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„Am Versandhandel ist nichts digital“

Michael Hennrich von der CDU über den Mangelberuf Apotheker, das EuGH-Urteil und Digitalisierung

BERLIN (bro/jb) | In der nächsten Legislaturperiode würde Michael Hennrich gern erneut das Amt des stellvertretenden gesundheitspolitischen Sprechers übernehmen. Im Interview erklärt er, warum ihn die Begründung des EuGH-Urteils zur Weißglut bringt, weshalb er sich mit Versprechen zum Versandhandelsverbot zurückhalten möchte und was sich die Apotheker selbst zuschulden haben kommen lassen.

DAZ: Was ist Ihnen als Privatmensch wichtig, wenn Sie in eine Apotheke gehen?

Hennrich: Wenn ich sie brauche, möchte ich eine fachkundige Beratung haben. Und mir ist wichtig, dass sich die Beratung der Apotheker ausschließlich an den Interessen des Patienten orientiert. Das funktioniert in der Regel auch sehr gut. Darüber hinaus möchte ich in Notfällen eine qualifizierte und persönliche Rund-um-die-Uhr-Versorgung wohnortnah.

Foto: Philipp Külker
„Die Begründung des EuGH-Urteils bringt mich weiterhin zur Weißglut“. Michael Hennrich im Gespräch mit den DAZ.online-Chefredakteuren Julia Borsch und Benjamin Rohrer (v. r.).

DAZ: Wie nutzen Sie Apotheken als Privatmensch? Haben Sie eine Stammapotheke im Wahlkreis?

Hennrich: Ich habe zu vielen Apo­thekern in meinem Wahlkreis über meine Arbeit persönlichen Kontakt. Eine einzige „Apotheke des Vertrauens“ habe ich aber nicht, da ich per­sönlich nicht regelmäßig Hilfe aus der Apotheke brauche. Wenn ich Hilfe brauche, nutzen meine Familie und ich an unserem Wohnort Kirchheim unter Teck unterschiedliche Apotheken, je nachdem, welche im konkreten Fall am nächsten ist.

DAZ: Haben Sie jemals ein sehr negatives oder auch ein sehr positives Erlebnis bei der Beratung in der Apotheke gehabt?

Hennrich: Beides eigentlich nicht, die Beratungen der Apotheker haben immer meine Erwartungshaltung erfüllt. Ich bin aber hoffentlich auch ein pflegeleichter Kunde.

DAZ: Haben Sie schon einmal im Versandhandel bestellt?

Hennrich: Nein, dazu besteht keine Notwendigkeit. Wir haben ja mehrere gut funktionierende Apotheken um uns herum.

„Die Apotheker müssen nicht jeden Trend mitgehen, sie müssen aber auch zeigen, dass sie grundsätzlich zu Weiterentwicklungen bereit sind.“

DAZ: Sie kommen aus dem Wahlkreis Nürtingen, der südöstlich von Stuttgart liegt, in dem etwa 250.000 Menschen wohnen und in dem seit dem Bestehen der Bundesrepublik immer die CDU den Direktkandidaten für den Bundestag stellte. Erzählen Sie uns ein bisschen über die Gesundheitsversorgung in Ihrem Wahlkreis.

Hennrich: Im Wahlkreis Nürtingen haben wir vier Mittelzentren mit Kirchheim unter Teck, Nürtingen, Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen mit jeweils rund 40.000 Einwohnern. Sonst ist mein Wahlkreis zum einen von der Region Stuttgart, aber auch von ländlicheren Regionen geprägt. Was die Arzneimittelversorgung betrifft, könnte mein Wahlkreis als typisches Beispiel für die Diskussion rund um die abnehmende Apothekenzahl gelten. Noch gibt es in den meisten Gemeinden eine Apotheke für die Anwohner. Das könnte sich aber schon bald ändern: In Neidlingen hat zum Beispiel kürzlich eine Apotheke geschlossen. Dort haben wir uns mit Ärzten und Apothekern überlegt, wie wir die Versorgung sichern und haben an der Zweigpraxis des örtlichen Arztes eine Rezeptsammelstelle errichten lassen. Insofern ist unser Landkreis sicherlich ein gutes Abbild der Gesamtlage: Eine gute und sichere Versorgung in den Städten, bei einer langsam bröckelnden Versorgung auf dem Land.

Michael Hennrich

Foto: Phillip Külker

Der CDU-Politiker Michael Hennrich (52) studierte Rechtswissenschaften in Passau und Bonn. 1995 erhielt er seine Zulassung als Rechtsanwalt. Seit 2002 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags. Dort vertritt er als direkt gewählter Abgeordneter seinen Wahlkreis Nürtingen. Hennrich gehört dem Gesundheitsausschuss des Bundestages an. Dort ist er Berichterstatter für den Bereich Arzneimittelversorgung, Apotheken und IQWIG und gilt damit als Experte der Union für alle Arzneimittel- und Apothekenfragen. Zudem ist er stellvertretendes Mitglied in den Ausschüssen für Arbeit und Soziales sowie für Recht und Verbraucherschutz. Ferner ist Hennrich Vorsitzender der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags.

DAZ: Wie lange geht das denn noch gut, bis es bei Ihnen ernsthafte, spürbare Probleme geben könnte?

Hennrich: Das lässt sich schwer voraussagen. Aber zehn Jahre wird es sicherlich nicht mehr dauern, bis die Situation sich nochmals deutlich verschlechtert. Einige Gemeindeapotheken bei uns werden von Apothekern älteren Jahrgangs geleitet – wer weiß, ob für solche Landapotheken sofort eine Nachfolge organisiert werden kann.

DAZ: Die Bundesagentur für Arbeit stuft den Apothekerberuf ja nun auch offiziell als „Mangelberuf“ ein. Welche Ursachen sehen Sie für diese Entwicklung?

Hennrich: Da gibt es keine einfache Erklärung, sondern viele Gründe, die sich zusammen negativ auf die Apothekenstruktur auswirken. Erstens hängt die Apothekendichte für mich direkt mit der ärztlichen Versorgung zusammen: Schließt bei uns in einer Gemeinde der letzte Hausarzt, dann hat auch die Apotheke keine Zukunft. Zweitens haben wir in Deutschland aber grundsätzlich einen Fachkräftemangel, den wir unbedingt angehen müssen. Drittens ist jungen Uni-Absolventen auch die Work-Life-Balance sehr wichtig. Die ist bei einer Selbstständigkeit leider nicht immer gegeben und so ist es für viele junge Menschen nicht unbedingt attraktiv, sich selbstständig zu machen. Auch das finanzielle Risiko der Selbstständigkeit scheuen junge Menschen immer häufiger, habe ich den Eindruck.

DAZ: Die Apotheker gehen ja davon aus, dass sich auch der Versandhandel negativ auf die Struktur auswirkt. Wie sehen Sie das?

Hennrich: Auch das ist natürlich einer von vielen Gründen, die zur derzeitigen Entwicklung beitragen. Wir sehen ja, wie aggressiv Zur Rose derzeit im Markt unterwegs ist. Das ist alles Geld, was den Apotheken vor Ort am Ende fehlen könnte, um wirtschaftlich betrieben zu werden. Einige Verbesserungsvorschläge hätte ich aber, die auch kritischer Natur gegenüber den Apothekern wären.

DAZ: Welche wären das?

Hennrich: Ich habe den Eindruck, dass die Apotheker ihren eigenen Beruf oftmals schlecht reden. Höre ich mir Diskussionen an oder lese ich die Kommentare der Apotheker in den Fachmedien, gewinne ich oft den Eindruck, dass viele Leute mit ihrem Beruf eigentlich nicht zufrieden sind. Da wird über die Bürokratie, die Krankenkassen und die Politik hergezogen. Man sollte sich nicht wundern, wenn einige Jung-Apotheker dann den Weg in die pharmazeutische Industrie wählen und dem Risiko aus dem Weg gehen. Dabei verkennen viele, dass wir auf pharmazeutischen Sachverstand angewiesen sind und deshalb Apotheker auch in Zukunft gebraucht werden.

„Ich möchte nicht, dass die Menschen sich erst eine Stunde lang im Internet die günstigste Apotheke suchen, dann tagelang auf ihr Arzneimittel warten müssen und bei Problemen stundenlang in einer Warteschleife hängen.“

DAZ: Apropos Bürokratie – könnte man Apotheker nicht von bürokratischen Aufgaben erleichtern?

Hennrich: Auch da würde ich die Apotheker gerne in die Pflicht nehmen. In der schwarz-gelben Koalition hatten wir die Idee, die Pflicht zur Vorhaltung einer Rezeptur in Filialapotheken abzuschaffen. Es hätte aus unserer Sicht gereicht, wenn nur noch die Hauptapotheke im Verbund das macht und an die anderen Apotheken ausliefert. Die ABDA hat sich vehement dagegen gewehrt. Aus meiner Sicht wäre das aber durchaus eine denkbare Erleichterung für viele Apotheker. Die Apotheker müssen nicht jeden Trend mitgehen, sie müssen aber auch zeigen, dass sie grundsätzlich zu Weiterentwicklungen bereit sind.

DAZ: Ihre Kritiker werfen Ihnen und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe vor, dass Sie die Forderungen der Apotheker zu unkritisch übernommen hätten und lobbynah seien. Für Herrn Gröhe hat sich sogar das Wort „Apothekenminister“ in der Versandhandelsbranche etabliert. Wie kommentieren Sie das?

Hennrich: Wir machen das ja nicht aus Spaß an der Freude mit dem Versandverbot. Für mich ist das Thema aber keine Lappalie, da hängt für mich ein ganzes Gesellschaftsmodell dran. Mir ist es wichtig, dass die Menschen vor Ort noch eine Infrastruktur haben und einen niedrigschwelligen, persönlichen Zugang zum Heilberuf Apotheker haben. Ich möchte nicht, dass die Menschen sich erst eine Stunde lang im Internet die günstigste Apotheke suchen, dann tagelang auf ihr Arzneimittel warten müssen und bei Problemen stundenlang in einer Warteschleife hängen, bis sie die Antwort aus Irland oder den Niederlanden bekommen, dass man ihnen nicht weiterhelfen kann. Es ist schon schlimm genug, dass das bei Telefon-Anbietern so ist. Aber der Gesundheitsbereich ist kein normaler Markt, das hätte der EuGH eigentlich auch erkennen müssen. Hinzu kommen die ganzen Arbeitsplätze, die an den Apotheken hängen. Ich möchte nicht, dass Menschen in meinem Wahlkreis ihren Arbeitsplatz verlieren, weil Apotheken aufgrund der EU-Konkurrenz nicht mehr wirtschaftlich geführt werden können.

DAZ: Hört sich so an, als ob Sie in der Post-EuGH-Urteil-Debatte verärgerter über den EuGH sind als über die SPD-Bundestagsfraktion …

Hennrich: Die Begründung des Urteils bringt mich nach wie vor zur Weißglut. Mit welcher Leichtfüßigkeit der Gerichtshof die Arzneimittelversorgung als normalen Markt bezeichnet, ist für mich völlig unverständlich. Sollte es mit dem Verbot nichts werden, wäre es daher mein Ziel, den Zustand vor dem Verfahren wieder herzustellen. Aber auch für die SPD-Bundestagsfraktion habe ich wenig Verständnis. Im Rahmen von TTIP und CETA macht man sich da große Sorgen über zu viel Einfluss internationaler Großkonzerne. Dann wird das Thema im Apothekenbereich konkret und was passiert … Schade!

DAZ: Blicken wir in die Zukunft. Welche Chancen hat das Rx-Versandverbot überhaupt noch aus Ihrer Sicht?

Hennrich: Unsere Position dazu ist in den Wahlprogrammen klar formuliert. Ob wir uns damit durchsetzen können, lässt sich heute überhaupt nicht sagen, das wäre reine Spekulation.

„Es müssen neue Dienst­leistungen geschaffen und die honoriert werden.“

DAZ: Hört sich so an, als ob Sie das Verbot für andere, für die Union ­wichtigere Forderungen fallenlassen würden.

Hennrich: Nein, wir werden das als Forderung auf den Verhandlungstisch legen, da können Sie sich sicher sein. Aber es ist doch überhaupt nicht klar, in welchen Konstellationen überhaupt verhandelt wird. Die Parteien mit denen wir koalieren könnten, sprechen sich alle gegen das Versandhandelsverbot aus. Deswegen will ich mich mit Versprechen zurückhalten.

DAZ: Politische Übereinstimmung gibt es ja beim Thema Apothekenhonorar. Wird es nach dem BMWi-Gutachten eine Neuausrichtung des Honorars geben?

Hennrich: Ich glaube schon, dass die rein packungsorientierte Bezahlung der Apotheker langfristig umgestellt werden muss. Es müssen neue Dienstleistungen geschaffen und die honoriert werden. Die Kompetenzen des Apothekers müssen sich auch in der Vergütung widerspiegeln.

DAZ: Die ABDA fordert ja, dass diese neuen Honorare zusätzlich zum Fix­honorar gezahlt werden sollen. Eine überzogene Forderung?

Hennrich: Also ich glaube nicht, dass es große Abschläge vom Fixhonorar geben wird, weil dafür einfach kein Spielraum ist und dies zu zusätzlicher Verunsicherung führt. Ich glaube aber auch nicht, dass von einem Tag auf den anderen mehrere zusätzliche Honorare gezahlt werden. Vielmehr könnte ich mir vorstellen, dass Schritt für Schritt einzelne Leistungen der Apotheker vergütet, beziehungsweise besser vergütet werden. Einen ersten solchen Schritt sind wir ja mit der Anpassung des Honorars für Rezepturen und BtM-Abgaben bereits gegangen.

DAZ: Zum Thema „Digitalisierung“. Apothekern wird vorgeworfen, reaktionär zu sein, Innovationen abzublocken und mit dem Versandverbot dem Zeitgeist zu widersprechen. Ist das wirklich so?

Hennrich: Da bin ich gespaltener Meinung. Zum Rx-Versandhandel möchte ich zunächst sagen: Daran ist aus meiner Sicht nichts Digitales. Eine Bestellung zum Briefkasten zu bringen und dann auf die Lieferung zu warten – das hat Neckermann und Quelle schon vor Jahren angeboten.

„Das Thema Digitalisierung zeigt, dass Selbstverwaltung nicht alles lösen kann oder sogar nicht lösen will.“

DAZ: Aber?

Hennrich: Aber auch die Apotheker müssen sich hier einiges vorwerfen lassen. Beim E-Rezept könnten wir beispielsweise deutlich weiter sein. Da haben neben den Apothekern aber auch die Ärzte geblockt. Im Grunde genommen zeigt mir das Thema „Digitalisierung“, dass die Selbstverwaltung nicht alles lösen kann oder sogar nicht lösen will, an dieser Stelle hat sie versagt.

DAZ: Warum aber haben Sie dann für ein Gesetz gestimmt, in dem Sie praktisch die gesamte Verantwortung in diesem Bereich der Selbstverwaltung übertragen und nach dem Ärzte einen papiernen Medikationsplan ausfüllen sollen – ohne Apotheker?

Hennrich: Ich habe dem E-Health-Gesetz zugestimmt, weil es die beste Kompromisslösung war. Und zum Thema Medikationsplan: Natürlich ist die derzeitige Konstellation nicht schön, aber auch hier mussten Kompromisse gefunden werden. Und: Ich habe immer gesagt, dass der Patient entscheiden soll, wer den Plan wo ausstellt, leider ist es so nicht gekommen. Auf Wunsch des Patienten darf der Apotheker den Plan ergänzen.

DAZ: Herr Hennrich, vielen Dank für das Gespräch. |

Herr Hennrich, vollenden Sie bitte folgende Statements:

  • Sollte ich in der nächsten Legislaturperiode erneut in den Bundestag gewählt werden, würde ich in der Unionsfraktion am liebsten das folgende Amt übernehmen: … wie bisher, das des stellvertretenden gesundheitspolitischen Sprechers.
  • In der SPD-Fraktion arbeite ich am liebsten mit ... so einigen zusammen! Persönlich sehr angenehm.
  • Das Rx-Versandverbot würde ich fallenlassen, wenn … wir es irgendwie schaffen, den Zustand vor dem EuGH-Urteil wieder herzustellen.
  • Angela Merkel muss Bundeskanzlerin bleiben, weil … sie klug und mit großer Vernunft agiert und mir ihr ausgleichender Politikstil sehr zusagt.
  • Eine Koalition im nächsten Bundestag könnte ich mir am ehesten vorstellen mit … einer langjährig etablierten, demokratischen Partei.
  • Eine rot-rot-grüne Koalition wäre für mich … grauslich!!!
  • Sollte es die AfD in den Bundestag schaffen, wäre das für mich … enttäuschend!
  • Eine Neuauflage von Schwarz-Gelb ist für mich … eine denkbare Alternative.
  • Ein erstmaliges Dreier-Bündnis, eventuell mit Grünen und FDP wäre für mich … auch vorstellbar.

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