Die Seite 3

Geheimnisvolle Bakterienwelt

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Mit Probiotika gegen Stress, Depressionen, Übergewicht, Fettleber, Leberzirrhose, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, HIV, Neurodermitis … Das klingt nach unseriösen Heilsversprechen – und ist doch gar nicht so abwegig. Denn wir verstehen immer besser, dass unser Organismus nur im Zusammenspiel mit anderen Organismen, allen voran mit Bakterien funktionieren kann. Doch welche Bakterien sind für was verantwortlich? Wie muss eine gesunde Darmflora aussehen, die vor entzündlichen Darmerkrankungen ebenso schützt wie vor Übergewicht und Fettleber? Wie eine gesunde Haut-, wie eine gesunde Vaginalflora?

Antworten auf diese spannenden Fragen erhoffen wir uns von der Mikrobiomforschung, die unsere Billionen kleinen Helfer ins Visier genommen hat. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue, vielversprechende Ergebnisse publiziert werden. Laienmedien und die Industrie greifen diese Themen begierig auf, entwickeln und bewerben Produkte, die eine vermeintlich gestörte Balance wieder in Ordnung bringen und Krankheiten heilen sollen. Klinische Studien zum Nachweis der Wirksamkeit sind die löbliche Ausnahme.

Dass dabei die Mikrobiomforschung noch in den Kinderschuhen steckt, dass es das Mikrobiom gar nicht gibt, sondern das Mikrobiom jedes einzelnen so individuell ist wie der Fingerabdruck und stark geprägt ist von Herkunft und Umgebung, dass manch vielversprechendes Ergebnis sich nicht reproduzieren lässt – das wird an dieser Stelle nur zu gerne ausgeblendet. Dabei ist schon allein der Versuch, die Bakterien-Arten in gute und schlechte zu unterteilen, eine wahre Herausforderung. Das zeigt das Beispiel Übergewicht, für das immer wieder ein Überwiegen von „bösen“ Firmicutes- im Vergleich zu „guten“ Bacteroidetes-Arten im Darm verantwortlich gemacht wird. Denn die Studienergebnisse sind keinesfalls eindeutig, so dass diese Hypothese zumindest hinterfragt werden muss.

Das bedeutet jedoch nicht, dass in unserem Mikrobiom kein therapeutisches Potenzial steckt. Je besser wir die geheimnisvolle Welt der Bakterien und ihr Zusammenspiel mit ­unserem Organismus verstehen werden, umso gezielter werden wir dieses Wissen bei der Bekämpfung von Krankheiten nutzen können. Vor diesem Hintergrund verfolgen auch wir mit Spannung, was sich auf dem Gebiet der Mikrobiomforschung tut – zum Beispiel in Sachen HIV-Infektion (s. S. 44), zum Beispiel in Sachen Leberzirrhose (s. S. 52).

Doris Uhl

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