Arzneimittel und Therapie

Vitamin-D-Gabe nur bei echtem Mangel

Prävention beginnt schon im Herbst

rr | Es gibt gute Gründe, Vitamin D im Winter zu supplementieren – und ebenso welche, es nicht zu tun. Wie lauten die Empfehlungen für Deutschland? Der Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Jakob Linseisen vom Helmholtz Zentrum München nimmt Stellung.
Foto: Privat
Prof. Dr. Jakob Linseisen

DAZ: Treten Vitamin-D-Mangelzustände im Winter wirklich häufiger auf?

Linseisen: Vitamin D wird hauptsächlich im Fett- und Muskelgewebe des menschlichen Körpers gespeichert, geringere Mengen finden sich auch in der Leber. Die Speicherkapazität ist insgesamt relativ groß und trägt zur Vit­amin-D-Versorgung im Winter bei. Dennoch sinken die Vitamin-D-Spiegel über den Winter. Ein Vitamin-D-Mangel mit Serumwerten von 25 bis 30 nmol/l liegt bei einem nennenswerten Anteil der Bevölkerung auch in den Sommermonaten vor, am Ende des Winters ist dieser aber am höchsten.

DAZ: Welche Personen sollten Vitamin D im Winter supplementieren?

Linseisen: Von einem Vitamin-D-Mangel spricht man ab Serumkonzentrationen des Markers 25-Hydroxyvitamin-D von unter 25 bis 30 nmol/l. Von einer guten Vitamin-D-Versorgung in Bezug auf die Knochengesundheit spricht man, wenn die Blutkonzentration dieses Markers mindestens 50 nmol/l beträgt. Bei guter Vitamin-D-Versorgung im Herbst fallen die Vitamin-D-Spiegel im Winter nicht in einen gesundheitlich bedenklichen Bereich. Personen, für die eine solch gute Ausgangssituation jedoch nicht zutrifft, können von einer Vitamin-D-Zufuhr von 800 bis 1000 I.E. pro Tag profitieren. Weitgehend unabhängig von der Jahreszeit gehören zu den Risikogruppen für eine Unterversorgung Menschen, die sich kaum oder gar nicht im Freien aufhalten, vor allem ältere, in der Mobilität eingeschränkte Personen, oder Personen, die nur mit gänzlich bedecktem Körper nach draußen gehen, etwa aus kulturellen oder religiösen Gründen. Außerdem zählen zu den Risikogruppen Menschen mit einer dunklen Hautfarbe, da sie weniger Vitamin D bilden können als Menschen mit heller Haut. Auch Säuglinge stellen eine Risikogruppe für eine Vitamin-D-Unterversorgung dar.

DAZ: Wie lange sollte man sich pro Tag im Freien aufhalten, um die Vitamin-D-Synthese zu stimulieren?

Linseisen: In der wärmeren Jahreshälfte sollte man bewusst darauf achten, die Vitamin-D-Versorgung unseres Körpers zu sichern. In Deutschland ist es für Erwachsene ausreichend, ein Viertel der Körperoberfläche (Gesicht, Hände und Teile von Armen und Beinen) zwischen 12 und 15 Uhr je nach Hauttyp und Jahreszeit fünf bis 25 Minuten regelmäßig der Sonne auszusetzen. Die Intensität des UV-Lichtes im Winter ist jedoch insgesamt zu gering, um die Aktivität der für die Vitamin-Synthese bestimmenden Enzyme in der Haut zu aktivieren.

DAZ: Ändert sich dies beispielsweise beim Wintersport im Hochgebirge?

Linseisen: Bei strahlendem Sonnenschein in den Bergen kann die Vitamin-D-Bildung in der Haut angeregt werden. In der Regel ist allerdings nur ein sehr kleiner Teil unserer Haut unbedeckt, meist das Gesicht. Aufgetragene Sonnencreme verhindert Gefahren für die Gesichtshaut, blockiert gleichzeitig aber auch die Vitamin-D-Synthese. Von einem nennenswerten Beitrag für die Vitamin-D-Versorgung kann somit nicht ausgegangen werden.

DAZ: Was können Ärzte und Apotheker Patienten in der Winterzeit in Hinblick auf Vitamin D raten?

Linseisen: Personen mit einem echten Vitamin-D-Mangel (Serumwerte unter 25 bis 30 nmol/l) sollte die Einnahme von Vitamin-D-Supplementen empfohlen werden. Ansonsten hängt die Empfehlung für eine Einnahme von Vitamin-D-Präparaten davon ab, ob die Personen im kommenden Frühjahr durch bewusste und regelmäßige Sonnenexposition ihre Vitamin-D-Versorgung selbst verbessern können. Für spezifische Patientengruppen mögen aber Ausnahmen gelten, die der Arzt in seine Therapieentscheidung mit einbeziehen muss.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch! |

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