Medizin

„Ein erster, wichtiger Schritt“

Wie Botulinumtoxin gegen neuropathische Schmerzen wirken könnte

Prof. Dr. Claudia Sommer von der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Würzburg ist Koautorin der BOTNEP-Studie (Botulinumtoxin A in peripheral neuropathic pain), die vor wenigen Monaten in der Fachzeitschrift Lancet Oncology erschienen ist. Darin konnten nach zwei Injektionsserien von Botulinumtoxin A bzw. Placebo im Abstand von zwölf Wochen die peripheren neuropathischen Schmerzen in der Verumgruppe signifikant stärker gelindert werden als in der Placebogruppe.
Foto: Universität Würzburg
Prof. Dr. med. Claudia Sommer

DAZ: Frau Professor Sommer, welches war die Rationale für die BOTNEP-­Studie?

Sommer: Wenn eine Substanz in einer Indikation erfolgreich ist, besteht häufig ein großes Interesse daran, zu untersuchen, ob sie nicht auch bei anderen Krankheiten wirken könnte. So war es auch im Fall von Botulinumtoxin A, dessen Einsatzgebiete ja in den letzten Jahren immer wieder erweitert worden sind. In der Indikation neuropathischer Schmerz gab es bereits kleinere Untersuchungen mit vielversprechenden Ergebnissen. Daher lag der Gedanke nahe, eine etwas größere, methodisch hochwertige Studie zu konzipieren.

DAZ: Sie haben in Hautbiopsien einiger Probanden den Gehalt an Substanz P und Calcitonin-gene-related Protein bestimmt, allerdings nicht, wie erwartet, Unterschiede zwischen Verum- und Placebogruppe gefunden.

Sommer: Eine der Hypothesen, wie Botulinumtoxin gegen neuropathische Schmerzen wirken könnte, beruht ja darauf, dass es die Freisetzung dieser beiden Neuropeptide hemmt. In Modellen und Tierversuchen war das auch so, und auch bei der chronischen Migräne ist dies ein möglicher Wirkmechanismus. Wir konnten es zwar nicht zeigen, aber das bedeutet nicht automatisch, dass unsere Hypothese falsch ist. Denn man erfasst ja mit einer solchen Untersuchung immer nur einen Ausschnitt, sowohl in der Zeit als auch im Raum. Auch für die Hypothese, dass der Wirkmechanismus über einen zentralen Mechanismus erfolgt, gibt es noch nicht genügend Beweise.

DAZ: In der Studie wurde der Injektionsbereich mit einer anästhesierenden Creme behandelt, außerdem erhielten die Patienten eine Kurznarkose. Ist eine solche Narkose unbedingt notwendig, oder könnte man darauf auch verzichten?

Sommer: Das ist sicher ein Fakt, der momentan noch zwischen diesen ermutigenden Ergebnissen und der breiten Anwendung steht. Bei der Therapie der chronischen Migräne, für die Botulinumtoxin ja bereits zugelassen ist, wird keine Narkose durchgeführt, und die Patienten tolerieren diese Behandlung gut. Um eine praxisnahe Anwendung zu ermöglichen, müsste die Narkose entfallen. Dagegen stellt die Lokalanästhesie mit der Creme aus meiner Sicht keinen so großen Aufwand dar.

DAZ: Gibt es schon Erkenntnisse aus den bisherigen Untersuchungen, in welchen Zeitabständen die Injektionen wiederholt werden müssten?

Sommer: Nein, das wissen wir noch nicht genau. Ich kann aber aus meinen Erfahrungen in der Anwendung von Botulinumtoxin bei chronischer Migräne berichten. Dabei können die Injektionen laut Zulassung nach drei Monaten wiederholt werden. Tatsächlich bemerken viele Patienten nach dieser Zeitspanne, dass die Symptome zurückkehren. Wir haben aber Patienten, die sich erst nach einem Jahr wieder melden. Für diese großen interindividuellen Unterschiede haben wir noch keine befriedigende Erklärung. Ich könnte mir vorstellen, dass es sich bei den neuropathischen Schmerzen ähnlich verhält.

DAZ: Wie lange könnte es Ihrer Meinung nach noch dauern, bis Botulinumtoxin bei neuropathischen Schmerzen eine Zulassung erhält?

Sommer: Das lässt sich derzeit nicht abschätzen. Man muss dazu wissen, dass unsere Studie nicht von einem Botulinumtoxin-Hersteller unterstützt wurde, es war eine sogenannte Investigator-initiierte Studie. Finanzielle Unterstützung erhielt unsere Gruppe um Dr. Nadine Attal von zwei unabhängigen Geldgebern aus Frankreich, dem Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale (INSERM) und einer Stiftung, der Fondation CNP. Wenn eine Firma an dieser neuen Indikation Interesse hätte, müssten ja zunächst Zulassungsstudien durchgeführt werden. Insofern war unsere Studie ein erster, wichtiger Schritt, aber sicher noch nicht der entscheidende.

DAZ: Herzlichen Dank für das Gespräch! |

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