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Wenn sich Mehrarbeit nicht lohnt …

Vom Wirtschaftswachstum profitieren nur Gutverdiener

„Wer wenig hat, wird stärker belastet: Steuer- und Sozialsystem benachteiligt Geringverdiener“, heißt es in einer Pressemeldung der Bertelsmann Stiftung vom 17. August. In die gleiche Kerbe schlägt ein Beitrag der Süddeutschen Zeitung vom 22. August unter der Schlagzeile „Deutschland hat ein Lohnproblem“: Die Kaufkraft der unteren 40 Prozent der Einkommensempfänger sei heute geringer als vor 20 Jahren.

Grenzsteuersatz und effektive Grenzbelastung – was ähnlich klingt, ist in der Realität spürbar unterschiedlich:

Der Grenzsteuersatz gibt an, wie viel von einem zusätzlich verdienten Euro an Einkommensteuer abgezogen wird. Er steigt mit zunehmendem Einkommen progressiv an bis zum Spitzensteuersatz. Das ist aus Sicht des Sozialstaates auch gewollt, denn „breite Schultern können mehr tragen“.

Die effektive Grenzbelastung, die Wissenschaftler des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) für eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung untersucht haben, gibt dagegen an, welcher Anteil eines zusätzlich verdienten Euros durch Sozialabgaben, Einkommensteuer sowie den Entzug von Sozialleistungen (Wohngeld, Kinderzuschlag u. a.) wieder abgegeben werden muss. Hier schneiden Geringverdiener deutlich schlechter ab als Haushalte mit hohem Einkommen. Die Bertelsmann-Studie zeigt dies anhand von Musterhaushalten (jeweils Bruttojahreseinkommen):

  • Singlehaushalt, 17.000 €: Die Grenzbelastung liegt bei 100%, vom hinzuverdienten Geld bleibt nichts übrig. Singlehaushalt, 75.000 €: Die Grenzbelastung liegt bei 44%, von 1 Euro bleiben 56 Cent in der Haushaltskasse.
  • Ehepaar mit 2 Kindern und Alleinverdiener, 40.000 €: Grenz­belastung 44%; ebenso, 90.000 €: Grenzbelastung 34%.
  • Alleinerziehende, bis 23.800 €: Grenzbelastung über 60%; Alleinerziehende, ab 41.000 €: Grenz­belastung 44%.

In einigen Fällen fanden die Autoren sogar Grenzbelastungen von über 120 Prozent! „Ein hinzuverdienter Euro führt damit zu 20 Cent netto weniger im Portemonnaie“, so Manuela Barišić von der Bertelsmann Stiftung.

„Mehr Arbeit und Lohn müssen sich für die Krankenschwester genauso auszahlen wie für den Unternehmensberater“, kommentiert Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Denn dass sich mehr Erwerbsarbeit lohnt, sei ein zentrales Prinzip der sozialen Marktwirtschaft.

Als Maßnahmen fordern die Autoren eine bessere Abstimmung von Steuern und Transferleistungen wie Kinder­zuschlag, Wohngeld und ALG II sowie eine Umstellung des Ehegattensplittings auf ein Realsplitting. Letzteres würde auch Fehlanreize im Arbeitsmarkt bei Frauen reduzieren.

„Stachel im Zusammenhalt Deutschlands“

Auch das Bundeswirtschaftsminis­terium warnt vor einer sich öffnenden Einkommensschere. „Im Jahr 2015 waren die realen Bruttolöhne der unteren 40 Prozent zum Teil deutlich niedriger als 1995“, heißt es in einem internen Papier. Staatssekretär Matthias Machnig sagte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dies bedeute, dass ein Großteil „unserer Bevölkerung nicht mehr vorankommt. Den Kindern geht es auf einmal schlechter als ihren Eltern.“ Aus Sicht des Ministeriums müssten untere Einkommen entlastet werden und für Frauen müsste das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ endlich durchgesetzt werden. Denn die Ungleichheit gefährde den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Ein weiterer Grund für diese Forderungen: Der private Konsum war zuletzt der stärkste Motor für das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (mit 1,1 von insgesamt 1,9 Prozentpunkten) – und soll es auch bleiben. |

sjo

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