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Beratung

Proaktiv, mikrobiotisch, antientzündlich

Neue Strategien und Entwicklungen zur Prävention und Therapie der Neurodermitis

Die Behandlung der Neurodermitis sollte stadiengerecht und mit einer Stufentherapie erfolgen. In den letzten Jahren wurden neue Strategien entwickelt mit denen es gelingen könnte, die Therapie dieser belastenden Erkrankung zu verbessern. Ein neues Arzneimittel steht in Europa kurz vor der Zulassung.

Aus der Versorgungsforschung ist bekannt, dass in Deutschland rund 23 Prozent der Säuglinge und Kleinkinder, acht Prozent der Schulkinder und zwei bis vier Prozent der Erwachsenen Gesundheitsleistungen aufgrund einer Neurodermitis (Syn.: atopisches Ekzem; atopische Dermatitis) in Anspruch nehmen. Bei Kindern ist sie damit die häufigste chronische Erkrankung überhaupt, die sich zudem sehr früh manifestiert: bei etwa der Hälfte der Patienten in den ersten sechs Lebensmonaten, in 60 Prozent der Fälle im ersten Lebensjahr und in über 70 bis 85 Prozent der Fälle vor dem fünften Lebensjahr.

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Die Hauterscheinungen der Neurodermitis sind je nach Stadium und Lebensalter unterschiedlich ausgeprägt und lokalisiert. Bei Kindern finden sich die Ekzeme meist im Kopfbereich und in den Kniekehlen und Armbeugen. Bei Erwachsenen sind auch Handekzeme oder stark juckenden Knötchen möglich. Zu den sogenannten Minimalsymptomen zählen Cheilitis, Ohrläppchenrhagaden und gerötete schuppige und rissige Finger- und/oder Zehenkuppen.

Die Zeit heilt alle Wunden

Dieses alte Sprichwort trifft teilweise auch auf die Neurodermitis zu – bis zum frühen Erwachsenenalter sind etwa 60 Prozent der erkrankten Kinder symptomfrei. Doch bis dahin kann die Lebensqualität der Betroffenen sowie ihrer Eltern, Geschwister und weiterer Betreuungspersonen stark beeinträchtigt sein. Hauptgrund dafür ist das Leitsymptom der Erkrankung, der quälende Juckreiz.

Individuelle Stufentherapie

Soll eine Neurodermitis-Behandlung erfolgreich sein, muss sie flexibel an das Alter des Patienten, das Stadium sowie auch an äußere Faktoren wie die Jahreszeit angepasst sein. Außerdem ist die Reduktion bzw. Vermeidung individueller Provokationsfaktoren von großer Bedeutung. Während bei der leichten bis moderat ausgeprägten Neurodermitis eine Vielzahl von – meist äußerlich anzuwendenden – Arzneimitteln zur Verfügung steht, ist die Palette der Optionen zur Behandlung der schweren bis sehr schweren Formen eingeschränkt.

In Anlehnung an internationale Gremien empfiehlt die AWMF-Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft eine Stufentherapie (s. Abb.). Ein Hauptmerkmal ist die Notwendigkeit einer Basistherapie auf ­jeder Stufe (Abb., Tab).

*** Die zusätzliche Anwendung von antipruriginösen und antiseptischen Wirkstoffen kann erwogen werden.
Tab.: Therapiebegleitende Pflege bei Neurodermitis – Präparatebeispiele
Produkt(linie)
Hersteller
Inhaltsstoffe u. a.
Empfohlen für
A-Derma Exomega
Pierre Fabre
Rhealba Jungpflanzen-Hafer­extrakt, Filaxerine
die Basispflege
Allergika
Hydro- und Lipolotio sensitive
Allergika
Glycerin, Polidocanol (Hydrolotio)
Glycerin, Bisabolol, Vitamin E (Lipolotio)
den akuten Schub (Hydrolotio) und die Basispflege (Lipolotio)
Balneum Intensiv
Allmiral Hermal
Ceramide, Glycerin, Harnstoff
die Basispflege
Basodexan Softcreme, ­Fettcreme und Salbe
Allmiral Hermal
Harnstoff
den akuten Schub (Softcreme) und zur Basispflege (Fettcreme, Salbe)
Bedan Creme, Lotion, ­Gesichtscreme
Klosterfrau
Hyperforin, Panthenol, Allantoin
den akuten Schub und zur Basispflege
Bioderma Atoderm Intensive
A-Derma
Skin Barrier Therapy®, PEA, ­Zinkgluconat, β-Sitosterol
den akuten Schub und zur Basispflege
Dermalex Neurodermitis
Omega Pharma
Ceramide, Aluminiumsilikat, ­Erdalkali-Mineralsalze
den akuten Schub und zur Basispflege
Dermaplant
Schwabe
Urtinktur von Cardiospermum halicacabum
den akuten Schub und zur Basispflege
Dermasence Vitop forte
P&M Cosmetics
Färberweid, Grüner Tee, Aloe ­vera
die Basispflege
Elacutan
Riemser
Harnstoff
den akuten Schub und zur Basispflege
Eucerin AtopiControl
Beiersdorf
Nachtkerzensamenöl, Licochalcone A
den akuten Schub und zur Basispflege
Excipial U und U10 Lipolotio
Galderma
Harnstoff
die Basispflege
FideSan
Heel
Cardiospermum halicacabum
die Basispflege
Ichthosin
Ichthyol Gesellschaft
Natriumbituminosulfonat, hell
den akuten Schub und zur Basispflege
Imlan Creme Plus
Birken
Betulin, Bienenwachs, Harnstoff
die Basispflege
La Roche-Posay Lipikar Balsam
L’Oréal Deutschland
Shea-Butter, Glycerin, Niacinamid
die Basispflege
Linola Gamma
Dr. August Wolff
Nachtkerzensamenöl
die Basispflege
MedEctoin
Klosterfrau
Ectoin
die Basispflege
Multilind Micro Silber Creme und Lotion
Stada
Mikrosilber, Defensil®, Nacht­kerzenöl
die Basispflege
Neuroderm
Infectopharm
Glycerin
die Basispflege
Physiogel Calming Relief
GlaxoSmithKline
Olivenöl, Palmkernöl, Glycerin
die Basispflege
Rosatum Heilsalbe
Wala
Geranii aetheroleum, Rosae aetheroleum, wässrige kolloide Siliciumdioxidlösung
den akuten Schub und zur Basispflege
SanaCutan Basiscreme
Pädia
Glycerin
für die Basispflege
Sensicutan
Harras Pharma
alpha-Bisabolol, Heparin-Natrium
den akuten Schub und zur Basispflege
Xeracalm
Pierre Fabre
Avène Thermalwasser, I-modulia, Lipidkomplex Cer-Omega
den akuten Schub und zur Basispflege

Prävention durch Basispflege?

Im Jahr 2014 sind zwei Studien erschienen, die zu der Hypothese geführt haben, dass bei Kindern von Eltern mit atopischer Dermatitis eine Anwendung von Hautpflegeprodukten von Geburt an präventiv wirken könnte. In diesen Untersuchungen reduzierte die tägliche Anwendung eines Basispflegeproduktes am ganzen Körper das relative Risiko für die Manifestation einer atopischen Dermatitis um 50 Prozent (RR 0,5, 95% KI 0,3 – 0,9, p = 0,02). Zurzeit wird diese Hypothese in der auf fünf Jahre angelegten BEEP-Studie (Barrier Enhancement for Eczema Prevention) an 1395 Familien mit atopischem Dermatitis-Risiko geprüft. Ergebnisse werden für Anfang 2019 erwartet.

Topische Glucocorticoide

Die Behandlung der atopischen Dermatitis mit topischen Glucocorticoiden erfolgt im akuten Schub in der Regel einmal täglich, in Ausnahmefällen zweimal täglich. Sie wird bis zur Abheilung der Läsionen fortgeführt und ist nicht als Dauertherapie geeignet. Die Wirkstärke des Corticoids muss an den Schweregrad der atopischen Dermatitis, die Lokalisation und das Alter des Patienten angepasst werden. Spricht ein Patient auf topisches Cortison nicht an, können eine unzureichende Adhärenz (z. B. bei „Cortisonangst“), ein ungeeignetes Vehikel oder eine Cortisonallergie die Ursache dafür sein.

Seit 2002 sind die topischen Calcineurininhibitoren Tacrolimus und Pimecrolimus zur Therapie der Neurodermitis verfügbar. Bezüglich der Nebenwirkungen bieten sie gegenüber der Cortisonbehandlung den Vorteil, dass auch nach längerer Anwendung keine Hautatrophie auftritt und keine unerwünschten Wirkungen, wie beispielsweise eine steroidinduzierte Rosacea, auftreten.

Sie werden vor allem dann empfohlen, wenn topische Glucocorticoide nicht einsetzbar sind oder über die Behandlungsdauer zu lokalen, irreversiblen unerwünschten Wirkungen führen könnten.

Ekzeme proaktiv unterdrücken

In den letzten Jahren haben Empfehlungen zur proaktiven topischen antientzündlichen Therapie zugenommen und auch Eingang in die Leitlinie gefunden. Darunter ist eine zeitlich begrenzte (meist zunächst dreimonatige) Intervalltherapie mit geeigneten topischen Glucocorticoiden zu verstehen (z. B. Fluticasonpropionat, Methylprednisolonaceponat). Alternativ kann sie auch mit topischen Calcineurininhibitoren über die Phase der Abheilung hinaus erfolgen. Die zuvor erkrankten Hautareale werden zweimal wöchentlich (z. B. montags und freitags) eingecremt, auch wenn keine oder kaum Hautveränderungen sichtbar sind. Eine tägliche Basispflege ist auch bei der proaktiven Therapie notwendig. Im Idealfall werden durch diese Methode Ekzeme dauerhaft unterdrückt, was für die Betroffenen auch einen psychologischen Vorteil bietet.

Dupilumab: das erste Biologikum

Die Liste der monoklonalen Antikörper, die zur Behandlung der Plaque-Psoriasis eingesetzt werden, ist mittlerweile sehr lang geworden. Dagegen war zur Therapie der atopischen Dermatitis bis vor Kurzem kein einziges Biologikum verfügbar. Dies hat sich mit der FDA-Zulassung von Dupilumab (Dupixent®) Ende März geändert. Die EMA hat den Zulassungsantrag im Dezember 2016 angenommen. Mit der Zulassung wird Ende 2017 bzw. Anfang 2018 gerechnet.

Dupilumab ist ein vollhumaner monoklonaler Antikörper gegen die alpha-Untereinheit des Interleukin-4-(IL-4)Rezeptors. Da die alpha-Untereinheit von IL-4 mit der von IL-13 identisch ist, blockiert der Wirkstoff gleichzeitig die Wechselwirkung zweier proinflammatorischer Zytokine mit ihren Rezeptoren und unterbricht damit ­Signalkaskaden, die als Reaktion von T-Helferzellen des Typs 2 (TH2) auf Umweltreize in Gang gesetzt werden. Diese gelten als wichtiger pathogenetischer Faktor der atopischen Dermatitis.

Die Zulassung von Dupilumab in den USA beruht auf drei Phase-III-Studien, in denen das Biologikum als Monotherapie (SOLO 1 und SOLO 2) bzw. als Kombinationstherapie zusammen mit topischen Corticosteroiden (CHRONOS) bei erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis untersucht wurde.

In SOLO 1 und SOLO 2 kam es nach nur 16-wöchiger Behandlung bei 37 Prozent der mit 300 mg Dupilumab behandelten Patienten zur fast vollkommenen Hauterscheinungsfreiheit im Vergleich mit 8,5 Prozent unter Placebo. Beim EASI, dem Eczema Area and Severity Index, betrug die Ver­besserung bei Patienten unter einmal wöchentlich 300 mg Dupilumab 72 bzw. 69 Prozent, bei Gabe von 300 mg alle zwei Wochen 72 bzw. 67 Prozent. In den Placebo-Gruppen lag sie dagegen nur bei 38 bzw. 31 Prozent. Auch in der Kombinationstherapie zeigten sich signifikante Verbesserungen unter Dupilumab im Vergleich mit Placebo, sowohl bei den Hautveränderungen als auch beim Juckreiz und der ­Lebensqualität.

Die Behandlung mit Dupilumab wird durch den Arzt eingeleitet. Danach muss sich der Patient das Arzneimittel alle zwei Wochen selbst subkutan injizieren. Studien zur Anwendung von Dupilumab bei Kindern und Jugendlichen laufen bereits. Bis zur Zulassung von Dupilumab in Europa steht für die chronische, schwere Neurodermitis im Erwachsenenalter nur Ciclosporin A und off label Methotrexat, Azathioprion und Mycophenolatmofetil zur Verfügung, wenn Ciclosporin nicht wirksam ist. Ciclosporin kann auch zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen, die einen therapieresistenten, sehr schweren Verlauf der Neurodermitis zeigen, als mögliche Off-label-Therapieoption erwogen werden.

Probiotika für die Haut

Die orale Einnahme von Probiotika (z. B. Laktobazillen) wird gelegentlich präventiv oder therapeutisch empfohlen. Sowohl die deutsche Neurodermitis-Leitlinie als auch internationale Gremien raten jedoch derzeit davon ab, da die Evidenz aus Studien nicht ausreicht.

Ein ganz neuer Therapieansatz beinhaltet, das bei der Neurodermitis gestörte Hautmikrobiom wieder ins Gleichgewicht zu bringen, indem man apathogene Bakterien, die eine positive Wirkung auf die Hautflora ausüben, topisch appliziert. Letztendlich soll dies dazu führen, dass Keime wie Staphylococcus aureus, die bekanntlich für Exazerbationen der atopischen Dermatitis sorgen, unterdrückt werden. Eine Untersuchung hat beispielsweise gezeigt, dass in gesunder Haut bestimmte Bakterien, die antimikrobielle Peptide gegen S. aureus produzieren, viel häufiger vorkommen als auf der Haut von Atopikern. Ein vielversprechender Ansatz beinhaltet daher, das Mikrobiom der Haut von Neurodermitis-Patienten zu verbessern, indem Mikroorganismen über die Basispflege appliziert werden. In einer Untersuchung gelang es, mit einem Lysat von Vitreoscilla filiformis bei Patienten die S.aureus-Kolonialisierung, den Schweregrad der Erkrankung und den Juckreiz signifikant zu verringern. |

Quelle

S2k-Leitlinie Neurodermitis, Hrsg. Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG), AWMF-Registernummer: 013-027, Stand 03/2015, gültig bis 05/2018

Sanofi und Regeneron geben bekannt, dass die EMA den Zulassungsantrag für Dupilumab zur Prüfung angenommen hat. Pressemitteilung vom 2. Dezember 2016

Schmitt J, von Kobyletzki L, Svensson A, Apfelbacher C. Efficacy and tolerability of proactive treatment with topical corticosteroids and calcineurin inhibitors for atopic eczema: systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Br J Dermatol. 201;164:415-28

Simpson EL, et al. Emollient enhancement of the skin barrier from birth offers effective atopic dermatitis prevention. J Allergy Clin Immunol 2014; 134(4):818-23, doi: 10.1016/j.jaci.2014.08.005

Horimukai K et al. Application of moisturizer to neonates prevents development of atopic dermatitis. J Allergy Clin Immunol. 2014; (4):824-830.e6, doi: 10.1016/j.jaci.2014.07.060

‘Barrier Enhancement for Eczema Prevention’ trial, ‘BEEP’; http://www.beepstudy.org/

Nakatsuji T et al. Antimicrobials from human skin commensal bacteria protect against Staphylococcus aureus and are deficient in atopic dermatitis. Sci Transl Med. 2017 9(378)

Gueniche A et al. Effects of nonpathogenic gram-negative bacterium Vitreoscilla filiformis lysate on atopic dermatitis: a prospective, randomized, double-blind, placebo-controlled clinical study.Br J Dermatol. 2008 159(6):1357-63


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn


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