Deutscher Apothekertag 2017

Systemwechsel

Ein Kommentar von Doris Uhl

Dr. Doris Uhl, DAZ-Chefredakteurin

Schon seit Jahren wird landauf und landab über Ursachen von Lieferengpässen diskutiert und nach Lösungsmöglichkeiten gesucht. Im PharmaDialog sollten die Hersteller in die Pflicht genommen werden, doch gebessert hat sich die Situation nicht. Im Gegenteil: Konnten vor einem Jahr noch mit viel Kreativität und pharmazeutischem Sachverstand gleichwertige Alternativen für nicht lieferbare Arzneimittel gefunden werden, haben heute Apothekerinnen und Apotheker zunehmend mit handfesten Versorgungsengpässen zu kämpfen. Immer häufiger fehlen Arzneimittel, für die es keine adäquate Alternative gibt, immer häufiger können Patienten nicht mehr optimal versorgt werden.

Beispiel Diphtherie-Antitoxin. Die gesetzlich vorgeschriebene Notfallbevorratung mit diesem essenziellen Arzneimittel durch die Apothekerkammern gestaltet sich immer schwieriger. Europaweit ist zurzeit kein einziges zugelassenes Präparat mehr erhältlich. Es muss auf Importe zurückgegriffen werden, für die es keine Zulassung gibt, deren Qualität und Unbedenklichkeit nicht garantiert werden können und bei deren Anwendung die Haftung beim abgebenden Apotheker und anwendenden Arzt liegt. Verständlich, dass Arzt und Apotheker sich dagegen wehren. Und so wurde in einem mit großer Mehrheit angenommenen Ad-hoc-Antrag der Gesetzgeber auf dem Deutschen Apothekertag aufgefordert, sicherzustellen, dass bei Nichtverfügbarkeit zugelassener Notfallarzneimittel keine qualitativ minderwertigen Arzneimittel angewendet werden, für die Arzt und Apotheker das alleinige Haftungsrisiko tragen. Der Gesetzgeber soll die Versorgung mit zugelassenen Notfallarzneimitteln sicherstellen, so die Forderung. Doch wie soll das geschehen? Der Gesetzgeber kann bislang keinen pharmazeutischen Unternehmer zur Herstellung von Arzneimitteln verpflichten. Er kann nur Anreize schaffen, sprich Geld in die Hand nehmen, ein lohnendes Geschäft versprechen und hoffen, dass sich ein pharmazeutischer Unternehmer bereit erklärt, die notwendigen Arzneimittel in entsprechender Qualität und ausreichender Menge herzustellen.

Wenn der Gesetzgeber bzw. der Staat das nicht möchte oder nicht dazu in der Lage ist, weil die Kosten das System sprengen würden, dann müsste er eigentlich selber in die Bresche springen und zumindest für essenzielle Arzneimittel eine staatliche Herstellung anordnen. Das wäre selbstverständlich ein Systemwechsel, über den niemand sprechen möchte.

Doch wenn Lieferengpässe zu Versorgungsengpässen werden und die Probleme sich marktwirtschaftlich nicht lösen lassen, dann könnte der Staat schon allein aus Gründen der Daseinsfürsorge einfach in die Pflicht geraten, diesen Systemwechsel vorzunehmen.

Darüber sollten zumindest alle, denen die soziale Marktwirtschaft am Herzen liegt, einmal intensiv nachdenken.

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