Aus den Ländern

Europa, Datenschutz und ein Song für Armin

Thüringer Apotheker treffen sich zu politischer Diskussion und Fortbildung

ERFURT (jb) | 2017 kehrt der Thüringer Apothekertag, der jedes Jahr an einem anderen Ort stattfindet, in die Landeshauptstadt Erfurt zurück. Und so trafen sich am vergangenen Wochenende eine Vielzahl von Apothekern und Jenaer Pharmaziestudierenden im Comcenter Brühl in der Erfurter Innenstadt zum 14. Thüringer Apothekertag.
Foto: Alois Müller
Prominente Gäste Ronald Schreiber, Präsident der Apothekerkammer Thüringen, und Stefan Fink, Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbands (li. und re. außen), konnten Gregor Gysi (MdB, Die Linke), Sozialministerin Heike Werner (Die Linke) und Ministerpräsident a. D. Lothar de Maizière (CDU) (von links), begrüßen.

Der Freitagnachmittag stand im Zeichen der Politik. Zum Einstieg zeigte Stefan Fink, Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbandes (ThAV), eines der Videos aus der aktuellen ABDA-Kampagne „Näher am Patienten“. Dort erzählen Patienten ihre persönliche Geschichte und erklären, warum die Apotheke vor Ort für sie wichtig ist. In diesem Fall Teenager Nele, die von Geburt an mit einer schweren Herzerkrankung zu kämpfen hat – ihre Apotheke ist die von Fink, der auch im Video kurz zu sehen ist. Auch in den dann folgenden Grußworten wurde die Bedeutung der Apotheke vor Ort für Thüringen betont, insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der Tatsache, dass es in Thüringen viele ländlichen Gegenden gibt. Heike Werner von den Linken, die in Thüringen Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie ist, stellte in diesem Zusammenhang noch einmal das Engagement ihrer Partei für den Erhalt der inhabergeführten Apotheke heraus. So war die rot-rot-grüne Landesregierung an der Bundesrats­initiative zum Rx-Versandverbot beteiligt – die Linke fordert das ohnehin seit Jahren. Werner misst der Apotheke auch in der sektorenübergreifenden Versorgung eine Schlüsselrolle zu. Das habe man zum Beispiel mit ARMIN schon unter Beweis gestellt.

Foto: Alois Müller
Stefan Fink, Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbandes, betonte die Bedeutung der Apotheke vor Ort für Thüringen.

Birgit Dzuik von der Barmer-Landesvertretung erklärte in ihrem Grußwort, dass Thüringen ein gutes Beispiel für zukünftige Herausforderungen in der Arzneimittelversorgung sei. Das sei nur durch enge Zusammenarbeit regionaler Partner zu lösen und erfordere verlässliche und effiziente Rahmenbedingungen. Man müsse aber auch innovative Wege gehen. „Der Versandhandel kann die wohnortnahe Leistung nicht ersetzen, aber er kann eine sinnvolle Ergänzung sein“, so Dzuik.

Vom „Apothekerkränzchen“ zur Apotheke in Europa

Kathrin Hoyer, die Beigeordnete für Wirtschaft und Umwelt der Stadt Erfurt, überbrachte das Grußwort der Stadt und schlug damit eine ungewollte Brücke zum nächsten Programmpunkt. Sie brachte nämlich den 1770 geboren Apotheker Johann Bartholomäus Trommsdorff ins Spiel, ein Sohn der Stadt Erfurt und einer der bekanntesten Pharmazeuten seiner Zeit, der mit seinem „Apothekerkränzchen“ die Weiterbildung ins Leben gerufen haben, wie Hoyer erklärte. In Erinnerung an diesen Apotheker verleiht nämlich die Landesapothekerkammer Thüringen die Trommsdorff-Medaille für besondere Verdienste um die Pharmazie und den Berufsstand der Apotheker. Sie ging dieses Jahr an den langjährigen ThAV-Geschäftsführer Dr. Reinhard Giese. Giese sagt in seiner Dankesrede, dass er sich in seinem gesamten Berufsleben als Apotheker immer wohlgefühlt habe. Im Gegensatz zu vielen anderen seien Apotheker durch ihr Fachwissen nie austauschbar. Wenn Apotheker bereit seien, Verantwortung zu übernehmen, könnten sie Erstaunliches leisten. „Geben Sie den Apothekern mehr Verantwortung, dann brauchen Sie sich um weniger kümmern“, sagte er – Adressat waren die Krankenkassen.

In seinem berufspolitischen Referat betonte der Präsident der Apothekerkammer Thüringen, Ronald Schreiber, noch einmal die Alternativlosigkeit des Rx-Versandverbots. Denn andere tragfähige Lösungsvorschläge gibt es bislang nicht. „Die Alternativvorschläge sind Scheinlösungen und kontraproduktiv“, so Schreiber. „Wir brauchen keinen Versand für die flächendeckende Versorgung.“ Die bestehenden Mittel, also Rezeptsammelstellen und Botendienste, reichten dafür völlig aus. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch, dass jeden Tag 250.000 Botendienste von deutschen Vor-Ort-Apotheken durchgeführt werden.

Foto: Alois Müller
Ronald Schreiber, Präsident der Apothekerkammer Thüringen, kritisierte das EuGH-Urteil vom Oktober 2016.

Schreiber übte zudem massive Kritik daran, dass der EuGH mit seinem Urteil vom 19. Oktober 2016 in Bereiche eingegriffen habe, die laut den europäischen Verträgen Sache der Mitgliedstaaten sind. „Die Politik muss daher jetzt handeln“, forderte Schreiber. Sonst laufe man Gefahr, dass auch in anderen Bereichen in die Subsidiarität eingegriffen werde. Das könne nicht das Europa sein, das wir wollen, in dem Gerichte Gesetze machten und nicht Parlamente, erklärte er. Da würden die monetären Interessen von Aktiengesellschaften über den Verbraucherschutz gestellt. Der Mensch müsse im Vordergrund stehen, erst danach komme die Ware und das Geld. Schreiber hatte eingangs die Frage gestellt, ob die Apotheke eine Perspektive hat. Die sieht er durchaus – in einem eigenständigen deutschen Gesundheitswesen in einem von Vielfalt geprägten Europa. Und für dessen Erhalt lohne es sich, zu kämpfen. Europa war dann auch das Thema des nächsten Programmpunktes, der Festrede. Hier war es gelungen, Gregor Gysi (MdB, Die Linke) zu gewinnen, der nach Lösungsansätzen für ein Europa in der Krise suchte. Und auch der zweite Festredner stand ihm in nichts nach. Es war kein geringerer als der Ministerpräsident a. D. Lothar de Maizière. Er sprach darüber, ob Große Koalitionen eine Gefahr für die Demokratie bedeuten.

In der darauffolgenden politischen Diskussion, die das Thema „Demokratie in Europa – ein Auslaufmodell?“ hatte und von DAZ-Herausgeber Peter Ditzel moderiert wurde, kam dann auch das Rx-Versandverbot zur Sprache. Geladen waren Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien: ­Stephanie Erben, Landessprecherin Bündnis90/Die Grünen in Thüringen, Carsten Schneider, stellvertretender Landesvorsitzender der SPD in Thüringen und MdB, Marion Eich-Born, von der thüringischen CDU, Jörg Kubitzki, stellvertretender Landesvorsitzender von der Linken, sowie Jens Gobrecht vom Brüsseler Büro der ABDA. Außerdem diskutierte Stefan Fink vom Thüringer Apothekerverband (ThAV) mit. Neue Erkenntnisse bezüglich Positionierung der einzelnen Parteien ergaben sich aber nicht.

Foto: Alois Müller
Die Trommsdorff-Medaille für besondere Verdienste um die Pharmazie und den Berufsstand der Apotheker wurde an den langjährigen Geschäftsführer des Thüringer Apothekerverbands, Dr. Reinhard Giese, verliehen.

Beim Thüringer Abend war dann Gelegenheit, den Tag bei Musik, Speis und Trank ausführlich „nachzubesprechen“. Ein besonderes Highlight waren wieder einmal die musikalischen Darbietungen von Apotheker Dr. Siegfried Schellin. Unter anderem der Song „Alle lieben ARMIN“, performed mit stimmgewaltiger Unterstützung unter anderem von Kammerpräsident Schreiber und dem ThAV-Vorsitzenden Fink. Amtshilfe gab es zudem aus Berlin in Person von Dr. Rainer Bienfait, der als Gast anwesend war. Ein Video finden Sie auf der Facebook-Seite der DAZ, geben Sie dazu den Webcode X7UG7 in die Suchfunktion auf DAZ.online ein und Sie gelangen direkt zu der Seite.

Foto: Alois Müller
Eine spannende Diskussion um Demokratie und das Rx-Versandverbot führte DAZ-Herausgeber Peter Ditzel mit Dr. Jens Gobrecht (ABDA), Stefan Fink (ThAV), Prof. Dr. Marion Eich-Born (CDU), Jörg Kubitzki (Die Linke), Stephanie Erben (Die Grünen) und Carsten Schneider (SPD) (v.l.).

Formalien zum Apothekertag und zur Beitragsordnung

Bei der im Vorfeld stattfindenden Kammerversammlung wurden unter anderem die Delegierten für den Apothekertag bestimmt. Außerdem erhielt der Vorstand den Auftrag, einen Antrag zu formulieren, der die Forderung enthält, dass Ärzte in Zukunft die Dosierung auf dem Rezept vermerken müssen. Allerdings unter der Prämisse, dass die Ärzte gegebenenfalls zur Verantwortung zu ziehen sind und nicht den Kassen ein weiterer ­Retaxgrund geliefert wird. Ob dieser Antrag tatsächlich auf dem DAT eingebracht wird, ist aber noch unklar und hängt ­davon ab, inwiefern es gelingt, ihn aus Apothekersicht retaxsicher zu formulieren. Des Weiteren stand eine Änderung der Beitragsordnung auf dem Programm. Bislang waren nur Kammerbeiträge zu entrichten, wenn ein Apotheker in dem jeweiligen Monat 15 Kalendertage beschäftigt war. Ein Umstand, der von Vertretungsapothekern zum Teil ausgenutzt wurde, um Beitragszahlungen zu umgehen, wie Kammergeschäftsführer Danny Neidel erklärte. Deswegen der Vorschlag, den Passus dahingehend zu ändern, dass generell für jeden angefangen Monat Kammerbeiträge zu entrichten sind. Die Änderung wurde ohne Gegenstimme angenommen. Außerdem standen ein Referat zum aktuellen Stand des elektronischen Heilberufeausweises und zur Fachspracheprüfung in Thüringen auf der Tagesordnung, die es nämlich dort bislang nicht gibt. Sie wurde von der Landesregierung nicht für notwendig erachtet, eine Einschätzung, die sich aber mittlerweile geändert hat. In diesem Bereich tue sich etwas, hieß es.

Digitalisierung und Datenschutz

Der zweite Tag stand dann ganz im Zeichen der Fortbildung. Lisa Gause­pohl von der Deutschen Apotheker- und Ärztebank stellte die Ergebnisse einer Untersuchung zur Digitalisierung der Gesundheitsberufe vor. Im zweiten Vortrag ging es dann tief in die Apothekenpraxis. Datenschutz stand auf der Tagesordnung. Johannes Matzke, Referatsleiter bei der zuständigen Landesbehörde, erklärte neben anderen Datenschutz-Fallstricken im Apothekenalltag zum Beispiel, warum seine Behörde die Auffassung vertritt, dass Vorbestellung per WhatsApp datenschutzrechtlich unzulässig ist. Da die Daten über US-amerikanische Server laufen, könne man nicht kontrollieren, was mit ihnen passiert, erklärte er. Und es blieb praxisnah: Martin Weidemann, Steuerberater bei der Treuhand Hannover, sprach über die digitale ­Betriebsprüfung und gab praktische Hinweise. Die Apotheker seien da so etwas wie ein „Jugend-forscht-Projekt“, sagte er. Der Grund, warum man sich ausgerechnet diese Branche als Testobjekt ausgesucht hat? Die Anzahl der Systeme ist überschaubar, erklärte Weidemann. Fünf Softwareanbieter decken 50% des Marktes ab, erklärte er. Zum Abschluss wurde es dann noch einmal ganz pharmazeutisch: Apotheker Dr. Christian Ude aus Darmstadt referierte zum Thema Cannabis in der Apotheke und komplettierte so das bunte Programm einer rundum gelungenen Veranstaltung. |

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