Arzneimittel-Versorgung

„Praxisferne Erwartungen“

Ina Hofferberth, LAV Baden-Württemberg, über die Regelungen zum Entlassmanagement

STUTTGART (jb) | Zum 1. Oktober startet das Entlassmanagement, von da an können Entlassrezepte in den Apotheken auftauchen. Dabei sind einige Besonderheiten zu beachten (s. auch Seiten 22 und 27 dieser DAZ), die jedoch teilweise sehr praxisfern erscheinen. Auch Ina Hofferberth, Geschäftsführerin des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg und auch für den Deutschen Apothekerverband erfahren in Verhandlungen mit den Kassen, kritisiert etliche der neuen Regelungen – und dass die Apothekerschaft bei ihrer Festlegung nicht involviert war.
Foto: LAV Baden-Württemberg
Kritisiert praxisferne Regelungen und zu viel Bürokratie beim Entlassrezept: Ina Hofferberth, Geschäftsführerin des LAV Baden-Württemberg

DAZ: Die Apothekerschaft war ja nicht aktiv in die Gestaltung des Entlassmanagements eingebunden, obwohl es sie sehr wohl betrifft.

Hofferberth: Wären wir, wie wir das ja deutlich gefordert haben, an dem Vertrag über das Entlassmanagement beteiligt worden, hätten wir viele jetzt noch ungeklärte Punkte angesprochen und eine Regelung bzw. eindeutige vertragliche Klärung insbesondere mit dem GKV-Spitzenverband angestrebt.

DAZ: Was ist denn unklar geblieben?

Hofferberth: Das sind beispielsweise folgende Punkte, die in der Apotheke mangels entsprechender Daten gar nicht geprüft werden können:

  • Ausstellungsdatum ist nicht der Entlasstag.
  • Lebenslange Arztnummer (LANR) wird nicht korrekt verwendet, es ist keine Fachgruppennummer.
  • Betriebsstättennummer (BSNR) ist nicht die versorgungsspezifische Betriebsstättennummer.

Ferner fehlen viele Regelungen. Zum Beispiel:

  • Was ist, wenn nicht der vereinbarte Vordruck für die Verordnung von Arzneimitteln verwendet wurde?
  • Was soll gelten, wenn die verordnete N1-Packung nicht lieferbar, verfügbar oder nicht im Handel ist?
  • Wie kann bei der Verordnung von Blutzuckerteststreifen ein Bedarf von 7 Tagen ermittelt werden? Es gibt nur Packungsgrößen mit 25, 50 und 100 Teststreifen. Reicht eine Bedarfsanfrage beim Patienten?
  • Oder bei der Verordnung von Medizinprodukten: Wie ist der Bedarf für 7 Tage zu erfüllen, wenn die kleinste Packungsgröße 10 Tagesdosen enthält?
  • Unklar ist für uns auch: Sind die vereinbarten Vordrucke auch abrechnungsfähig für die Rechenzentren? Wurde das im Vorfeld geklärt?
  • Und zusätzlich bei Hilfsmittelverordnungen: Was ist bei fehlender Diagnose? Muss der Patient dann mit dem Rezept zurück in die Klinik geschickt werden? Wie soll in der Apotheke der tatsächliche 7-Tages-Bedarf bei Hilfsmitteln ermittelt werden?

Sie sehen, Fragen über Fragen und das sind bei Weitem nicht alle. Aber genau diese Fragen hätten wir in den Vertragsverhandlungen gestellt.

DAZ: Wie hätten Sie versucht diese Punkte zu regeln, wenn der DAV mit am Tisch gesessen hätte?

Hofferberth: Unser Anliegen in den Vertragsverhandlungen wäre gewesen, dass hier die schnelle, lücken- und reibungslose Versorgung der Patienten im Vordergrund steht. Da dürfen keine bürokratischen Hürden aufgebaut und übertriebenen Anforderungen an formalistische Dinge gestellt werden. Wir hätten in den Vertragsverhandlungen darum gekämpft, dass die Sicherstellung der Versorgung des Patienten das primäre Ziel dieser Vereinbarung wird. Hierfür müssen auch die Krankenkassen zum „Ab- und Zugeben“ bereit sein, sonst geht das nicht. Die vielfältigen Erfahrungswerte der Apotheker aus der alltäglichen Praxis hätten wir gerne in die Verhandlungen mit eingebracht.

DAZ: Welche Punkte sind denn in Ihren Augen zu bürokratisch geregelt?

Hofferberth: Natürlich werde ich jetzt keine Liste von weiteren Punkten aufzählen, an der sich dann Prüfzentren und Dienstleister der Krankenkassen abarbeiten könnten. Aber der Vertrag enthält schon einige Anforderungen an die Entlassverordnungen, die zum Anlass genommen werden könnten, die Verordnungen als „nicht ordnungsgemäße Verordnungen“ zu deklarieren – verbunden mit der Erwartungshaltung der Kassen in Richtung eines Prüfauftrages an die Apotheker und damit mit der Konsequenz, dass diese Verordnungen im Zweifel sogar zurück an den ausstellenden Arzt müssen.

Ich glaube, ich brauche nicht weiter auszuführen, wie praxisfern solche Erwartungen in der konkreten Entlass­situation sind. Hier fiele mir auch noch die kurze Gültigkeitsdauer von Arzneimittelverordnungen ein. Ob der Patient bzw. die Angehörigen in der Entlass­situation auch an die 3-Tages-Frist denken? Und was, wenn nicht? Oder: Werden die verordnenden Ärzte im stressigen und hektischen Krankenhausalltag nicht überfordert mit den vereinbarten (formalen) Anforderungen an die Entlassverordnungen? Und was, wenn eben nicht alles „passt“? Soll der Patient dann von den Apotheken zurück in die Klinik geschickt werden? Und was passiert, wenn der Apotheker trotzdem versorgt?

DAZ: Fürchten Sie, dass Krankenkassen diese praxisfernen Regelungen gezielt zu Retaxationen nutzen?

Hofferberth: Es kann nicht sein, dass alle Beteiligten sich im Sinne der lückenlosen, reibungslosen und schnellen Versorgung von Patienten, die aus dem Krankenhaus entlassen werden, bemühen und einige Monate später sind die Apotheken dann die „Gekniffenen“, wenn sie aus teilweise fadenscheinigen formalen Gründen womöglich keine oder nur eine gekürzte Vergütung für die Versorgung erhalten. Und aus der Vergangenheit wissen wir ja, dass es unter den Krankenkassen schon einige – Gott sei Dank aber nicht alle – gibt, die Retaxationen als willkommene Aufbesserung ihrer Finanzsituation missbrauchen.

Hierzu aber meine ganz klare und unmissverständliche Ansage: Das werden wir uns nicht gefallen lassen!

DAZ: Wie wird es weitergehen?

Hofferberth: Natürlich hoffe ich, dass sich unsere Befürchtungen nicht bewahrheiten werden. Ich hoffe, dass all unsere offenen Fragen schnellstmöglich geklärt werden. Ich hoffe auch auf das Augenmaß der Krankenkassen und dass diese ihre Prüfzentren und erfolgsorientierten Rezeptprüfdienstleister bereits im Vorfeld auf die besonderen Umstände in der Krankenhausentlasssituation aufmerksam machen. Und ich hoffe, dass alle (!) Krankenkassen ihre bei ihnen versicherten Patienten im Fokus behalten, die sich in diesen Momenten in absoluten Ausnahmesituationen befinden.

Wünschen würde ich mir auch krankenkassenseits viel Verständnis für die Ärzte im Krankenhaus, die ja anders als niedergelassene Ärzte mit dem Ausstellen von Verordnungen noch nicht so routiniert sind und die im Alltagsbetrieb noch weniger Zeit haben, sich mit den formalen Verordnungserfordernissen auseinanderzusetzen. Denn auch das darf weder zulasten der Patienten noch der Apotheken gehen!

DAZ: Frau Hofferberth, vielen Dank! |

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