Arzneimittel und Therapie

Kardiovaskulärer Nutzen ein Klasseneffekt?

Nicht nur Empagliflozin scheint Diabetiker vor Herzinfarkt und Schlaganfall zu schützen

Die Daten der EMPA-ReG-Outcome-Studien zur Senkung der kardiovaskulären Mortalität mit dem SGLT-2-Inhibitor Empagliflozin waren so überzeugend, dass die Deutsche Diabetes Gesellschaft schon 2015 eine Indikation für dieses Gliflozin für alle Diabetiker mit kardiovaskulärer Vorerkrankung gesehen hat. Gilt das auch für die SGLT-2-Inhibitoren Dapagliflozin und Canagliflozin? Prof. Dr. med. Gallwitz, Leiter der endokrinologischen Ambulanz des Universitätsklinikums Tübingen, hat sich die Studienlage angeschaut.
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Prof. Dr. med. Baptist Gallwitz

Auf der Jahrestagung der Amerikanischen Diabetesgesellschaft (American Diabetes Association ADA) wurden im Juni neue Studiendaten zur Klasse der SGLT-2-Hemmer (SGLT-2 = sodium ­dependent glucose transporter 2) vorgestellt. SGLT-2-Hemmer, auch „Gliflozine“ genannt, sind oral wirksame Medikamente zur Behandlung des Typ-2- Diabetes. Sie senken die Plasmaglucose, indem sie nach der physiologisch stattfindenden, fast vollständigen glomerulären Filtration von Glucose deren tubuläre Rückresorption aus dem proximalen Tubulus hemmen. Andere Formen der SGLTs finden sich in anderen Organen, der SGLT-2 ist für den proximalen Tubulus der Niere spezifisch. Die Hemmung der tubulären Rückresorption von Glucose führt dazu, dass überschüssige Glucose mit dem Urin ausgeschieden und so die Glykämielage verbessert wird. SGLT-2-Hemmer haben kein intrinsisches Hypoglykämierisisko. Über die Glukosurie, die in etwa einem kalorischen Äquivalent von ca. 300 bis 400 kcal pro Tag beträgt, wird auch der in Studien beobachtete Gewichtsverlust von ca. 2 bis 3 kg erklärt. Zusätzlich kommt es zu einer leichten Volumendepletion und einer Blutdrucksenkung von ca. 4 mmHg. Ende 2015 wurden für den SGLT-2-Inhibitor Empagliflozin erstmals positive Endpunktdaten für kardiovaskuläre Outcomes in der EMPA-REG-Outcome-Studie gezeigt. In dieser Studie hatten Patienten mit zu­sätzlicher Empagliflozin-Therapie gegenüber antidiabetischer Standardtherapie einen signifikanten Vorteil mit Verminderung des kombinierten primären Endpunkts aus nichttödlichem Myokardinfarkt und nichttödlichem Schlaganfall sowie der kardiovaskulären Todesfälle. Auch die Gesamtsterblichkeit und das Auftreten von Herzinsuffizienz wurde signifikant vermindert. Renale Endpunkte wurden ebenfalls gebessert [1, 2].

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Alle gleich? Empagliflozin senkt bei Diabetikern das kardiovaskuläre Risiko, Canagliflozin- und Dapagliflozin-Daten legen nahe, dass auch diese SGLT-2-Hemmer dazu in der Lage sind.

Die bei der Jahrestagung der ADA jetzt vorgestellten kardiovaskulären Daten zum SGLT-2-Hemmer Canagliflozin weisen in die gleiche Richtung und bestätigen die Befunde der EMPA-REG-Outcome-Studie. Das CANVAS-Programm zur Untersuchung der makrovaskulären und renalen Endpunkte für Canagliflozin umfasste zwei Studien, in denen zusammengenommen etwas mehr als 10.000 Patienten mit Typ-2-Diabetes und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko untersucht wurden [3]. Die Patienten erhielten zur Standardtherapie zusätzlich entweder Canagliflozin oder Placebo und wurden im Mittel über einen Zeitraum von 188 Wochen beobachtet. Der primäre Endpunkt war der gleiche wie in der EMPA-REG-Outcome-Studie (nichttödlicher Myokardinfarkt, nichttödlicher Schlaganfall und kardiovaskulärer Tod). Die Studienteilnehmer waren im Mittel 63 Jahre alt, hatten eine Diabetesdauer von 13,5 Jahren und ca. 2/3 der Patienten hatten eine kardiovaskuläre Vorerkrankung. Es traten signifikant weniger Ereignisse des primären Endpunkts bei den mit Canagliflozin behandelten Patienten auf, so dass statistisch sogar eine Überlegenheit der Canagliflozin-Therapie gezeigt werden konnte (26,9 vs. 31,5 Teilnehmer pro 1000 Patienten-Jahre hatten ein Ereignis des primären Endpunkts). Auch renale Parameter (Progression der Albuminurie und kombinierter Endpunkt aus Verminderung der glomerulären Filtrationsrate, Notwendigkeit von Nierenersatzverfahren, Tod durch renale Komplikationen) waren im Verlauf unter Canagliflozin-Therapie vorteilhafter. Die bekannte Nebenwirkung der Gliflozine einer erhöhten Rate an Pilzinfektionen im Genitalbereich war ähnlich wie in anderen Studien zu SGLT-2-Hemmern. Ketoazidosen traten nicht gehäuft auf. Es wurde jedoch eine höhere Rate an Amputationen (vor allem Minoramputationen) unter Behandlung mit Canagliflozin beobachtet (6,3 vs. 3,4 Teilnehmer pro 1000 Patienten-Jahre). Auch das Frakturrisiko war unter Canagliflozin in CANVAS leicht erhöht [3]. Eine plau­sible mechanistische Erklärung für diese beiden Nebenwirkungen gibt es bislang nicht. Bei den anderen SGLT-2-Inhibitoren Empagliflozin und Dapagliflozin wurden in retrospektiven Analysen keine erhöhten Amputationsraten gefunden. Hier müssen weitere Untersuchungen erfolgen, die den Unterschied zwischen den im CANVAS-Studienprgramm beobachteten Nebenwirkungen zu den Ergebnissen bei anderen SGLT-2-Hemmern erklären helfen. Für die Versorgung in Deutschland spielt dies derzeit keine praktische Rolle, da Canagliflozin ­aufgrund des AMNOG-Verfahrens (AMNOG = Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz) in Deutschland derzeit nicht erhältlich ist.

Parallel zum ADA wurde zum SGLT-2-Hemmer Dapagliflozin eine große internationale Registerstudie mit amerikanischen und europäischen Daten veröffentlicht, die bei mit Dapagliflozin behandelten Patienten ebenfalls auf eine signifikante Verringerung des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hinweist [4]. Die entsprechende kardiovaskuläre Endpunktstudie DECLARE zu Dapagliflozin wird voraussichtlich 2019 veröffentlicht.

Die jetzige Datenlage zu den SGLT-2-Hemmern bestätigt somit Erkenntnisse der EMPA-REG-Outcome-Studie zu Empagliflozin – einem Wirkstoff, dem nun auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in der jüngsten Neuauflage des Disease-Management-Programms (DMP) für bestimmte ­Patientengruppen mit Diabetes Typ 2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einen „beträchtlichen Zusatznutzen“ bescheinigt hat. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der EMPA-REG-Outcome-Studie wurden somit anerkannt. Es bleibt abzuwarten, wie die sich jetzt mehrende Evidenz zu makro- und ­mikrovaskulären Endpunkten unter SGLT-2-Hemmern auf die Entwicklung von Diabetes-Behandlungs-Leitlinien auswirkt. |

Literatur

[1] Zinman B, Wanner C, Lachin JM, Fitchett D, Bluhmki E, Hantel S, Mattheus M, Devins T, Johansen OE, Woerle HJ, Broedl UC, Inzucchi SE; EMPA-REG OUTCOME Investigators. Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and Mortality in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2015;373(22):2117-28. doi: 10.1056/NEJMoa1504720. Epub 2015 Sep 17.

[2] Wanner C, Inzucchi SE, Lachin JM, Fitchett D, von Eynatten M, Mattheus M, Johansen OE, Woerle HJ, Broedl UC, Zinman B; EMPA-REG OUTCOME Investigators. Empagliflozin and Progression of Kidney Disease in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2016; 375(4):323-34. doi: 10.1056/NEJMoa151592

[3] Neal B, Perkovic V, Mahaffey KW, de Zeeuw D, Fulcher G, Erondu N, Shaw W, Law G, Desai M, Matthews DR; CANVAS Program Collaborative Group. Canagliflozin and Cardiovascular and Renal Events in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2017. doi: 10.1056/NEJMoa1611925. [Epub ahead of print]

[4] Kosiborod M, Cavender MA, Fu AZ, Wilding JP, Khunti K, Holl RW, Norhammar A, Birkeland KI, Jørgensen ME, Thuresson M, Arya N, Bodegård J, Hammar N, Fenici P; CVD-REAL Investigators and Study Group. Lower Risk of Heart Failure and Death in Patients Initiated on Sodium-Glucose Cotransporter-2 Inhibitors Versus Other Glucose-Lowering Drugs: The CVD-REAL Study (Comparative Effectiveness of Cardiovascular Outcomes in New Users of Sodium-Glucose Cotransporter-2 Inhibitors). Circulation. 2017;136(3):249-259. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.117.029190. Epub 2017 May 18.


Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Medizinische Klinik IV, Universitätsklinikum Tübingen, Otfried-Müller-Str. 10, 72076 Tübingen, Baptist.gallwitz@med.uni-tuebingen.de


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