken?“ |

Dr. Michael Madel, freier Autor und Kommunikationsberater

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