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Lactobazillen für die Schrumpfleber

Ein Probiotikum soll zirrhotische Patienten vor Infektionen schützen

rr | Patienten mit Leberzirrhose tragen ein erhöhtes Risiko für bakterielle Infektionen. Ein Grund könnte in der gestörten intestinalen Barrierefunktion liegen, infolge derer Endotoxine leichter den portalen und später den systemischen Blutkreislauf erreichen können. Um den Darm wieder abzudichten, setzt man auf Probiotika. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Leberzirrhose belegt Platz 9 der größten Gesundheitslasten in Europa. Hauptursachen sind Alkoholabusus und Virushepatitiden. Eine kranke Leber bedeutet nicht nur eine eingeschränkte Entgiftungsfunktion des Körpers, sondern auch ein gestörtes Immunsystem. Bakterielle Infektionen sind deshalb häufige Komplikationen einer Leberzirrhose, darunter Pneumonie, Harnwegsinfektionen und Peritonitis.

Problem Darmwandschäden?

Die erhöhte Infektionsrate versucht man mit einer bakteriellen Translokation zu erklären, die durch Schäden in der Darmwand ermöglicht wird. Endotoxine können so leichter den portalen Blutkreislauf erreichen und aufgrund der eingeschränkten Filterfunktion einer zirrhotischen Leber sowie der Bildung portosystemischer Shunts einen Endotoxin-Overflow im systemischen Blut hervorrufen. Neutrophile Granulozyten reagieren darauf mit der Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies, doch sind sie irgendwann in ihrer Abwehrfunktion erschöpft.

Ausgezeichnete Compliance

Ein Forscherteam um Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner an der Universität Graz ging der Frage nach, ob mit Probiotika die Darmpermeabilität bei Leberzirrhose herabgesetzt und auf diese Weise die Funktion der Neutrophilen erhalten werden kann. Im Rahmen einer randomisierten Doppelblindstudie behandelten sie Patienten mit stabiler Leberzirrhose über sechs Monate täglich entweder mit einem Multispezies-Probiotikum (6 g, n = 44) oder Placebo (n = 36) und beobachteten sie über weitere sechs Monate. Das Probiotikum enthielt acht Bakterienstämme der Gattung Bifidobacterium, Lactobacillus und Lactococcus in einer Konzentration von 2,5 × 109 CFU/g. Patienten mit stark geschädigter Leber (Child-Pugh-Score ≥ 12 ) wurden von der Analyse ausgeschlossen, ebenso Patienten, die kurz vor Studieneinschluss Alkohol, andere Pro-, Prä- oder Symbiotika oder Antibiotika (Ausnahme: permanente Prophylaxe) eingenommen hatten.

Das Probiotikum wurde sehr gut vertragen und von den Probanden akzeptiert. In der Interventionsgruppe gab es signifikant weniger Dropouts als in der Placebo-Gruppe (1 vs. 11, p = 0,003).

Die Studienautoren verzeichneten in beiden Gruppen nur geringe Infektionsraten. Es kam insgesamt zu zehn schweren Infektionen: eine während der Placebo-Gabe, fünf nach Beenden der Probiotika-Gabe und vier nach Beenden der Placebo-Gabe.

Ohne Einfluss auf Phagozytose

Der primäre Endpunkt – eine positive Veränderung der phagozytotischen Aktivität von neutrophilen Granulozyten nach sechs Monaten – wurde verfehlt. In beiden Gruppen sank die phagozytotische Fähigkeit signifikant im Laufe der Zeit, während die Population von inaktiven Neutrophilen konstant auf einem hohen Level blieb. Dafür beobachteten die Forscher eine gesteigerte Produktion von reaktiven Sauerstoffspezies durch neutrophile Granulozyten sowie erhöhte Serum-Neopterin-Spiegel als einen Marker für Makrophagen-Aktivität unter Einnahme des Probiotikums, nicht aber unter Placebo.

Nach Angaben der Studienautoren verbesserte sich in der Interventionsgruppe leicht die Leberfunktion: Bei sechs Patienten mit einem Child-Pugh-Score ≥ 7 (s. a. Tab.) zu Studienbeginn sank der Score unter Einnahme des Probiotikums, bei sieben blieb er konstant, bei dreien stieg der Wert. In der Placebo-Gruppe hatten von vornherein nur drei Patienten einen Child-Pugh-Score ≥ 7, von denen sich jeweils einer verbesserte, einer verschlechterte und einer unverändert blieb.

Tab.: Child-Pugh-Score zur Funktionsbeurteilung und Prognose bei Leberzirrhose
Kriterium
1 Punkt
2 Punkte
3 Punkte
Serum-Bilirubin ­(gesamt)
< 2,0 mg/dl< 34,208 µmol/l
2,0 – 3,0 mg/dl34,208 – 51,312 µmol/l
> 3,0 mg/dl> 51,312 µmol/l
Serum-Albumin
> 3,5 g/dl
2,8 – 3,5 g/dl
< 2,8 g/dl
Quick-Wert
INR
> 70%
< 1,7
40 – 70%
1, – 2,2
< 40%
> 2,2
Aszites im Ultraschall
keiner
leicht
mittelgradig
hepatische ­Enzephalopathie
keine
Stadium I – II
Stadium III – IV
Punkte
Stadium
1-Jahres-Überlebensraten
5-Jahres-Überlebensraten
10-Jahres-Überlebensraten
perioperative Mortalität
5–6
A
84%
44%
27%
10%
7–9
B
62%
20%
10%
30%
10–15
C
42%
21%
0%
82%

Das Probiotikum hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Endotoxin-Last, die Darmpermeabilität und Entzündungsmarker.

Obwohl der primäre Endpunkt nicht erreicht wurde, geben sich die Studienautoren optimistisch und halten an der Vorstellung fest, dass Probiotika die Leberfunktion bei stabiler Zirrhose erhalten oder sogar verbessern können. Ihr Einfluss auf die Darmbarriere und die bakterielle Translokation ist aber wohl gering. Ob basierend auf diesen Ergebnissen an der Eingangshypothese gezweifelt werden muss, lesen Sie im nachfolgenden Interview. |

Quelle

Horvath A et al. Randomised clinical trial: the effects of a multispecies probiotic vs. placebo on innate immune function, bacterial translocation and gut permeability in patients with cirrhosis. Aliment Pharmacol Ther 2016;44:926–935

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