Gesundheitspolitik

Fehlende Unterlagen und kleine Fehler

Zyto-Prozess: Gutachter bemängeln Behörden-Analysen

hfd | Im Zyto-Prozess vor dem Landgericht Essen kritisierten am vergangenen Donnerstag die von der Verteidigung beauftragten Sachverständigen die Untersuchungen des Paul-Ehrlich-Instituts und des Landeszentrums Gesundheit NRW. Sie führten Mängel in der Dokumentation auf, die jedoch zum Teil wieder entkräftet wurden. Ein Pharmakologe stellte außerdem die Zyto-Versorgung durch Vor-Ort-Apotheken gänzlich infrage.

Analysen des Landeszentrums Gesundheit NRW sowie des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) hatten ergeben, dass Dutzende in der Bottroper ­Zyto-Apotheke sichergestellte Infusionsbeutel teils stark unterdosiert waren. Schon im vergangenen Jahr hatte die Verteidigung die Analysen als unzuverlässig hingestellt und von den Behörden die Unterlagen zu den Untersuchungen angefordert. Am vergangenen Donnerstag saßen sich nun die Sachverständigen der Verteidigung sowie der Staatsanwaltschaft gegenüber, um den Streit auszufechten.

Der Pharmakologe und Dopingexperte Fritz Sörgel hatte im März und August 2017 zwei Kurzgutachten für die Verteidigung geschrieben, außerdem hatte seine gleichfalls als Sachverständige geladene Laborleiterin Martina K. einen Teil der gut 24 Aktenordner mit den Untersuchungsunterlagen durchgearbeitet. Zum Experten-Team der Verteidigung stieß später der ebenfalls als Gutachter geladene Pharmazeut Henning Blume, der von 1983 bis 1997 das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker leitete.

„Das PEI hat einen exzellenten Ruf“, betonte Sörgel. „Wir können froh sein, dass es in Deutschland so ein Institut gibt.“ Es gebe auch überhaupt keinen Zweifel, dass die gewählten Methoden zur Bestimmung der Wirkstoffgehalte der monoklonalen Antikörper angemessen seien. Trotzdem ergibt sich für ihn die Frage, ob sie richtig ­angewandt und dokumentiert wurden. Die Verteidigung hatte schon mehrfach fehlende Unterlagen ­bemängelt, was Sörgel nun vor ­Gericht wiederholte – so beispielsweise zu den Arbeitsanweisungen (Standard Operating Procedures, SOP). Richter Hidding ging die ­sieben verwendeten Methoden durch, von der Sichtkontrolle bis zur Proteinbestimmung. Wie Sörgel schon in einem der Gutachten geschrieben hatte, betrat das PEI mit der Analyse von Infusions­beuteln – statt der Analytik der ­eigentlichen Wirkstoffe – seiner Ansicht nach „Neuland“.

Bei der Proteinbestimmung bezog sich das Institut auf Arzneibuchmethoden, die auf die zubereiteten Arzneimittel übertragen wurden. Sörgel sah dies kritisch. Man könne nicht vorgehen, wie wenn man „ein kleines Master-Projekt mache“, sagte er. Er argumentierte, dass die Analytik bei Gerichtsprozessen höchsten Standards entsprechen sollte – sonst könne sie „zerlegt“ werden.

Sörgel erklärte, dass er die Gutachten aus Interesse am Fall und zumindest bislang kostenlos erstellt hat. Erst dadurch sei ihm klar geworden, wie die Zyto-Herstellung in Deutschland läuft. Seiner Meinung nach gehöre dies in die Hände von Klinikapotheken, wo auf hohem technischen Niveau und mit wirtschaftlich unabhängigem Personal gearbeitet werde. In Zyto-herstellenden Vor-Ort-Apotheken passierten seiner Einschätzung nach „sehr oft“ Fehler.

Sörgel wollte vor Gericht jedoch keine klaren Fehler in den Analysen und Dokumenten der Behörden benennen – auch, da sein kleines Team nur gut 10 Prozent der nötigen Unterlagen gesichtet habe, eine abschließende Einschätzung könne er daher nicht geben.

Seine langjährige Laborleiterin Martina K. bestätigte, dass für die Beurteilung sehr viele Unterlagen fehlten. Sie führte eine Liste von Fehlern in den PEI-Dokumenten auf, die sich von Schreibfehlern über eine falsche Probenbezeichnung bis hin zu falschen Daten oder Werten erstreckte. Es handele sich um Kleinigkeiten, die aber letztendlich zur Systembeurteilung dazugehörten, sagte sie.

K. musste einräumen, dass sie sich erst vergangene Woche die 24 Aktenordner vorgenommen hatte und am Tag vor der Verhandlung den Bericht fertiggestellt habe, der nicht abschließend die Lage beurteilen könne. Ein Nebenklagevertreter sagte, er hätte größere Bedenken an den Analysen erwartet statt kleinerer Fehler.

Der Richter bemängelte, dass das Gericht nicht auf die fehlenden Unterlagen aufmerksam gemacht wurde. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit konnte der zweite von der Verteidigung geladene Sachverständige Blume nur aussagen, dass er zunächst überrascht über den Analyseansatz des PEI gewesen sei, ihn später jedoch als sinnvoll erkannte.

Anschließend entkräftete der Biochemiker Siegfried G., der bis Januar 2017 ein PEI-Fachgebiet leitete, viele Vorwürfe: Fehlende Unterlagen wie SOPs oder Angaben zu den Geräten seien alle vorhanden, aber nicht angefordert worden. Einige bemängelte Stellen in den Unterlagen, bei denen Angaben geschwärzt seien, stellten sich als lediglich nachträglich deutlicher geschrieben heraus. An einer Stelle fehlte bei einer Fehlerkorrektur das Kürzel des Bearbeiters – doch dieser formale Fehler sei am Ende irrelevant wie auch die Angabe der Chargenbezeichnungen der eingesetzten Kochsalzbeutel. „Das sind eigentlich keine Fehler, die die Qualität unserer Messergebnisse infrage stellen“, sagte G. Richter Hidding vertagte die Verhandlung auf nach Ostern und gab bekannt, dass ein psychiatrisches Gutachten über den Angeklagten Peter S. in Auftrag gegeben sei, da die Verteidigung eine Hirnverletzung thematisiert hatte. |

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