Arzneimittel und Therapie

Mit Statinen gegen Multiple Sklerose?

Erste Indizien sprechen für eine hoch dosierte Statin-Therapie

Etwa die Hälfte der Patienten mit Multipler Sklerose (MS) leidet an kognitiven Störungen. Die thera­peutischen Möglichkeiten sind insbesondere bei der progredienten ­Verlaufsform begrenzt. Vor drei ­Jahren weckte eine britische Studie Hoffnungen auf eine neue Behandlungsoption: eine hoch dosierte Statin-Therapie. Jetzt liegen die Ergebnisse der ­Sekundäranalyse vor.

Insbesondere für die sekundär progrediente MS (SPMS) stehen nur begrenzt Therapieoptionen zur Verfügung. Der Einsatz von krankheitsmodifizierenden Arzneimitteln, Acetylcholinesterase-Inhibitoren, kognitiver Rehabilitation und körperlicher Bewegung zeigte in Studien keinen eindeutig belegten Nutzen. Auf der Suche nach therapeutischen Alternativen rückten die Statine aufgrund ihrer immunmodulatorischen und potenziell neuroprotektiven Effekte ins Blickfeld. Indizien für die Wirksamkeit von Statinen bei Multipler Sklerose lieferte im Jahr 2014 eine im Lancet veröffentlichte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-II-Studie (MS-STAT Studie).

Hirn-Atrophie verringert

In die Untersuchung wurden 140 Patienten mit SPMS eingeschlossen. Die Teilnehmer erhielten randomisiert über einen Zeitraum von zwei Jahren entweder 80 mg Simvastatin pro Tag (n = 70) oder Placebo (n = 70). Primärer Endpunkt war die mittels Kernspin­tomografie detektierte Verminderung des Hirnvolumens. Die Atrophie-Rate betrug in der Simvastatin-Gruppe 0,288% pro Jahr und war damit im Vergleich zur Placebo-Gruppe mit einer jährlichen Atrophie-Rate von 0,584% relativ um 43% vermindert. Zusätzlich wurde ein positiver Effekt auf den Grad der Behinderung dokumentiert. Ein günstiger Einfluss auf den klinischen Verlauf (neue Läsionen oder klinische Schübe) konnte jedoch nicht gezeigt werden – die klinische Relevanz blieb unklar.

Kognition und Lebensqualität …

Aufschluss über die Statin-Wirkung in Bezug auf kognitive und neuropsychiatrische Parameter sowie die gesundheitsbezogene Lebensqualität sollte die MS-STAT-Studie darüber hinaus durch eine vorab geplante Sekundäranalyse geben.

Deren Ergebnisse wurden kürzlich im Journal „Lancet Neurology“ publiziert.Kognitive und neuropsychiatrische Kenngrößen wurden unter Anwendung zahlreicher Testverfahren zu Studienbeginn sowie nach 12 und 24 Monaten ermittelt. Zu den gleichen Zeitpunkten erfolgte die Evaluierung der gesundheitsbezogenen Lebens­qualität mithilfe des Short Form (36)-Gesundheitsfragebogens (SF-36) Version zwei.

In einer Post-hoc-­Analyse wurde die mögliche Auswirkung einer Statin-Therapie auf das Frontallappenvolumen untersucht. Entsprechende MRT-Untersuchungen fanden zu Studienbeginn sowie nach 12 und 25 Monaten statt.

… verbessert

Bessere Ergebnisse zeigten die Patienten unter der Statin-Therapie im Vergleich zur Kontrollgruppe in der sogenannten „Frontal Assessment Battery (FAB)“ (Punkteabstand von 1,2 Punkten [95% CI 0,2–2,3]) nach einem Behandlungszeitraum von zwei Jahren. Mit dem FAB-Test werden Kognition und Verhalten überprüft. Er wird unter anderem zur Diagnose­sicherung der frontotemporalen Demenz herangezogen.

Neben den besseren FAB-Testergebnissen wiesen die mit Statinen behandelten Patienten auch eine verbesserte physische Lebensqualität auf, abge­bildet durch eine Punktdifferenz von 2,5 Punkten [95% CI 0,3–4,8; p = 0,028] in der körperlichen Komponente des Fragebogens SF-36.

Diese Unterschiede waren jedoch nicht mit einer Veränderung des Frontallappenvolumens assoziiert, welches in beiden Studiengruppen ähnlich war.

Darüber hinaus konnte für keine ­weitere Zielgröße der umfangreichen Testbatterie ein signifikanter Unterschied zugunsten der Statin-Therapie gezeigt werden.

Die vielen Gesichter der MS

Foto: Aamon – stock.adobe.com

Eine Erkrankung mit vielen Gesichtern! So wird die Multiple Sklerose (MS) aufgrund ihrer vielschichtigen Symptomatik auch bezeichnet. Verantwortlich für das breite Symptom-Spektrum sind die im zentralen Nervensystem verstreut auftretenden „Entmarkungsherde“.

Neben der körperlichen Beeinträchtigung leiden ca. 50% der MS-Patienten unab­hängig von der Phase der Erkrankung an kognitiven Störungen, wie z. B. Einschränkungen der Aufmerksamkeits- und Gedächtnisfunktionen sowie der exe­kutiven Kontrolle. Diese können die Betroffenen in ihren Alltagsaktivitäten einschränken und zu einer Reduktion der Lebensqualität führen.

Wie, ist unklar

Als wesentliche Limitation der Studie erachten die Autoren ein mögliches Confounding durch Begleiterkrankungen, die in der Analyse nicht berücksichtigt wurden. Hinzu kommt, dass diese Sekundäranalyse primär auf die Evaluierung der Frontalhirnfunktion ausgerichtet war. Grund hierfür war die Annahme, dass bei Patienten mit SPMS insbesondere jene beeinträchtigt ist. Es bleibt offen, warum es unter der Statin-Gabe zu einer Verbesserung kam, ohne dass ­Veränderungen in den Frontallappen­volumina zu verzeichnen waren.

Eine mögliche Erklärung der Autoren ist, dass andere bildgebende Verfahren geeignetere Prädiktoren für die Frontalhirnfunktion darstellen als das hier untersuchte Frontallappen­volumen.

Phase-III-Studie initiiert

Die Autoren messen den Studiener­gebnissen eine hohe Bedeutung bei, auch wenn nur für zwei der Ziel­größen ein Behandlungseffekt zu ­verzeichnen war. Sie fordern weiter­führende Studien zur Evaluierung möglicher Therapieeffekte in Bezug auf Kognition und Lebensqualität bei MS-Patienten. Eine korrespondierende Phase-III-Studie zur Statin-Therapie in einem Kollektiv von 1180 Patienten mit SPMS über einen Zeitraum von drei Jahren wurde bereits auf den Weg gebracht. |

Quellen

Filippi M, Rocca MA. Comment: Simvastatin and cognition in multiple sclerosis. Lancet Neurol 2017;16(8):572-573

Chan D. Effect of high-dose simvastatin on cognitive, neuropsychiatric, and health-related quality-of-life measures in secondary progressive multiple sclerosis: secondary analyses from the MS-STAT randomised, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2017;16(8):591-600

Carina John, Pharm.D.

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