Klinische Pharmazie – POP

Eine Patientin mit anaphylaktischem Schock

Frau K. ist in der Apotheke als Stammkundin bekannt, die neben Pflegekosmetik und OTC-Arzneimitteln regelmäßig Rezepte für Ramipril 5 mg gegen ihren erhöhten Blutdruck einlöst. Zwei Tage nach der Einlösung eines Rezepts über Penicillin wegen einer eitrigen Tonsillitis erscheint Frau K. sichtlich mitgenommen und blass in der Apotheke mit einem Rezept über Fenistil® Dragees und Clarithromycin 250 mg Tabletten... Von Markus Zieglmeier, Johannes Ring, Olaf Rose und Hartmut Derendorf.

In der Pharmakotherapie dreht sich alles um den Patienten, um Leitlinien und um das klinische Ergebnis. Bearbeiten Sie mit uns diesen Patientenfall und erlernen Sie so zusätzliches therapeutisches Wissen.

Lernziele

In diesem Artikel lesen Sie,

  • welche allergischen Reaktionen auf Arzneimittel es gibt,
  • wie eine Anaphylaxie als allergische Sofortreaktion aussieht,
  • was Ärzte und Apotheker beim Auftreten von Arzneimittelallergien tun sollen und
  • wie ein Patient mit einer Allergiediagnose zuverlässig vor dem weiteren Kontakt mit dem Allergen geschützt werden kann.

Die Patientin

Frau K. ist in der Apotheke als Stammkundin bekannt, die neben Pflegekosmetik und OTC-Arzneimitteln regelmäßig Rezepte für Ramipril 5 mg gegen ihren erhöhten Blutdruck einlöst. Zwei Tage nach der Einlösung eines Rezepts über Penicillin wegen einer eitrigen Tonsillitis erscheint Frau K. sichtlich mitgenommen und blass in der Apotheke mit einem Rezept über Fenistil® Dragees und Clarithromycin 250 mg Tabletten. Sie berichtet, sie habe die erste Penicillin-Tablette kurz nach Erhalt der Packung in einem Café eingenommen, in dem sie mit einer Freundin verabredet war. Kurz nach der Einnahme habe sie ein „komisches, flaues Gefühl im Magen“ und ein Hitzegefühl im Gesicht bekommen. Ihre Freundin habe sie auf ein geschwollenes Augenlid und Flecken im Gesicht aufmerksam gemacht. Sie habe mit Mühe die Toilette erreicht, wo sie sich übergeben musste, und dann habe es ihr „den Kreislauf weggezogen“. Der von der Kellnerin alarmierte Notarzt brachte sie in die Klinik, wo man ihr die Diagnose „anaphylaktischer Schock, am ehesten auf Penicillin“ mitgeteilt habe. Durch die Infusionen und Medikamente, die man ihr in die Vene verabreichte, habe sie sich zwar rasch erholt, aber in der Nacht auf der Wachstation der Klinik sei es ihr dann noch einmal richtig schlecht gegangen.

Diagnosen, Medikamente und Laborparameter

Diagnosen:

arterielle Hypertonie (seit zwei Jahren)

aktuell: eitrige Tonsillitis

Vitalparameter:

Alter: 49 Jahre

Körpergröße: 165 cm

Gewicht: 68 kg

BMI: 25 kg/m2

Blutdruck: 130/85 mmHg (bei Klinikeinweisung 95/65 mmHg)

Puls: 70 Schläge/Minute (bei Klinik­einweisung 160 Schläge/Minute)

eingenommene Medikation:

Ramipril 5 mg: 1-0-0

Penicillin 1,2 Mega: einmalig (Absetzen nach Unverträglichkeit)

Arzneimittelallergien allgemein

Allergische und pseudoallergische Reaktionen unterscheiden sich lediglich im Vorhandensein oder Fehlen des Nachweises spezifischer IgE-Antikörper, nicht jedoch im klinischen Bild. Sie werden als Überempfindlichkeitsreaktionen zusammengefasst. Überempfindlichkeiten auf Arzneimittel können sich auf verschiedene Arten äußern. Neben der allergischen Sofortreaktion, die bevorzugt als Anaphylaxie auftritt, stellen die Spätreaktionen in Gestalt verschiedener Ausschläge („Exantheme“) die häufigsten Formen von Arzneimittelallergien dar [1] (Abb. 1).

Foto: Prof. Dr. J. Ring
Abb. 1: Allergische Urtikaria Die Haut ist bei der Anaphylaxie am häufigsten betroffen. An Haut und Schleimhäuten treten Juckreiz, Erythem (flush), sowie Urtikaria und ­Angio-(Quincke-)Ödem auf, auch an Hautarealen, die keinen direkten Kontakt mit dem Auslöser hatten.

Die häufigsten Allergene bei der allergischen Kontaktdermatitis sind Metallsalze (z. B. Nickel, Kobalt), Duftstoffe und Gummi-Inhaltsstoffe. Bei den Arzneimitteln stehen Salbengrundlagen (z. B. Wollwachsalkohole, Cetylstearylalkohol), Konservierungsmittel (z. B. Kathon® CG, Euxyl® K 400), Antiseptika und Antibiotika (insbesondere Aminoglykoside wie Gentamicin oder Neomycin) als Auslöser im Vordergrund.

Ebenfalls zu den Spätreaktionen gehören die sehr seltenen, aber schweren kutanen Arzneimittelreaktionen wie das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS), gekennzeichnet durch Blasenbildung und Schleimhautbefall, das in besonders schweren Fällen übergehen kann in

  • die toxische epidermale Nekrolyse (TEN, auch Lyell-­Syndrom) mit einer Sterblichkeit von 20 bis 30%,
  • die Drug Reaction with Eosinophilia and Systemic Symptoms (DRESS) und
  • die akute generalisierte exanthematische Pustulose (AGEP).

Da solche Reaktionen Tage bis Wochen nach der Allergen­exposition auftreten können, ist es oft schwierig, den Aus­löser zuzuordnen. Das Stevens-Johnson-Syndrom und die toxische epidermale Nekrolyse werden auch unter dem Begriff schwere bullöse Hautreaktionen zusammengefasst. Typische Auslöser sind Allopurinol, Antiepileptika (Carbam­azepin, Phenytoin, Barbiturate, Lamotrigin) und Sulfon­amide.

Auch Organtoxizitäten wie Hepato- oder Nephrotoxizität können allergisch bedingt sein. Ist das Knochenmark von einer Überempfindlichkeit betroffen, kommt es in der Folge zu Blutbildveränderungen:

Allergische Thrombozytopenie mit Blutungsneigung, oft auch Einblutungen in die Haut („Purpura“, dunkelrote, nicht wegdrückbare Erytheme) können unter anderem durch verschiedene Antibiotika, Sulfonamide, NSAR oder Procainamid verursacht werden. Eine Sonderform ist die Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT II).

Hämolytische Anämien werden typischerweise durch Penicilline, Cephalosporine, nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), Chinin oder Chinidin verursacht.

Neutropenien bis hin zur Agranulozytose sind eine sehr seltene Nebenwirkung einer Vielzahl von Substanzen wie Metamizol, Carbimazol, Propylthiouracil, NSAR, Carbamazepin und andere.

Anaphylaxie – die Symptome

Anaphylaxie ist definiert als akute systemische Reaktion mit den Symptomen einer allergischen Sofortreaktion, die den ganzen Organismus erfassen kann und potenziell lebens­bedrohlich ist [3, 4]. Die wichtigsten Symptome umfassen:

Subjektive Allgemeinsymptome (früher „Prodromi“): Unruhe, Parästhesien oder Juckreiz an Handflächen, Fußsohlen oder im Ano-Genitalbereich

Haut: generalisierter Juckreiz, disseminierte Quaddeln (Urtikaria), umschriebene Gewebsschwellungen (Angioödem, z. B. an Lippe oder Augenlidern), anfallsartige flächige Rötung (Flush)

Gastrointestinaltrakt: Übelkeit, Erbrechen, Bauch­krämpfe, Koliken, Diarrhoe, Stuhl- und/oder Harnabgang

Atemwege: Rhinokonjunktivitis, Atemnot, pfeifende Atemgeräusche, Asthmaanfall, Glottisödem („Kloß im Hals“), Atemstillstand

Herz-Kreislauf-System: Herzklopfen, Tachykardie, Blutdruckabfall, Kollaps, Kreislaufschock, Arrhythmien, Herzstillstand

Tabelle 1 zeigt die diagnostische Schweregradeinteilung, die die verschiedenen möglichen Lokalisationen der Symptome berücksichtigt.

Tab. 1: Schweregradeinteilung anaphylaktischer Reaktionen nach Ring et al. 2014 [3]. Kein Symptom ist obligatorisch.
Grad
Symptome
Haut- und subjektive Allgemeinsymptome
Gastrointestinaltrakt
Respirationstrakt
Herz-Kreislauf-System
I
Juckreiz
Flush
Urtikaria
Angioödem
II
Juckreiz
Flush
Urtikaria
Angioödem
Nausea
Krämpfe
Erbrechen
Rhinorrhoe
Heiserkeit
Atemnot
Tachykardie
(Anstieg > 20/min)
RR-Schwankung (> 20 mmHg systolisch)
Arrhythmie
III
Juckreiz
Flush
Urtikaria
Angioödem
Erbrechen
Defäkation
Larynxödem
Bronchospasmus
Zyanose
Schock
IV
Juckreiz
Flush
Urtikaria
Angioödem
Erbrechen
Defäkation
Atemstillstand
Kreislaufstillstand

Verstärkung der anaphylaktischen Symptome

Die Einnahme eines Betablockers oder eines ACE-Hemmers stellt für die behandelnden Ärzte ein Alarmsignal dar. ACE-Hemmer erhöhen zwar nicht die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Allergie, können aber zu einem deutlich gravierenderen Verlauf führen. Die S2-Leitlinie zu Akut­therapie und Management der Anaphylaxie nennt folgende Substanzen, die zu einer Verstärkung der anaphylaktischen Symptome führen können [4]:

ACE-Hemmer durch eine Verminderung des Bradykinin-Abbaus, was zu einer ausgeprägteren Vasodilatation und damit zu einer ernsteren Schocksymptomatik führt.

Betablocker durch eine Blockade der kardiostimulatorischen Wirkung von Adrenalin bzw. Noradrenalin sowie durch eine verminderte Stabilisierung der Mastzellen durch diese Catecholamine.

NSAR durch eine vermehrte Leukotrien-Bildung sowie möglicherweise durch eine erleichterte Absorption oral zugeführter Allergene.

Akuttherapie

Die leitliniengerechte Behandlung der Anaphylaxie richtet sich nach dem Schweregrad und nach den beobachteten Leitsymptomen. Würde die Anaphylaxie in der Apotheke auftreten, wären folgende allgemeine Maßnahmen zu treffen:

  • Hilfe holen – Alarmierung des Notarztes, gegebenenfalls des nächsten erreichbaren Arztes
  • Lagerung des Patienten: flach, mit hochgelagerten Beinen bei vorwiegender Kreislaufsymptomatik, mit erhöhtem Oberkörper bei Asthma, in stabiler Seitenlage bei Bewusstlosigkeit
  • Kontrolle von Atmung, Puls und Blutdruck, gegebenenfalls Reanimation
  • venöser Zugang nach Eintreffen eines Arztes, Gabe von kristalloiden Elektrolytlösungen (z. B. Ringerlösung)
  • Gabe von Sauerstoff bei schweren Reaktionen

Tritt die anaphylaktische Reaktion in einer Klinik oder Praxis auf, besteht die erste Maßnahme im Stoppen der Zufuhr des Allergens (bei intravenöser oder inhalativer Applikation).

Bei der medikamentösen Therapie steht wegen des schnellen Eintretens der Wirkung Adrenalin im Vordergrund. Es kann bereits im Anfangsstadium der Anaphylaxie als intramuskuläre Injektion von 300 bis 600 µg in den Oberschenkel appliziert werden und wirkt innerhalb weniger Minuten. Hierfür stehen Autoinjektoren zur Verfügung. Bei Kindern und jungen Erwachsenen besteht kaum ein Risiko bei dieser intramuskulären Adrenalin-Gabe, aber bei älteren Patienten und Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann es zu Arrhythmien oder koronarer Minderdurchblutung kommen. In diesen Fällen müssen die Risiken sehr sorgfältig abgewogen werden. Spricht der Patient auf die intramuskuläre Gabe von zweimal 300 µg nicht an und ist bereits ein venöser Zugang gelegt worden, erfolgt die langsame intravenöse Gabe von Adrenalin (Suprarenin® Ampullen 1 mg) in einer Verdünnung von 1 : 10 mit Kochsalzlösung, alternativ die Gabe einer Verdünnung von 1 : 100 über einen Perfusor, immer unter Kontrolle von Puls und Blutdruck. Intensivmedizinische Alternativen bei Schweregrad IV sind Dopamin und Vasopressin. Betrifft die anaphylaktische Reaktion primär die Atemwege, wird zusätzlich inhalatives Adrenalin empfohlen, bei Asthmatikern auch kurzwirksame Beta-2-Sympathomimetika wie Salbutamol.

Grundpfeiler der Anaphylaxie-Therapie

Adrenalin ist wichtigster Bestandteil in der Akuttherapie. Es antagonisiert funktionell über Aktivierung von α- und β-Adrenorezeptoren alle wichtigen Pathomechanismen der Anaphylaxie. Die aus der Anaphylaxie resultierende Hypovolämie muss durch adäquate Volumengabe behandelt werden, bei schweren anaphylaktischen Reaktionen muss eine große Menge Flüssigkeit innerhalb kurzer Zeit zugeführt werden. Antihistaminika adressieren mit Histamin einen zentralen Mediator allergischer Reaktionen.

Glucocorti­coide werden wegen ihrer membranstabilisierenden Wirkung eingesetzt. Insgesamt sollte die Notfall­therapie der Anaphylaxie zeitnah und symptomgerecht erfolgen.

H1-Antihistaminika haben einen festen Platz in der Therapie allergischer Sofortreaktionen. Sie werden in der Regel intravenös gegeben (Dimetinden- oder Clemastin-Ampullen) und haben ausgeprägte sedierende Nebenwirkungen, was in den meisten Fällen durchaus erwünscht ist.

Glucocorticoide sind wegen des langsamen Wirkungs­eintritts (bis zu 30 Minuten) für die Akuttherapie von geringerer Bedeutung. Wegen ihrer allgemeinen membranstabilisierenden Wirkung, mit der sie die Mediatorfreisetzung hemmen und einer protrahierten oder biphasischen Reaktion entgegenwirken, haben sie dennoch einen festen Stellenwert in der Akuttherapie. Überschreitet die Anaphylaxie den Schweregrad II, werden intravenöse Gaben von 250 mg Prednisolon oder mehr empfohlen.

Nach erfolgreicher Akuttherapie müssen die Patienten 24 Stunden überwacht werden, da die Symptome wieder auftreten können. Dies geschieht meist nach vier bis acht Stunden. Frau K. hat diesen biphasischen Verlauf mit den Worten, in der Nacht sei es ihr noch einmal richtig schlecht gegangen, beschrieben.

Allergologische Diagnostik

Hat der Patient die akute Phase seiner Anaphylaxie überstanden, greift eine weitere Leitlinie. Leitlinien befassen sich in aller Regel mit der Diagnostik und Therapie von definierten Erkrankungen. Insofern stellt die S2K-Leitlinie Allergologische Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel eine Ausnahme dar, weil sie unerwünschte Arzneimittelwirkungen behandelt [5]. Wichtig an dieser Leitlinie ist auch, dass sie sich nicht nur an Ärzte wendet, sondern an alle im Gesundheitswesen tätigen Personen mit Patientenkontakt. Der Apotheke als niederschwellige Anlaufstelle für Patienten mit arzneimittelbezogenen Problemen fällt also die Aufgabe zu, bei Verdacht auf eine Überempfindlichkeit auf Arzneimittel eine eingehende Diagnostik zu empfehlen.

Die Leitlinie hat das Ziel, dass alle Patienten mit fraglichen Arzneimittelallergien zeitnah einer allergologischen Dia­gnostik zugeführt werden sollen, um sie einerseits künftig von einer erneuten Allergenexposition zu schützen, andererseits aber die therapeutischen Optionen nicht aus übertriebener Vorsicht ungerechtfertigt zu beschränken.

Die Apothekerin erklärt Frau K. den Arztbrief, den sie aus der Klinik mitgebracht hat. Darin steht unter der Überschrift Einweisungsdiagnose: „Anaphylaktischer Schock, a. e. auf Penicillin“. „Am ehesten“ ist eine Formulierung, die in Arztbriefen immer dann gewählt wird, wenn eine Ursache wahrscheinlich, aber nicht gesichert ist. Theoretisch hätte auch die im Café konsumierte Schwarzwälder Kirschtorte der Auslöser der Allergie sein können. Die Apothekerin unterstützt Frau K. dabei, einen ortsnahen Allergologen ausfindig zu machen und fordert sie auf, nach abgeschlossener Diagnostik mit ihrem Allergiepass wieder in der Apotheke zu erscheinen. Sie gibt Frau K. das Formular der Einverständniserklärung mit, mit der die Patientin in die Speicherung von vertraulichen Daten wie z. B. Diagnosen einwilligt, während die Apotheke gleichzeitig den datenschutzrechtlich korrekten Umgang mit diesen Daten zusichert. Praktischerweise enthält die Erklärung auch einen Passus, in dem die behandelnden Ärzte gegenüber der Apotheke von ihrer Schweigepflicht entbunden werden, was Rückfragen erleichtert.

Schutz der Patientin mit dem CAVE-Modul

Zwei Wochen später kommt Frau K. mit einem frisch ausgestellten Allergiepass und der ausgefüllten Einverständniserklärung wieder in die Apotheke. Der Allergologe hat nicht nur die Penicillin-Allergie diagnostiziert, sondern nach eingehender Anamnese auch auf verschiedene Inhaltsstoffe von Dermatika getestet und eine Allergie gegen Wollwachs­alkohole festgestellt.

Abb. 2: Eingabe der medikationsrelevanten Individualparameter (MIV-Codes), in diesem Fall eine Penicillin-Allergie sowie eine Allergie gegen Wollwachs, Bildschirmoberfläche des Menüs „Risikomanagement“ im CAVE-Modul (hier IXOS, Fa. Pharmatechnik). Das System hat bereits automatisch aus der Anrede <Frau> und dem Geburtsdatum die MIV-Codes Alter und Geschlecht übernommen. In die Auswahlfelder <CAVE-Check> und <mit Kreuzreaktion> ist jeweils ein Häkchen zu setzen. Einschließlich der Stammdaten dauert die Eingabe aller Daten, die den Patienten (exklusiv in der Stammapotheke, in der die Daten vorliegen) effektiv vor der Reexposition mit diagnostizierten Allergenen in Arzneimitteln schützen, weniger als fünf Minuten.

Die Apothekerin bittet Frau K. in die Beratungsecke und öffnet dort das Zusatzmodul CAVE der ABDA-Datenbank (siehe Abb. 2). Sie gibt die Stammdaten der Patientin (Name, Geburtsdatum, Adresse) ein und öffnet dann das Menü „Risikomanagement“. Hier trägt sie im Feld „Allergie“ die beiden Diagnosen „Penicillin-Allergie“ und „Wollwachs-­Allergie“ ein und setzt in den Kästchen „CAVE-Check“ und „mit Kreuzreaktion“ jeweils ein Häkchen. Sie erklärt Frau K., dass nun jedes Mal, wenn sie in dieser Apotheke mit ihrer Kundenkarte einkauft oder ein Rezept vorlegt, ein warnendes Icon auf dem Bildschirm des Warenwirtschaftssystems aufblinkt, falls eines der betreffenden Allergene in den zur Abgabe vorbereiteten Arzneimitteln enthalten ist. Darüber hinaus klärt sie die Kundin auf, dass dieses System für einen deutlich breiteren Einsatz konzipiert ist, der den Schutz vor potenziellen Allergenen deutlich überschreitet und ein sehr weitgehendes Medikationsmanagement ermöglicht, das dann jedoch mit einer Gebühr verbunden ist.

Das Zusatzmodul CAVE derABDA-Datenbank

Seit dem Jahr 2000 stellt ABDATA zusammen mit der ABDA-Datenbank den Apotheken das Zusatzmodul CAVE (vom lateinischen cavere: sich vor etwas hüten) zur Verfügung. Heute hat nahezu jede Apotheke in Deutschland das CAVE-Modul als Ergänzung zur Interaktionsdatenbank in ihrem Warenwirtschaftssystem. Allerdings wird es wegen des von den Kostenträgern derzeit nicht vergüteten Aufwands der Datenpflege derzeit sehr wenig genutzt.

Das CAVE-Modul ist das einzige verfügbare System, das automatisiert bei der Abgabe eines Arzneimittels an den Allergiker durch Warnhinweise (ein blinkendes Allergie-Icon auf dem Bildschirm) auf mögliche Risiken in Gestalt von Allergien oder Kreuzreaktivitäten hinweist. Damit bietet sich das CAVE-Modul als Instrument der Kundenbindung an: Wenn ein Allergiker im Warenwirtschaftssystem einer bestimmten Apotheke mit dem gesamten Inhalt seines Allergiepasses hinterlegt ist, resultiert dies im Bewusstsein, dass er nur in dieser Apotheke weitestgehend vor Arzneimitteln geschützt ist, die bei ihm eine Überempfindlichkeitsreaktion auslösen würden. Wenn die Dateneingabe auf die Stammdaten und die diagnostizierten Allergene beschränkt wird, beträgt der Eingabeaufwand weniger als fünf Minuten.

Die tatsächlichen Eingabemöglichkeiten, die als Teil eines kostenpflichtigen Medikationsmanagements angeboten werden können, gehen weit darüber hinaus und umfassen medikationsrelevante Individualparameter (MIV-Codes) wie chronische Erkrankungen (z. B. Asthma bronchiale, Diabetes mellitus), veränderte Gen- oder Enzymmuster (z. B. Lactose- oder Fructose-Intoleranz), Ereignisse in der Patientenanamnese (z. B. Alkoholkrankheit zur Vermeidung alkoholhaltiger Zubereitungen), Altersbereiche (z. B. für den PRISCUS-Check, das System errechnet das Alter automatisch aus dem Geburtsdatum), anatomische Veränderungen (z. B. Magen-Darm-Stenosen), Diathesen wie z. B. hämorrhagische (Blutungsneigung) oder allergische (Allergie­neigung). Bei der Eingabe mehrerer Allergien (s. u.) schlägt das System automatisch vor, den MIV <Diathese (allergische)> aus dem Teilbereich Erkrankung zu codieren. Wenn dies ausgeführt wird, werden beim CAVE-Check während der Abgabe auch Arzneimittel erfasst, die bei Patienten mit angeborener oder erworbener Allergieneigung mit einem überproportional hohen Risiko einhergehen.

Allergien sind im CAVE-Modul definiert als dosisunabhängige Stoffunverträglichkeiten allergischer (mit Beteiligung des Immunsystems) oder pseudoallergischer (ohne Beteiligung des Immunsystems) Natur; es wird also nicht nach dem Mechanismus differenziert, da bei beiden Stoff­überempfindlichkeiten die auftretenden Symptome identisch sind. Dabei erfolgt ein Abgleich mit Wirk- und Hilfsstoffen eines Arzneimittels unter Einbeziehung von verwandten Stoffen aus anderen Indikationsgebieten und von Kreuzallergien. Hierbei greift das CAVE-Modul auf die in den Basisinformationen des Artikelstamms der ABDA-­Datenbank gespeicherten Daten zur vollständigen qualitativen Zusammensetzung des jeweiligen Arzneimittels zu. Es muss also nicht befürchtet werden, dass undeklarierte Hilfsstoffe eine Allergie auslösen. |

Was wäre, wenn …

… Makrolide als Alternative zum Penicillin nicht infrage kämen?

Ungeachtet der anaphylaktischen Reaktion auf Penicillin ist die eitrige Tonsillitis bei Frau K. nach wie vor behandlungsbedürftig. Die Entzündung wird in aller Regel durch Streptokokken ausgelöst, die (sofern sie mitteleuropäischen Ursprungs sind) meist hochempfindlich auf alle Betalactam-Antibiotika, aber nur mäßig empfindlich auf Fluorchinolone wie Ciprofloxacin sind. Könnten Makrolide z. B. wegen einer weiteren Allergie als Alternative nicht gegeben werden, würde sich die Frage nach dem Risiko einer Kreuzallergie gegen Cephalosporine stellen. Bis vor kurzer Zeit ging man davon aus, dass die Kreuzreaktivität zwischen Penicillinen und Cephalosporinen etwa 10% beträgt und dass es daher mit einem hohen Risiko verbunden ist, einem Patienten mit Penicillin-Allergie Cephalosporine zu verabreichen. Die Zahlen und Fallberichte, die dieser Risikoeinschätzung zugrunde lagen, stammen aus den 1960er- und 1970er-Jahren und damit aus einer Zeit, als die verfügbaren Cephalosporine noch zur ersten Generation gehörten und zum Teil mit Spuren von Penicillinen verunreinigt waren. Aktuelle Zahlen liefern ein deutlich differenzierteres Bild. Danach liegt die Wahrscheinlichkeit einer klinisch auffälligen Reaktion eines Penicillin-Allergikers auf Cephalosporine im Durchschnitt bei nur 4,3% [6]. Auch diese Zahl bedarf weiterer Differenzierung aufgrund der Erkenntnis, dass es offenbar nicht die Betalactam-Struktur selbst ist, auf die das Immunsystem reagiert. Vielmehr spielen die Metabolite, die bei der Öffnung des Lactam-Rings entstehen, eine Rolle. Eine noch größere Bedeutung scheinen die Seitenketten zu haben, die an den Betalactam-Grundgerüsten hängen. Diese unterscheiden sich bei den Cephalosporinen der ersten Generation nur marginal von denen der Penicilline, die Ähnlichkeit wird dann jedoch von Generation zu Generation geringer (Abb. 3).

Abb. 3: Strukturelle Ähnlichkeit der Seitenketten beim Aminopenicillin Ampicillin (links) und den Cephalosporinen Cephalexin (1. Generation, Mitte) und Cefpodoximproxetil (3. Generation, rechts)

In verschiedenen neueren Arbeiten wird daher die Kreuzreaktivität der Cephalosporine der ersten Generation mit ca. 10%, die der dritten Generation dagegen mit lediglich ca. 1% angegeben [6, 7, 8]. Bei aller Vorsicht in der Interpretation deuten diese Zahlen darauf hin, dass Cephalosporine der dritten Generation (Cefotaxim, Ceftriaxon und Ceftazidim in der Klinik, Cefpodoxim­proxetil und Cefixim im ambulanten Bereich) bei der Penicillin-Allergie unter den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen durchaus mögliche Alternativen darstellen. Insbesondere in der Klinik, wo bei Penicillin-Allergie oft auf Carbapeneme (Imipenem oder Meropenem) ausgewichen wird, sollte zur Kenntnis genommen werden, dass diese ein eher höheres Kreuzallergierisiko zu haben scheinen als Cephalosporine der dritten Generation [7]. In der öffentlichen Apotheke würde das CAVE-Modul unabhängig davon, ob das verordnete Cephalosporin der ersten, zweiten oder dritten Generation angehört, eine Risikowarnung anzeigen, sofern das Häkchen bei „mit Kreuzreaktion“ gesetzt ist. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Moduls, eine Einstufung in verschiedene Risikoklassen vorzunehmen.

Literatur

[1] Ring J, Zieglmeier M. Arzneimittelallergien. Schriftenreihe der Bayerischen Landesapothekerkammer, Heft 92, Govi Verlag Eschborn 2016

[2] Pichler WJ. Drug allergy – classification and clinical features. www.uptodate.com 2014, abgerufen Dezember 2015

[3] Ring J, et al. Anaphylaxis. Karger Verlag, Basel 2010

[4] Ring J, et al. Leitlinie zur Akuttherapie und Management der Anaphylaxie. AWMF-Leitlinien-Register-Nummer: 061-025, Allergo J Int 2014;23:96, www.awmf.org

[5] Brockow K, et al. Leitlinie Allergologische Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel. Allergo J Int 2015;24:94, www.awmf.org

[6] Buonomo A, et al. Cross-reactivity and Tolerability of Cephalosporins in Patients With Cell-Mediated Allergy to Penicillins. J Investig Allergol Immunol 2014;24(5):331-337

[7] Kula B, et al. A Systematic Review: Can One Prescribe Carbapenems to Patients With IgE-Mediated Allergy to Penicillins or Cephalosporins? Clin Infect Dis 2014;59(8):113-1123

[8] Lee QU. Use of cephalosporins in patients with immediate penicillin hypersensitivity: cross reactivity revisited. Hong Kong Med J 2014;20(5):428-436

Autoren

Apotheker Dr. Markus Zieglmeier studierte Pharmazie an der LMU in München und ist seit 1989 in der Apotheke des Klinikums München-Bogenhausen tätig. Promotion zum Dr. rer. biol. hum., Fachapotheker für Klinische Pharmazie, Zusatzbezeichnungen Medikationsmanager BA KlinPharm, Ernährungsberatung und Geriatrische Pharmazie.

Prof. Dr. med. Dr. phil. Johannes Ring war bis 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Dermatologie und Allergologie der TU München und ist auch nach seiner Emeritierung für das CK-Care-Programm der Kühne-Stiftung und in freier Praxis im Haut- und Laser­zentrum an der Oper in München tätig.

Olaf Rose, PharmD, Pharmaziestudium in Münster, Studium zum Doctor of Pharmacy an der University of Florida, USA, wissenschaftliches Mitglied der WestGem-Studie, mit Prof. Dr. Kristina Friedland Herausgeber des Buches „Angewandte Pharmakotherapie“, Inhaber dreier Apotheken, Forschungsschwerpunkt: Medikationsmanagement.

Prof. Dr. Hartmut Derendorf ist Distinguished Professor und Chairman des Departments of Pharmaceutics an der University of Florida in Gainesville, wo er seit 1983 Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Klinische Pharmakokinetik lehrt.

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