Arzneimittel und Therapie

„Wir schieben nicht nur eine Dose über den HV-Tisch“

Erfahrungen eines Apothekers über Verordnungen von Cannabis als Medizin

rr | Rezepte über Cannabinoid-haltige Arzneimittel sind für die meisten deutschen Apotheken noch Neuland. Andere Kollegen wie Philipp Böhmer von der Westend Apotheke in Stuttgart haben dagegen bereits während der Zeit der Ausnahmegenehmigungen Erfahrungen damit gemacht und können aus der Praxis berichten.
Foto: Privat
Apotheker Philipp Böhmer

DAZ: Wie viele Patienten versorgen Sie derzeit mit Cannabinoid-haltigen Arzneimitteln?

Böhmer: Wir haben seit gut anderthalb Jahren eine Sondergenehmigung für den Erwerb und die Abgabe von Medizinal-Cannabis-Blüten. Regelmäßig versorgen wir zurzeit Patienten mit Cannabis-Blüten in den Indikationen Spastik bei multipler Sklerose und zur Schmerztherapie. Zudem werden häufig auch Dronabinol-Rezepturen von verschiedenen Ärzten in der Nähe verordnet und dann bei uns hergestellt. Ab und zu beliefern wir auch Rezepte über das Fertigarzneimittel Sativex®, ungefähr so fünfmal im Jahr.

DAZ: Ist die Nachfrage seit Inkrafttreten des Gesetzes gestiegen?

Böhmer: Ja, wir spüren ein größeres Interesse, sowohl von Patienten als auch von Ärzten. Bei uns gingen seit dem Startschuss auch bereits Privatrezepte ein, die allerdings nicht von hier niedergelassenen Ärzten stammten.

DAZ: Was können Sie über Cannabis-Blüten aus der Praxis berichten?

Böhmer: Das Erste, was mir zu Cannabis-Blüten einfällt, ist ihr charakteristischer intensiver Geruch, der bei der Prüfung und Verarbeitung durch die Apotheke ziehen kann, wenn nicht aufgepasst wird. Daher führen wir die Prüfung und die Verarbeitung unter dem Abzug durch. Bestellt werden die Blüten direkt bei den bisherigen zugelassenen Importeuren. Das sind zurzeit die Firmen Fagron, MedCann und Pedanios. Die Lieferung erfolgt auf dem Postweg und dauert etwa zwei bis drei Tage. Lieferschwierigkeiten bei den niederländischen Sorten gab es bisher nur ein einziges Mal, und da konnte man sich auf eine andere Sorte verständigen.

DAZ: Was gehört für Sie zu den wichtigsten Punkten einer Beratung in Bezug auf Cannabis-Blüten?

Böhmer: Grundsätzlich erfolgt diese Therapie in einem engen Kontakt zum Arzt, sodass der Patient in der Regel gut informiert ist. In der Apotheke sollte noch einmal auf die Lagerungsbedingungen hingewiesen werden: lichtgeschützt, an einem kühlen Ort und so, dass andere Personen nicht geschädigt werden, das gilt vor allem für Kinder. Wir empfehlen den Patienten zudem, Nachweise mitzuführen, dass der Gebrauch von Cannabis bestimmungsgemäß ist. Das kann ein Attest vom Arzt sein oder eine Kopie vom Rezept mit Stempel von der beliefernden Apotheke. Ein einheitlicher Patientenausweis wäre für die Zukunft wünschenswert. Dennoch sollte der Patient wissen, dass all diese Dokumente kein Freifahrtsschein im Straßenverkehr sind.

DAZ: Haben Sie als in der Versorgung mit Cannabis erfahrener Apotheker noch Fragen, auf die Sie sich klare Antworten wünschen?

Böhmer: Ich habe Wünsche, die vor allem die Kommunikation betreffen. In der vergangenen Zeit hagelte es Kritik für Apotheker, die Cannabis-Blüten als Rezepturen abrechnen. Während der Zeit der Ausnahmeregelungen konnten die Preise mehr oder weniger selbst gestaltet werden. Mit dem neuen Gesetz gilt allerdings die Arzneimittelpreisverordnung, und Cannabis-Blüten sind eindeutig als Rezepturarzneimittel abzurechnen. Wir schieben nicht nur eine Dose über den HV-Tisch, sondern haben einen nicht unerheblichen Aufwand bei Prüfung, Umfüllung und Dokumentation. Das sollte auch an die Öffentlichkeit kommuniziert werden, damit wir uns nicht als geldgierig beschimpfen lassen müssen, wie es auch in unserer Apotheke schon vorgekommen ist. Zum anderen sollte jedem Arzt klar sein, dass die Therapie mit Cannabis-Blüten nur bei schwerwiegenden Erkrankungen infrage kommt, wenn nichts anderes hilft. Der Wunsch des Patienten sollte nicht dazu führen, dass zugelassene und empfohlene Therapieoptionen übergangen werden. Außerdem sollten die Hürden, Cannabis-Blüten auf Privatrezept zu verschreiben, etwas höher liegen, und beispielsweise auch diese Daten in die vom BfArM initiierte Begleiterhebung einfließen. „Cannabis als Medizin“ fordert den Sachverstand aller Apotheker, aber auch die Fähigkeiten der Ärzte. Dies ist eine gute Möglichkeit, die interdisziplinäre Zusammenarbeit weiter zu stärken. Wenn Arzt und Apotheker gerade in einem neu entstehenden Bereich zusammenarbeiten und Synergieeffekte entstehen, profitiert schlussendlich der Patient selbst.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch! |

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