Arzneimittel und Therapie

Dreifach gegen Nierenzellkarzinom

Tyrosinkinase-Inhibitor Tivozanib hemmt das Tumorwachstum

Kenntnisse über die Signalwege der Zellproliferation und Angiogenese beim Nierenzellkarzinom haben zur Entwicklung neuer Wirkstoffe geführt, die aberrante Mechanismen beeinflussen können. Zu nennen sind unter anderem Inhibitoren des VEGF-Signalwegs. Der jüngste Vertreter dieser Wirkstoffgruppe ist der orale Tyrosinkinase-Inhibitor Tivozanib (Fotivda®), der in der EU für die Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms zugelassen und eingeführt wurde.

Tivozanib ist ein potenter und selek­tiver Inhibitor aller drei vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor-Rezeptoren (VEGFR). Er hemmt in vitro verschiedene VEGF-induzierte Vorgänge, unter anderem die durch VEGF-Liganden induzierte Phosphorylierung der drei VEGF-Rezeptoren 1, 2 und 3 sowie die Proliferation humaner Endothelzellen. Durch Inhibition der VEGFR-Aktivierung unterdrückt Tivozanib die Angiogenese und Gefäßpermeabilität im Tumorgewebe und führt dadurch zu einer Verlangsamung des Tumorwachstums (s. Abb.).

Tivozanib ist zugelassen für die Erst­linien-Therapie erwachsener Patienten, die an einem fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom erkrankt sind. Ferner ist der Wirkstoff zugelassen für die Zweitlinien-Therapie von mit Zytokinen vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom, die keine VEGFR- und mTOR-Inhibitoren erhalten haben. Die EU-Zulassung erfolgte am 28. August 2017. Die FDA sprach hingegen 2013 aufgrund des Trends zu einem schlech­teren Gesamtüberleben keine Zulassungsempfehlung aus.

Die vaskulären endothelialen Wachstumsfaktoren (Vascular Endothelial Growth Factors, VEGF) A bis F stimulieren die zugehörigen Rezeptor-Tyrosinkinasen (Vascular Endothelial Growth Factor Receptors, VEGFR) und induzieren so die Angiogenese, verstärken die Gefäßpermeabilität sowie Zellmigration und hemmen die Immun­antwort durch Makrophagen und Monozyten. Tivozanib ist ein Inhibitor aller drei VEGFR-Subtypen. Als Folge werden insbesondere die Blutversorgung und somit die Proliferation und die Metastasierung von malignen Tumoren wie dem Nierenzell­karzinom unterbunden.

Die Ergebnisse der Zulassungsstudie

Die Zulassung von Tivozanib basierte auf den Daten der TiVO-1-Studie. In der kontrollierten, multizentrischen, internationalen, randomisierten klinischen Phase-III-Studie wurde Tivozanib mit Sorafenib bei 517 Patienten mit rezidiviertem oder metastasiertem Nierenzellkarzinom verglichen. Laut Studienplan einer separaten Erweiterungsstudie war ein Wechsel zur Tivozanib-Gruppe gestattet, wenn unter Sorafenib eine Progression auftrat. Der primäre Endpunkt der Studie war das progressionsfreie Überleben. Die wichtigsten sekun­dären Endpunkte umfassten unter anderem das Gesamtüberleben und die objektive Response-Rate.

Tivozanib

Das progressionsfreie Überleben lag in der Tivozanib-Gruppe bei 11,9 Monaten vs. 9,1 Monaten in der Sorafenib-Gruppe; der Unterschied war statistisch signifikant (HR 0,797; p = 0,042). Was das Gesamtüberleben anbelangt, so wurden die Daten aller randomisierter Patienten ausgewertet, also auch der Patienten, bei denen eine Krankheitsprogression unter Sorafenib auftrat und die im Rahmen der Erweiterungsstudie zu Tivozanib wechselten. Das mediane Gesamtüberleben lag in der Tivozanib-Gruppe bei 28,2 Monaten im Vergleich zu 30,8 Monaten in der Sorafenib-Gruppe (HR = 1,147, p = 0,276). Dieses Ergebnis ist möglicherweise dem Cross-over geschuldet.

Häufig Hypertonie

Für die generelle Bewertung der Sicherheit und Verträglichkeit von Tivozanib wurden die gepoolten Daten von 674 Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom ausgewertet. Zu den häufigsten Nebenwirkungen jeglichen Grades gehörten Hypertonie (47,6%), Dysphonie (26,9%), Ermüdung (25,8%) und Diarrhö (25,5%). In der Zulassungsstudie zeigte Tivozanib ein günstigeres Nebenwirkungsprofil als Sorafenib, und nur 14% der Tivozanib-Gruppe benötigten eine Dosisreduktion gegenüber 43% der Sorafenib-Gruppe. In der Tivozanib-Gruppe traten weniger Diarrhöen (23% vs. 33%) und seltener ein Hand-Fuß-Syndrom (14% vs. 54%) auf als in der Sorafenib-Gruppe. Zu den Nebenwirkungen, die in der Tivozanib-Gruppe häufiger vorkamen als in der Sorafenib-Gruppe, gehören Hypertonie (44% vs. 34%) und Dysphonie (21% vs. 5%).

Dosierung und Interaktionen

Die empfohlene Dosis Tivozanib beträgt 1340 mg einmal täglich über 21 Tage hinweg, gefolgt von einer siebentägigen Pause, was einem kompletten Behandlungs­zyklus von vier Wochen entspricht. Dieser Behandlungsrhythmus sollte fort­gesetzt werden, bis eine Krankheitsprogression oder inakzeptable Toxizitäten auftreten; Dosismodifika­tionen (Dosisreduktion, Unterbrechen der Therapie bei Nebenwirkungen) sind möglich.

Tivozanib kann mit oder ohne Nahrung eingenommen werden. Die Kapseln müssen als Ganzes mit einem Glas Wasser geschluckt werden und dürfen nicht geöffnet werden. Interaktionen mit starken CYP3A4-Induktoren sind zu beachten. Die gleichzeitige Anwendung von Johanniskraut ist kontraindiziert. Nimmt ein Patient bereits Johanniskraut-Präparate ein, muss deren Einnahme mindestens zwei Wochen vor Beginn der Tivozanib-Therapie beendet werden.

Erste Wertung

Tivozanib erhöhte im Vergleich mit Sorafenib das progressionsfreie Überleben, nicht aber das Gesamtüberleben. Aufgrund seiner Wirksamkeit und eines anderen Sicherheitsprofils als Sorafenib erweitert Tivozanib die Behandlungsmöglichkeiten eines fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms. Einem Autor der Zulassungsstudie zufolge zeigt das Studienergebnis auch die Herausforderungen bei der Entwicklung eines neuen Medikaments zur Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms.

Ein neuer Wirkstoff muss sich gegen vier weitere Wirkstoffe derselben Klasse (Sorafenib, Sunitinib, Pazopanib und Axitinib) sowie gegen drei weitere zielgerichtete Wirkstoffe – Bevacizumab, Everolimus und Temsirolimus – behaupten. |

Quelle

Metha A et al. Tivozanib for the treatment of renal cell carcinoma: results and implications of the TIVO-1 trial. Future Oncol 2014;10(11):1819-1826, doi: 10.2217/fon.14.120

Motzer R. et al Tivozanib versus Sorafenib as initial targeted therapy for patients with metastatic renal cell carcinoma: Results from a phase III trial. J Clin Oncol 2013;31(30):3791–3799

Tivozanib: Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Fotivda. https://ec.europa.eu/health/documents/community-register/2017/20170824138483/anx_138483_de.pdf

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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