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Gutachter wollen Landapotheken-Fonds

Übersicht und Analyse der versorgungsbezogenen Vorschläge im Honorargutachten

Von Thomas Müller-Bohn | Im Honorargutachten für das Bundeswirtschaftsministerium geht es primär um die Anpassung der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Doch die Gutachter haben auch die ländliche Versorgung und weitere Aspekte des Apothekenbetriebs untersucht. In der vorliegenden Vor-Version des Gutachtens sehen sie die flächendeckende Versorgung derzeit nicht gefährdet. Da 2300 ländliche Apotheken bedroht seien, empfehlen sie jedoch einen Strukturfonds für gezielte Subventionen.

Alle hier dargestellten Inhalte des Gutachtens beziehen sich auf die Vor-Version vom 19. November. Bis zur möglichen Veröffentlichung des Gutachtens sind daher Änderungen zu erwarten. Der sinkenden Apothekenzahl stellen die Gutachter die steigende Zahl der Beschäftigten in Apotheken gegenüber. Außerdem verweisen sie auf die geringe Zahl von 11 Zweigapotheken (im Jahr 2016) und das Fehlen von Notapotheken. Daraus schließen die Gutachter, der Rückgang der Apothekenzahl sei eher eine „Konsolidierung“ als ein „Apothekensterben“. Die flächendeckende Versorgung sehen sie schon deshalb nicht gefährdet, weil dafür kein verbindlicher Maßstab existiere.

Land profitabler als Stadt

Für einen Vergleich zwischen Stadt- und Landapotheken unterscheiden die Gutachter Apotheken nach ihrer Lage in den vier Siedlungstypen gemäß dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (siehe unten). Eine diesbezügliche Sonderauswertung des Statistischen Unternehmensregisters des Statistischen Bundesamtes zeige, dass die Apothekenzahl in den kreisfreien Großstädten prozentual am stärksten und in den dünn besiedelten Kreisen prozentual am wenigsten gesunken sei. Die beiden anderen Kreistypen lägen dazwischen und seien in ihrer Entwicklung kaum voneinander zu unterscheiden. Gemäß einer Grafik im Gutachten sank die Apothekenzahl von 2007 bis 2015 in kreisfreien Großstädten um 14,6 Prozent und in dünn besiedelten ländlichen Kreisen um 8,6 Prozent. Für die Apotheken in den vier Siedlungstypen präsentieren die Gutachter folgende durchschnittliche Bruttobetriebsüberschüsse einschließlich der Bruttoinvestitionen (ohne Angabe des Jahres):

  • kreisfreie Großstädte: 128.597 Euro
  • städtische Kreise: 102.088 Euro
  • ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen: 142.335 Euro
  • dünn besiedelte ländliche Kreise: 149.113 Euro

Die Gutachter folgern, dass eine besondere Sorge um die Landapotheken unbegründet sei, gehen aber auch nicht auf die Probleme städtischer Apotheken wie die geringe Kaufkraft in sozial schwachen Vororten ein. Letztlich folgern sie: „Es gibt aktuell datenbasiert keinen Anlass, die flächendeckende Versorgung in Deutschland als gefährdet anzusehen.“

2300 Landapotheken bedroht

Neben der obigen Sonderbetrachtung analysieren die Gutachter die Situation der Apotheken im Jahr 2015 anhand von Durchschnittswerten. Darauf­hin stufen sie etwa 7600 Apotheken-Unternehmen (Einzelapotheken oder Filialverbünde) als gefährdet ein, weil sie keinen angemessenen Unternehmerlohn von 99.000 Euro jährlich erwirtschaften. Dies betreffe Apotheken-Unternehmen mit Umsätzen bis 2 Mio. Euro. 27 Prozent der Apotheken mit unter 1 Mio. Euro und 32 Prozent der Apotheken mit Umsätzen von 1 bis 2 Mio. Euro lägen in den beiden ländlichen Kreistypen. Demnach seien unter den 7600 bedrohten Apotheken 2300 ländliche Apotheken. Es seien also absolut mehr Apotheken in städtisch geprägten Regionen bedroht. Doch diese Angaben lassen offen, welcher relative Anteil der Apotheken in ländlichen Regionen bedroht ist.

Die Gutachter erklären: „Es heißt jedoch nicht, dass ein Schließen dieser Apotheken die flächendeckende Versorgung gefährden würde. In jedem Falle ginge der Umsatz und der Bedarf dieser Apotheken nicht verloren, sondern würde weitere Apotheken und Apothekengruppen stärken.“ Mit 7600 Apotheken weniger als heute läge die Apothekendichte auf dem Niveau von Österreich, Slowenien oder Finnland. Dabei beziehen die Gutachter die Zahl 7600 in unterschiedlichen Zusammenhängen auf Apotheken-Unternehmen oder auf Betriebsstätten.

Keine Empfehlung zum Rx-Versandverbot

Nach dem EuGH-Urteil hatte das Bundeswirtschaftsministerium den Auftrag an die Gutachter erweitert und sie beauftragt, auch die Rolle des Versandhandels zu betrachten. Dazu erklären die Gutachter: „Ein Verbot des Versandhandels ist nicht vor dem Hintergrund der flächendeckenden Versorgung zu rechtfertigen, da der Versandhandel Arzneimittel direkt nach Hause liefert. Aus der Sicht einer flächendeckenden Versorgung sind Botendienste von Vor-Ort-Apotheken und Lieferungen von Versandapotheken effiziente Versorgungsformen der Bevölkerung in der Fläche.“

Die Gutachter erklären, dass sie keine finale Aussage dazu treffen möchten, ob das Rx-Versandverbot empfehlenswert sei. Vielmehr verweisen sie auf ihr Ergebnis, dass 7600 Apotheken-Unternehmen schon 2015 in einer wirtschaftlich schlechten Lage gewesen seien. Zu den möglichen Folgen des Preiswettbewerbs bei Rx-Arzneimitteln erklären die Gutachter, dieser Wettbewerb beziehe sich nur auf Zuzahlungen, doch sogar bei OTC-Arzneimitteln, bei denen der ganze Preis im Wettbewerb stehe, erreiche der Versand „nur“ 21 Prozent Marktanteil. Sogar für den Fall, dass der Rx-Versand 21 Prozent Marktanteil erreichen würde, sehen die Gutachter nur einen „vergleichsweise geringen“ Einfluss auf die „Ausgangslage“ für die Apotheken, weil geringerer Umsatz mit weniger Kosten verbunden sei. Dabei unterschätzen die Gutachter offenbar die Rolle der Fixkosten, die sie auch in ihrer zentralen Kostenrechnung nicht gesondert würdigen.

14 Cent für Landapotheken

Obwohl die Gutachter die Versorgung nicht bedroht sehen, untersuchen sie die Möglichkeit, die 2300 als gefährdet eingestuften Landapotheken gezielt zu unterstützen. Dazu müsste die Lücke zwischen dem angestrebten Unternehmerlohn von 99.000 Euro und dem im Gutachten angenommenen Betriebsergebnis (31.000 Euro bei einem Umsatz bis 1 Mio. Euro und 66.000 Euro bei einem Umsatz zwischen 1 und 2 Mio. Euro) geschlossen werden. Für 719 Landapotheken mit Umsätzen unter 1 Mio. Euro und 1589 Apotheken mit Umsätzen zwischen 1 und 2 Mio. Euro ergeben sich etwa 100 Mio. Euro pro Jahr als Subventionsbedarf. Dazu erklären die Gutachter: „Empfohlen wird im Rahmen möglicher Reformen der AMPreisV, für die flächendeckende Versorgung relevante Apotheken zu identifizieren und diese gezielt zu unterstützen, z. B. über einen Strukturfonds in Höhe von ca. 100 Mio. Euro.“

Außerdem empfehlen die Gutachter zu prüfen, ob gefährdete Apotheken als Zweigapotheken geführt werden könnten. Mit der Möglichkeit Zweig- oder Notapotheken einzurichten relativieren sie zudem die Bedrohung, die von ihren Kürzungsplänen ausgehen, und erklären: „Es wird empfohlen, die Reduktion der Vergütung umzusetzen, da der Gesetzgeber mit den Zweig- und Not­apotheken die Sicherung der flächendeckenden Versorgung berücksichtigt.“

Zur Finanzierung des Strukturfonds schlagen sie einen Zuschlag von 14 Cent (plus Verwaltungskosten) pro Rx-Fertigarzneimittel nach dem Vorbild des Notdienstfonds vor. Das größere Problem sei die Auswahl der zu unterstützenden Apotheken. Wie für die Finanzierung des Notdienstes sei auch für den Strukturfonds denkbar, OTC- und Freiwahlartikel zu beteiligen, erklären die Gutachter. Doch gegen diesen Ansatz können dieselben Argumente wie gegen die Kostenverteilung bei der Honorarberechnung angeführt werden. Wiederum würde die Finanzierung einer Gemeinwohlaufgabe von der Solidargemeinschaft auf Einzelne übertragen.

Kritik am Strukturfonds

Als Alternative zum Strukturfonds erwähnen die Gutachter eine Förderung der Apotheken „über die allgemeine Vergütung“, womit wohl ein entsprechend hohes Honorar für alle Apotheken gemeint ist. Doch dafür seien etwa 2 Mrd. Euro nötig, an anderer Stelle im Gutachten werden sogar 3 Mrd. Euro genannt. Mit diesem Milliarden-Vergleich wollen die Gutachter offenbar die (günstigere) direkte Subventionierung rechtfertigen.

Doch die Rechnung der Gutachter geht von der Situation im Jahr 2015 aus. Werden dem Apothekensystem jedoch mehr als 1,1 Mrd. Euro entzogen, verlöre die Rechnung ihre Grundlage. Dann würden 100 Mio. Euro sicher nicht mehr ausreichen, um die länd­liche Versorgung sicherzustellen.

Die Analyse auf Kreisebene verspricht ohnehin nur eine grobe Orientierung, denn als angemessenes Kriterium für die „wohnortnahe“ Versorgung erscheint eher die Gemeindeebene. Dagegen haben May, Bauer und Dettling in ihrem wettbewerbsökonomischen Gutachten zum Rx-Versandverbot 1711 Solitär-Apotheken mit einer Alleinstellung im Umkreis von 5 km ermittelt. Beim Wegfall jeder einzelnen dieser Apotheken wären massive Folgen für die lokale Versorgung zu erwarten. ­Eine solche Betrachtung findet jedoch im Honorar-Gutachten nicht statt.

Reformideen zum Alltag

Als weitere Idee schlagen die Honorar-Gutachter vor, der Arzt könnte einen honorierten Botendienst nach dem Vorbild des „noctu“-Vermerks verordnen. Doch dabei übersehen sie, dass der Arzt die Notwendigkeit für eine Botenzustellung im Vorhinein kaum abschätzen kann. Denn diese ergibt sich oft aus der Verfügbarkeit des Arzneimittels in der Apotheke.

Aus Apothekerperspektive verwunderlich erscheint der Vorschlag, der Großhandel solle die Apotheken nur noch einmal täglich und nur die Notdienstapotheken öfter beliefern. Dies solle etwa 62 Millionen Euro einsparen und sei auch ökologisch vorteilhaft, „ohne dabei die Versorgungsqualität einzuschränken“. Doch dem ist entgegenzuhalten, dass die normale Versorgung so zum Notfall würde und die Patienten wohl viel mehr zusätzliche Wege hätten, als beim Großhandel eingespart würden.

Alternativer Ansatz

Damit stellt sich die Frage, inwieweit solche „Sparideen“ zur Umgestaltung des Versorgungssystems zum Auftrag passen, Vorschläge für die Anpassung der AMPreisV zu erarbeiten. Zielführender erschiene wohl ein Vergleich zu den Mechanismen, nach denen die regelmäßig steigenden Honorare für Ärzte und Psychotherapeuten ermittelt werden. Dort sind Honorarsteigerungen selbstverständlich. |


Die Vorschläge zur Anpassung der AMPreisV wurden ausführlich analysiert im Beitrag „Das Gutachten“ (DAZ 2017, Nr. 50, S. 11). Die Vorschläge zum Botendienst und zu den Großhandelslieferungen sowie die Analyse zum Versandhandel wurden ausführlich dargestellt im Beitrag „Wundertüte Honorargutachten“ (AZ 2017, Nr. 51/52, S. 1).

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