Deutscher Apothekertag 2017

Arzneimittelversand weiter gedacht

Ein Kommentar von Thomas Müller-Bohn

Dr. Thomas Müller-Bohn, DAZ-Redakteur

ABDA-Präsident Friedemann Schmidt hat in seinem Lagebericht einige interessante Betrachtungen zum Verhältnis zwischen Vor-Ort- und Versandapotheken angestellt. Bei einem Prozent Anteil an der Rx-Versorgung sei es noch hinnehmbar, den Versand als Ausnahme zu betrachten, für die einige andere Regeln gelten. Doch bei Anteilen von zehn oder 20 Prozent, wie sie von ausländischen Versendern angestrebt werden, sei der Versand keine Ausnahme mehr. Dann stelle sich für die Vor-Ort-Apotheken eine wichtige Frage: Wie verbindlich sind Vorschriften, wenn man sie abwählen kann? Diese von Schmidt sicherlich rhetorisch gemeinte Frage verdient, in einem Gedankenspiel weiter gedacht zu werden.

Wenn die Belieferung nach zwei Tagen als ausreichend betrachtet wird, könnten Logistik und Lagerhaltung erheblich vereinfacht werden, was Kosten sparen würde. Insbesondere der Notdienst wäre dann ein freiwilliges Angebot. Wer die Nachtdienstpauschale als Honorar attraktiv findet oder sich an einem außergewöhnlichen Standort nachts ein gutes Geschäft verspricht, wäre auch nachts dienstbereit – die Anderen nicht. Mindestöffnungszeiten bräuchte es dann auch nicht zu geben. Wenn Betäubungsmittel, Kühlware und Arzneimittel auf T-Rezepten nicht mehr vom Kontrahierungszwang erfasst wären, könnten nicht nur kostendeckende, sondern sogar marktgerechte Zusatzgebühren dafür erhoben werden. Rezepturen könnten bei zwei Tagen Lieferzeit auf lokaler Ebene zusammen­geführt und damit kostengünstiger hergestellt werden.

Das alles wären massive Angriffe auf fundamentale berufspolitische Positionen. Doch diese Gedanken sind nur Kleinigkeiten im Vergleich zu einer weiteren Konsequenz, die sich als Analogie aus den Anforderungen an den Versand ableiten lässt. Wenn ein Postbote Arzneimittel aushändigen darf, sollte das auch jeder andere ohne pharmazeutische Kenntnisse tun können. Ein Apotheker muss kontrollieren, ob dem Rezept die richtigen Arzneimittel zugeordnet sind und ob sich pharmazeutische Probleme ergeben. Den Rest könnten Automaten oder ungelernte Kräfte erledigen – Hüffenhardt lässt grüßen. Wenn der Patient eine Frage hat, könnte er einen Apotheker oder eine PTA rufen lassen. Das wäre sicherlich der größte Unterschied zur bewährten Apotheke.

Der Wegfall weiterer Vorschriften erscheint dagegen eher marginal, obwohl sie einigen Vor-Ort-Apothekern Sorgen und Kosten bereiten: Diskretionsabstand, Barrierefreiheit, die Öffnung von Türen zu angrenzenden Ladenpassagen und viele weitere Probleme würden sich er­übrigen. Das alles wäre freiwillig. Denn wenn der Patient oder – in einer solchen Welt treffender – der Verbraucher entscheiden dürfte, was ihm wichtig ist und was nicht, regelt das der Markt und nicht der Verordnungsgeber. Die Apothekenbetriebsordnung würde dann auf sehr wenige Paragrafen schrumpfen.

Doch wer will das? Wer will die bewährten Strukturen der Arzneimittelversorgung nahezu komplett der Beliebigkeit opfern? Vermutlich so gut wie niemand. Denn die Patienten schätzen das Apotheken-A als Versprechen, bei dem klar ist, was dort mindestens zu erwarten ist. Und die Politik verlässt sich darauf, dass die Apotheken überall und zu jeder Zeit ihren kompletten Versorgungsauftrag erfüllen. Darum ist dieses zugegebenermaßen etwas verwegene Gedankenspiel ein wesentliches Argument für das Rx-­Versandverbot. Denn wenn der Versand nicht nur eine Ausnahme, sondern ganz normale Versorgung sein soll, gibt es keine Rechtfertigung, den Vor-Ort-Apotheken viel strengere Vorschriften zu machen – es sei denn, sie würden deutlich besser honoriert als der Versand.

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