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In der Diskussion: flexible Arbeitszeiten

NRW-Regierung strebt Lockerung gesetzlicher Vorgaben an

In Nordrhein-Westfalen hat sich die neue schwarz-gelbe Regierung die Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes auf die Fahnen geschrieben – vorgeblich, um neuen Branchen den Einstieg in die Tarifbindung zu erleichtern. Sie plant dazu eine Bundesratsinitiative. Das ist zumindest in dieser Legislaturperiode mehr Wahlkampfgetöse als Realpolitik. Wissenschaftler haben gezeigt: ­Flexible Arbeitszeiten sind nur dann gesund, wenn die Beschäftigten sie mitgestalten können.

Es geht um die Tages-Höchstarbeitszeit und um die Mindestruhezeiten nach der Arbeit, die im bundesweit geltenden Arbeitszeitgesetz festgeschrieben sind: acht bis maximal zehn Stunden Arbeit pro Tag sind „in der Regel“ erlaubt, danach besteht Anspruch auf elf Stunden Pause am Stück.

In Zeiten von Smartphones und Digitalisierung seien diese Vorgaben aber nicht mehr zeitgemäß, würden ohnehin „millionenfach ignoriert“ und stünden auch der Tarifbindung moderner Branchen entgegen. Hier sind sich FDP und CDU sowie die Arbeitgeberverbände in Nordrhein-Westfalen weitgehend einig.

„Es geht uns nicht um Mehrarbeit, sondern um eine flexiblere Einteilung – und das nur im Einvernehmen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften“, versuchte NRWs FDP-Generalsekretär Johannes Vogel die postwendende Kritik von Gewerkschaften abzuwiegeln.

Die IG Metall in NRW verweist dagegen auf eine von ihr durchgeführte Umfrage unter 600.000 Arbeitnehmern, darunter 100.000 aus NRW. Mit 96,4 Prozent wünschte sich eine überwältigende Mehrheit „starke Arbeitszeitregeln“, die Ruhezeiten und das Recht auf Abschalten vom Job sicherstellen.

Entscheidend: Wer bestimmt die Flexibilität?

Dass flexible Arbeitszeiten nicht in ­jedem Fall negativ sein müssen, zeigt eine aktuelle Untersuchung von Monischa Amlinger-Chatterjee und Anne Wöhrmann von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Sie haben dazu über 30 empirische Studien aus dem Zeitraum von 2000 bis 2014 ausgewertet. Ihre Analyse macht deutlich:

Wenn der einzelne Arbeitnehmer die Flexibilität mitgestalten kann, dann reduziert sich das Risiko gesundheit­licher Beschwerden. Denn diese Flexibilität erleichtere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, so die Autorinnen. Außerdem sei Autonomie generell ein menschliches Grundbedürfnis.

Fehlen dagegen solche Einflussmöglichkeiten und werden die flexiblen Arbeitszeiten allein vom Betrieb vorgegeben – z. B. durch Rufbereitschaft, Bereitschaftsdienst oder andere un­vorhersehbare Zeitmodelle –, steigen der subjektiv erlebte Stress, das Risiko von Burnout und anderen psychischen Gesundheitsgefahren. Gründe sehen die Autorinnen in der erschwerten Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie dem schlechteren Abschalten vom beruflichen Stress. Sie raten zu einer guten Pausenkultur im Betrieb, damit die Leistungsfähigkeit nicht ­leidet. |

Quelle

Monischa Amlinger-Chatterjee, Anne M. Wöhrmann: Flexible Arbeitszeiten. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 1/2017

sjo



Wehret den Anfängen!

Kommentar von ADEXA-Vorstand Tanja Kratt

Foto: ADEXA
Tanja Kratt

Dass ausgerechnet der Gesund­heitsexperte der CDU, Karl-Josef Laumann, das Arbeitszeitgesetz ­liberalisieren will mit dem Hinweis auf eine Verbesserung der Tarif­bindung, ist schon leicht bizarr. Die Möglichkeiten von Unternehmen und Gewerkschaften für maßgeschneiderte, flexible Tarifverträge waren noch nie so gut wie heute. Werden die Schutzbestimmungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter gelockert, droht vielmehr eine noch stärker wachsende Selbstausbeutung der Beschäftigten in der digitalen Arbeitswelt. Und bei denen, die in traditionellen Branchen und Berufen tätig sind, würden die Regelungen noch häufiger nicht beachtet.

Dass Betriebe und Beschäftigte generell davon profitieren würden, wenn die Tarifbindung wieder steigt, ist eine ganz andere Sache. Hierfür muss man aber nicht die Axt an die Mindestruhezeiten und Höchstarbeitszeiten legen. Welche gesundheitlichen Risiken sonst langfristig drohen, dazu gibt es genug Untersuchungen und Beispiele.

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