Kongresse

Krankenhauspharmazie 4.0

Wie sieht die Zukunft der Krankenhausapotheker aus? – Bericht vom ADKA-Kongress in Würzburg

WÜRZBURG (cel) | Digitaler und interdisziplinärer – so wünschen sich die Krankenhausapotheker, die vom 11. bis 13. Mai am 42. ADKA-Kongress in Würzburg teilnahmen, ihre Zukunft. Unnötige und gefährliche Schnittstellen und Medienbrüche eliminieren, dafür den persönlichen Austausch zwischen Arzt und Apotheker vorantreiben. Probleme als Chancen annehmen, sich als klinisch-pharmazeutische Kompetenz bei Arzneimitteln unverzichtbar machen – bei Medikationsplan, Entlassmanagement und ATMP (Arzneimittel für neuartige Therapien). Ein Beispiel für pharmazeutisch-medizinische Interdisziplinarität gab die ADKA durch die Verleihung ihrer Ehrennadel: Sie ging erstmals an einen Arzt, den AkdÄ-Präsidenten Prof. Wolf-Dieter Ludwig.

„Der erste Arbeitstag nach dem Urlaub: Noch tief entspannt öffnet man Outlook, und die gute Laune ist schlag­artig dahin – 738 eingegangene Mails am PC, dann noch die Berge an Papier auf dem Schreibtisch.“ Heißt erst mal: Papierkorb füttern – den digitalen gleichermaßen wie den realen. Eine vertraute Szene, die Rudolf Bernard, Präsident des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA), als Einstieg zum Thema „Krankenhauspharmazie 4.0“ wählte. Und nur ein Beispiel, dass die Digitalisierung in den bundesweiten Krankenhäusern längst nicht konsequent etabliert ist. Im stationären Bereich fehlt die flächendeckende elektronische Patientenakte, und vielerorts kämpfen Apotheker mit digitalen Teilprozessen bei der täglichen Arzneimittelversorgung. Diese „Medienbrüche gehen zulasten von Sicherheit und Effizienz“, kritisiert Bernard. Zeit, die Apotheker in Kliniken vielleicht gerne sinnvoller nutzen würden.

Foto: ADKA/Peter Pulkowski
ADKA-Präsident Rudolf Bernard prangerte Medienbrüche an.

Medienbrüche sind bei der Umstellung analog-digital vielleicht nicht immer vermeidbar, umso mehr verwundert es, dass die Politik Medienbrüche teilweise bewusst fördert. Wo? Beim Medikationsplan. Da das E-Health-­Gesetz eigentlich die sichere digitale Kommunikation im Gesundheitswesen voranbringen sollte, erscheint es nahezu grotesk, dass der in diesem Gesetz verankerte Medikationsplan bislang lediglich auf Papier existiert.

Das Projekt der elektronischen Rundumversorgung hinkt – doch „IT und Digitalisierung sind eine gute Sache“, findet Bernard. Der digitale Zug soll seiner Ansicht nach Fahrt in Richtung Zukunft aufnehmen. Diesen derzeit recht „holprigen Prozess“ zu einem ­sicheren elektronischen Gesundheitswesen müssten Krankenhausapotheker als eine Option sehen, um diesen „sinnvoll zu gestalten“. Potenzial sieht Bernard gerade bei den leidigen Themen des Entlassmanagements und des Medikationsplans. Denn: „Das Krankenhaus wird zum Treiber des Medikationsplans in Deutschland“, wenn künftig Millionen von Patienten mit einem solchen entlassen werden. Davon ist der ADKA-Chef überzeugt. Würde der Medikationsplan in elektronischer Form realisiert, bekämen Klinikapotheker endlich die „Chance, die Medikation jedes einzelnen Patienten zu checken“ und einen Fuß in die stationäre Tür für das Medika­tionsmanagement zu setzen. „Hier ist das Fachwissen des klinischen Apothekers sinnvoll eingesetzt“, findet Bernard, um gemeinsam mit dem Arzt die Arzneimitteltherapie zu optimieren.

ADKA-Ehrennadel geht erstmals an einen Arzt

Der Wunsch nach einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker ist ehrlich gemeint. Das zeigte die Verleihung der ­ADKA-Ehrennadel. Waren die bisherigen Träger ausnahmslos Krankenhausapotheker, ging sie in diesem Jahr – als Novum – an einen „sehr engagierten Vertreter des Heilberufes, mit dem wir im Krankenhaus am engsten zusammenarbeiten, einen Arzt“, freute sich der ADKA-Präsident. Ausgezeichnet wurde der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Prof. Wolf-­Dieter Ludwig, der sich in besonderem Maße um die Krankenhauspharmazie verdient gemacht habe.

Foto: ADKA/Peter Pulkowski
Prof. Wolf-Dieter Ludwig erhielt in Würzburg die ADKA-Ehrennadel.

Ludwig sieht die Herausforderung, der sich Apotheker und Ärzte in naher Zukunft stellen müssen, darin, „die Arzneimitteltherapie als Hochrisikoprozess“ wahrzunehmen. „Wir stehen ganz am Anfang, ich begrüße ausdrücklich den Medikationsplan, da er ein winziger Schritt in die richtige Richtung ist.“ Doch auch Ludwig sieht hier eine enge Zusammenarbeit unabdingbar, damit der Medikationsplan auch tatsächlich zur Verbesserung der AMTS beim Patienten führt. Vor diesem Hintergrund ist es ihm unverständlich, „warum es in Deutschland nicht gelingt, Krankenhausapotheker stärker in den stationären Bereich einzubeziehen“. Gerade mit den zunehmend schlechteren Rahmenbedingungen für Kliniken – weniger Pflegekräfte und Ärzte mit immer weniger Zeit – seien „humane Ressourcen nötig“, um kompetent zu Arzneimitteln zu beraten. „Krankenhausapotheker gehören auf Stationen“, so Ludwig.

Vorbildfunktion bei diesem Thema übernimmt derzeit Niedersachsen. Hier ist ein Gesetz in Arbeit, das Sta­tionsapotheker in Krankenhäusern verpflichtend vorsieht, und zwar einen Apotheker pro 300 Betten – zusätzlich zu den bereits tätigen Klinikapothekern. Wird der Stationsapotheker in Niedersachsen gesetzlich verankert, hofft Bernard auf eine „Signalwirkung für andere Bundesländer“. Schon regt sich allerdings auch Widerstand seitens der niedersächsischen Krankenhausgesellschaft.

ATMP – was ist das?

Foto: ADKA/Peter Pulkowski
Dr. Lenka Taylor

Gleich mit drei Gesetzen sehen sich Apotheker beim Umgang mit ATMP (Advanced Therapy Medicinal Products, d. h. Arzneimittel für neuartige Therapien) konfrontiert: Biostoffverordnung, Gentechnikgesetz und Arzneimittelgesetz. Trotzdem gibt es hier eher eine Unter- als eine Überregulierung, denn bei ATMP ist „der Fortschritt immens und rapide, und die Regulierung der ATMP hängt hinterher“, erklärte Dr. Lenka Taylor vom Universitätsklinikum Heidelberg in ihrer Keynote lecture. Die Apotheker müssen sich hier neuen Herausforderungen stellen, z. B. bei der Rekonstitution von Imlygic®

(s. u.). Da ATMP Arzneimittel sind, gehören sie „zwingend unter die Aufsicht des Apothekers“, so Taylor, die resümierte: ­„Arzneimittel sind unsere Kompetenz, ­ATMP muss unsere Aufgabe werden.“

Keine Angst vor Imlygic

Wie abenteuerlich und aufwendig ­ATMP sein können, zeigten Dr. Tobias Borst, Uniklinikum Erlangen, und Dr. Kerstin Maiwald, Unimedizin Mainz, in ihrem Seminar „Umgang mit zugelassenen ATMP in der Apotheke“ am Beispiel von Imlygic. Das Fertigarzneimittel enthält das onkolytische Virus Talimogen laherparepvec (kurz: T-Vec), ein gentechnisch verändertes Herpes-simplex-Virus Typ 1. Es wird tiefgefroren gelagert und unmittelbar vor der Anwendung aufgetaut und mit einer Spritze aufgezogen. Der Hersteller Amgen erachtet in der Fachinformation zu Imlygic dieses Aufziehen auf Station als unproblematisch. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn dabei ist vieles zu beachten: Arbeitsschutz, Entsorgung von infektiösem Müll, Verhalten bei Verschüttung. In der ambulanten Versorgung wird diese Herstelltätigkeit nicht einmal finanziell vergütet. Doch das Fazit von Borst lautete: „Keine Angst vor Imlygic!“

Elektronisches Versorgungssystem

Der Prozess der Digitalisierung ist ­keine One-Man-Show der Apotheke, verdeutlichte Dr. Steffen Härterich vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). In seiner Keynote lecture versuchte er, Ordnung in den Kosmos elektronischer Versorgungssysteme zu bringen – wie können Krankenhäuser „dieses dicke Brett“ überhaupt etablieren? Auch wenn Härterich empfahl, das aktive Team hierbei überschaubar zu halten, so hängen dennoch unzählige Akteure mit ihren jeweiligen Interessen daran. Denn ein elektronisches Versorgungssystem soll „kein Produkt der Apotheke sein, sondern des Krankenhauses“. Was wollen die Ärzte? Eine einfache und schnelle Verordnung und integrierte Therapieleitlinien. Die Pflege legt Wert auf eine unkomplizierte Bestellung und Dokumentation, um mehr Zeit für den Patienten zu haben. Und die Verwaltung? Stichworte sind hier Kostenkontrolle und Fallabrechnung.

Foto: ADKA/Peter Pulkowski
Dr. Steffen Härterich

Damit nicht genug der Anforderungen: Dem fachlichen Anspruch jeder Disziplin steht auch ein menschlicher gegenüber: „Das System muss gut bedienbar sein, es nutzt nichts, wenn ein System alles kann, aber bediener­unfreundlich ist“, mahnte Härterich. Er sprach von Software-Ergonomie, die viele Informationen auf wenig Raum übersichtlich darstellt, einheit­lichen Radarbildschirmen – und Schulungen. „Ein System dieser Komplexität ist nicht selbsterklärend“, auch wenn man übliche Bedienkonzepte verwendet. Zudem steht es „in direkter Konkurrenz zum Papier“, weshalb die Nutzer eventuelle Probleme bei der Bedienung nicht akzeptieren.

Für den Fall, dass das elektronische Versorgungssystem einmal ausfällt, braucht man einen Notfallplan. Bis das System „rund läuft“, dauert es etwa zwei Jahre – und auch danach will dieses Konstrukt durchaus gepflegt sein. Apotheker werden sich hier vorwiegend um die Aktualisierung des Hauskatalogs und der Therapieschemata sowie die Schulungen auf Station kümmern, so Härterich.

Eines ist klar bei Krankenhauspharmazie 4.0 – langweilig wird es den Klinikapothekern nicht. |

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