Die Seite 3

Nichts zu verschenken

Dr. Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

Die Beschränkung des Versandhandels ist derzeit offenbar auf einem guten Weg, aber längst noch kein gültiges Gesetz. Daher ist weiterhin Überzeugungsarbeit nötig. Die zentrale Frage bleibt, welche Folgen das EuGH-Urteil zur Preisbindung mittelfristig für die Arzneimittelversorgung hätte, wenn der Versandhandel unverändert zulässig bliebe. Die größte Unbekannte dabei ist, wie viele Patienten bei ausländischen Versendern bestellen würden. Dazu kursieren sehr unterschiedliche Erwartungen. Schon wenige Tage nach dem Urteil wurde ermittelt, dass jeder Zweite sich von zwei Euro Bonus locken lassen würde, allerdings in einer online durchgeführten Umfrage. Dass so große Verschiebungen dem bestehenden Versorgungssystem seine Grundlage entziehen würden, ist offensichtlich. Interessanter ist, wie kleinere Änderungen wirken würden. Dies wird in einer wirtschaftlichen Analyse auf Seite 22 dieser DAZ untersucht, die zu drei wesentlichen Erkenntnissen führt.

Erstens: Wenn die Apotheken „nur“ 10 Prozent ihres Umsatzes verlören, wären zwischen 1800 und 4400 Apotheken in ihrer Existenz bedroht, die schon jetzt am Rande der Unwirtschaftlichkeit stehen. Zweitens: Wenn in Deutschland auch nur ein begrenzter Bonus von einem Euro erlaubt würde, wären die Folgen für das Versorgungssystem sogar noch schlimmer als bei einer Abwanderung von 10 Prozent des Umsatzes ins Ausland. Denn ein allgemein von den Patienten erwarteter Bonus würde auch die Margen der verbleibenden Apotheken verringern. Das System könnte insgesamt nicht mehr die nötigen Mittel für eine zukunftssichere Infrastruktur erwirtschaften. Boni im Inland zuzulassen – und seien sie noch so gering – , wäre daher keine hilfreiche Antwort auf das Urteil, sondern sogar noch eine zusätzliche Belastung für die Apotheken. Damit erübrigen sich einige Überlegungen für einen Plan B als Reaktion auf das Urteil. Drittens: Schon vor dem Urteil haben die Apotheker eine kalkulierbare Anpassung des Festzuschlags gefordert, um das Versorgungssystem zukunftssicher zu machen. Wenn stattdessen nun sogar weniger Geld zur Verfügung stünde, würden im System Mittel fehlen. Bei einem System, das kurzfristig gerade halbwegs stabil ist, läuft das auf ein Nullsummenspiel hinaus. Was aus dem System abfließt, muss wieder hineingesteckt werden, wenn alle Funktionen erhalten bleiben sollen. Das betrifft die Versorgung an dünn besiedelten oder wirtschaftlich schwachen Standorten und die Honorierung nicht kosten­deckender Gemeinwohlaufgaben. Der Staat müsste einen großen Teil der Boni einsammeln und als Subvention wieder ausschütten.

Das zeigt, wie elegant sich das System über die bestehende Preisbindung steuern lässt. Aus marktwirtschaftlicher Sicht wäre eine Subvention die weitaus schlechtere Lösung. Das „Prinzip Apotheke“ erweist sich damit als wohl abgewogenes Konzept und die geplante Versandbeschränkung als geeignete und angemessene Maßnahme, um dieses System zum Wohl künftiger Patienten zu erhalten. Denn einen fairen Wettbewerb und ein kon­struktives Miteinander von Vor-Ort-Versorgung und Versand hat der EuGH durch sein Urteil unmöglich gemacht. Letztlich liegt das an den wirtschaftlichen Zusammenhängen und der Summe der verfügbaren Finanzmittel in einem Versorgungssystem, in dem es nichts zu verschenken gibt.


Thomas Müller-Bohn


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