Interpharm 2017 - Viren

Vermeidbar, behandelbar oder tödlich?

Aktueller Stand zu HIV, Hepatitis C und exotischen Viruserkrankungen

bk | Gegenwärtig gilt das humane Immundefizienz-Virus (HIV) zwar als nicht eradizierbar, doch die Ansteckungsgefahr lässt sich mit einer antiretroviralen Therapie drastisch reduzieren. Eine Heilung der Hepatitis C ist durch die seit 2015 zur Verfügung stehenden direct acting agents (DAA) möglich geworden. Zwar breitet sich die Tigermücke, der Überträger des Zika-Virus, auch in Europa aus. Es gilt jedoch, die Risiken der Zika-Virusinfektion zu relativieren. Beim Jubiläums-Symposium der Medizinischen Monatsschrift für Pharmazeuten drehte sich alles um Virenerkrankungen.

Ein Triumph der Forschung

Vor genau 30 Jahren kam mit Zidovudin der erste antiretrovirale Wirkstoff auf den Markt. Inzwischen gibt es in der HIV-Therapie 30 verschiedene Wirkstoffe, fünf weitere stehen kurz vor der Zulassung. Die Entwicklung der antiretroviralen Therapie (ART) ist ein Triumph der pharmazeutischen Forschung, so Prof. Dr. Thomas Herdegen vom Institut für Pharmakologie der Universität Kiel. Derzeit leben weltweit 40 Millionen Menschen mit HIV, davon zwei Drittel in Afrika. Man geht von weltweit zwei bis drei Millionen Neuinfektionen pro Jahr aus. Allerdings überleben immer mehr Infizierte, was die Frage aufwirft, welche Gefahr das HI-Virus bei symptomfreien Patienten darstellt. Das Virus wird über Schleimhäute übertragen, dies kann rektal, vaginal sowie über die Vorhaut erfolgen. Nicht jeder Sexualkontakt führt automatisch zu einer Ansteckung. Zum Beispiel liegt das Risiko bei einem homosexuellen Kontakt mit einem Infizierten bei 1%. Die Übertragungswahrscheinlichkeit ist unter anderem abhängig von der Viruslast im Blut und von der Phase der Erkrankung. So ist sie in der akuten Phase direkt nach der HIV-Infektion und nach dem Ausbruch von AIDS erhöht.

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Prof. Dr. Thomas Herdegen

Meilensteine der ART-gerechten Therapie

Ohne Therapie erkranken 50% der Infizierten nach zehn Jahren an AIDS. Mit der antiretroviralen Therapie lässt sich die Viruslast der Infizierten senken. Der erste antiretrovirale Wirkstoff wurde 1987 zugelassen: Zidovudin ist ein Vertreter der nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI). Sie hemmen das zentrale Enzym des HI-Virus, das die viruseigene RNA in DNA umschreibt. Zusammen mit den nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) wie Nevirapin und Efavirenz, die 1996 auf den Markt kamen, bilden die NRTI bis heute das Rückgrat der HIV-Therapie.

Protease-Inhibitoren gibt es seit 1995. Die Virus-Protease spaltet das virale Großprotein, das von der Wirtszelle synthetisiert wurde, in die einzelnen Funktionsproteine. Die Protease-Inhibitoren wie Saquinavir greifen somit in einen der letzten Schritte der Virusreplikation ein und sind deshalb nicht ganz so wirksam wie die Reverse-Transkriptase-Inhibitoren.

Die neuesten Wirkstoffklassen sind die Fusions-Inhibitoren wie Enfuvirtid (seit 2003) und die CCR5-Antagonisten wie Maraviroc (seit 2007), die auf jeweils unterschiedlichem Weg den Eintritt des Virus in die Wirtszelle verhindern. 2007 kamen die Integrase-Inhibitoren (z. B. Raltegravir) auf den Markt, die die Integration der Virus-DNA in das Genom der Wirtszelle unterbinden. Seit 2012 werden auch Booster wie Ritonavir oder Cobicistat eingesetzt, die durch CYP-Hemmung die Wirksamkeit der antiretroviralen Substanzen erhöhen.

Ab 1996 wurde der Begriff der highly active anti-retroviral therapy (HAART) geprägt, mit der durch Kombination der verschiedenen Wirkstoffe eine dramatische Verbesserung des Überlebens erreicht werden konnte. Beispiel für eine moderne antiretrovirale Kombination ist Genvoya®, die 2016 zu­gelassene Vierfachkombination aus den NRTI Emtricitabin und Tenofovir­alafenamid, dem Integrase-Inhibitor Elvitegravir sowie dem Booster Cobicistat.

PARTNER-Studie

In die PARTNER-Studie von 2016 wurden 1100 serodiskordante Paare aus europäischen Zentren eingeschlossen, bei denen 40.000 Mal kondomloser Geschlechtsverkehr dokumentiert wurde. Im Schnitt erhielt der infizierte Partner seit 7,5 Jahren eine antiretrovirale Therapie und hatten eine Viruslast von unter 200 HIV-1-RNA-Kopien im Blut. In der Studie wurden also genau solche Patienten betrachtet, die nach 1996 mit der HAART angefangen hatten. Insgesamt wurden elf Fälle einer Serokonversion nachgewiesen, die sich alle auf eine Infektion außerhalb der Partnerschaft zurückführen ließen.

Hepatitis C – die besiegte Infektion?

Zwischen dem HI- und dem Hepatitis-C-Virus (HCV) bestehen Analogien, aber auch entscheidende Unterschiede, wie Dr. Christof Weitzel, Gastroenterologe aus Kempen, ausführte. Das HCV wurde 1989 entdeckt. Wie das HI-­Virus wird es durch Blut- und Sexualkontakte übertragen. Im Gegensatz zum HI-Virus benötigt das HC-Virus keine reverse Transkriptase, da das Virus die mRNA der für die Replikation nötigen Proteine bereits mitbringt. Es existieren sieben Geno­typen. Am häufigsten ist mit 60% aller Infektionen der Genotyp 1, an zweiter Stelle (28%) steht der Genotyp 3, dessen Therapie am schwierigsten ist. Eine Impfung ist derzeit nicht möglich. Der Krankheitsverlauf ist etwas länger als bei HIV. Nur 15% der Patienten eliminieren das Virus in der akuten Phase der Erkrankung. Bei 85% der Patienten entwickelt sich eine chronische Infektion. Lange Zeit treten kaum Symptome auf, da die Leber über große Reservekapazitäten verfügt. Später kommt es zu einer Zirrhose, einem Umbau der Leber mit verminderter Stoffwechselkapazität. Bei 6% der Infizierten führt die Erkrankung nach 15 bis 20 Jahren zum Leberversagen; für diese Patienten bleibt dann nur noch die Transplantation.

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Dr. Christof Weitzel

Direct acting agents bringen den Durchbruch

Anfangs stand nur die immunmodulatorische Therapie mit Interferonen zur Verfügung. Mit einem dauerhaften Ansprechen bei nur 40% der Patienten ließen sich mit ihr nur mäßige Erfolge erzielen, bei schweren Nebenwirkungen wie grippeähnlichen Symptomen bis hin zu Suizidalität. Zweite Stufe der HCV-Therapie waren NS3/4a-Protease-Inhibitoren wie Telaprevir. Diese wurden jedoch teilweise aufgrund von erheblichen Nebenwirkungen nicht eingesetzt. Seit 2014/2015 stehen NS5A-Replikationskomplex-Inhibitoren wie Daclatasvir zur Verfügung. Etwa zeitgleich kamen NS5B-Polymerase-Inhibitoren wie Sofosbuvir auf den Markt, die in die Nukleotidsynthese eingreifen. Mit diesen beiden Wirkstoffklassen stehen derzeit zwei Strategien zur Verfügung, die direkt am Genom des Virus ansetzen und dessen Replikation verhindern. Wichtigste Nebenwirkungen der neuen Wirkstoffe sind Kopfschmerzen und Fatigue. Sobald das Virus allerdings eliminiert ist, bessert sich dieser Zustand. Dies ist im Allgemeinen nach drei bis vier Wochen der Fall. In Stu­dien wurden mit Kombinationen der neuen Wirkstoffe zum Teil Ansprechraten von 100% erreicht.

Therapieerfolg und Kostendruck

Als negative Einflussfaktoren für den Therapieerfolg gelten vor allem eine Leberzirrhose sowie Stoffwechsel­störungen wie das metabolische Syndrom, die die Leberfunktion einschränken. Zu den sozialen Faktoren zählen psychiatrische Erkrankungen. Suchterkrankungen können sich negativ auf Adhärenz und Compliance auswirken, was aufgrund der sehr hohen Therapiekosten von bis zu 22.000 Euro monatlich zu berücksichtigen ist.

Der Genotyp 3 ist vergleichsweise schlecht therapierbar. Mit der seit 2016 zur Verfügung stehenden Kombination von Sofosbuvir und Velpatasvir kann inzwischen aber auch dieser Genotyp gut behandelt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat der Kombination für den Genotyp 3 einen beträchtlichen Zusatznutzen zugesprochen, nachdem für das IQWiG ein Zusatznutzen nicht quantifizierbar war – ein Beispiel für abweichende Einschätzungen der beiden Institutionen.

Das Management der modernen HCV-Therapie erfordert einen erfahrenen Behandler, der Wirkstoffwahl und Therapiedauer für jeden Patienten individuell festlegt. Ärzte sind zudem ­einem hohen Kostendruck ausgesetzt. Zum Teil werden Studien eigens dafür durchgeführt, um Einsparpotenziale zu erkennen. So wurde festgestellt, dass bei therapienaiven, nicht zirrhotischen Patienten, deren Viruslast unter sechs Millionen liegt, auch acht Wochen Therapie mit Sofosbuvir und Ledipasvir anstatt der sonst üblichen zwölf Wochen ausreichen.

Exotische Erreger auf dem Vormarsch?

Es ist relativ unwahrscheinlich, dass Flughunde, die Überträger des Ebola-Virus, in Europa heimisch werden. Ganz anders sieht das jedoch bei den Stechmücken aus, die bereits jetzt einen Großteil der importierten Infektionen übertragen, erläuterte Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut aus Hamburg. Um die Relevanz dieser Infektionen besser abschätzen zu können, wurde das Surveillance-System in Deutschland letztes Jahr auf alle importierten Arbo-­Virusinfektionen ausgeweitet. Denguefieber-Fälle waren davor schon meldepflichtig. Diese haben sich seit 2001 mehr als verzehnfacht.

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Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit

Probleme beim Dengue-Impfstoff

Da es vier Serotypen des Dengue-­Virus gibt, besteht nach durchgemachter Infektion nicht automatisch eine Immunität. Gerade bei Zweitinfektionen mit einem anderen Serotyp kann es zu schweren Verläufen mit hämorrhagischem Fieber kommen. 2015 wurde ein tetravalenter Impfstoff zugelassen, der auf einem Gelbfieberimpfstoff basiert, in den Gene des Dengue-Virus einkloniert sind. Allerdings zeigen sich Probleme mit der Wirksamkeit. Diese lag z. B. in einer lateinamerikanischen Studie bei den Serotypen 1 und 2 nur bei 50%. Zudem ist das Impfschema mit dreimaliger Verabreichung recht aufwendig. Länder in Hyperendemiegebieten müssen deshalb eine Kosten-Nutzen-Entscheidung zwischen Impfung und besserer medizinischer Versorgung der Infizierten treffen. Denn rechtzeitig diagnostiziert und behandelt, muss kein Patient heutzutage an Dengue sterben, so Schmidt-Chanasit.

Wie gefährlich ist das Zika-Virus?

Mit dem Gesundheitsnotstand, der 2016 aufgrund der Mikrozephaliefälle in Brasilien ausgerufen wurde, sollte die Überwachung der Zika-Virusinfektionen verbessert, die Entwicklung der Zika-Diagnostik verbessert sowie eine effektivere Stechmückenkontrolle implementiert werden. Die hohe Zahl der gemeldeten Mikrozephalie-Verdachtsfälle kam zustande, da anfangs die Definition dieser Fehlbildung relativ weit gefasst war. 2000 Verdachtsfälle konnten bestätigt werden. Diese Fälle traten vor allem im Nordosten von Brasilien auf. Vermutlich gibt es Kofaktoren, wie Dengue-Virusinfektionen oder Impfungen, die diese regionalen Unterschiede erklären.

Um die Gefahr des Zika-Virus einzuschätzen, lassen sich z. B. Daten aus Französisch-Polynesien heranziehen. Hier verlief 2013/2014 eine Epidemie innerhalb weniger Monate und klang schnell wieder ab. Dieser Verlauf ist typisch für Epidemien durch Arbo-­Viren mit nur einem Serotyp, da sie zu einer Immunisierung eines großen Teils der Bevölkerung führen. Das Risiko für eine Mikrozephalie war besonders bei einer Infektion im ersten Trimenon der Schwangerschaft erhöht und betrug etwa 1%. Zudem wurde ein vermehrtes Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms beobachtet, ein Autoimmunphänomen, das auch mit anderen Erkrankungen wie Influenza in Zusammenhang gebracht wird. Es zeigte sich jedoch, dass die Inzidenz nicht viel höher als bei anderen Infektionen lag, und die hohe Zahl der Zika-Fälle letztendlich den Anstieg der Guillain-Barré-Fälle verursacht hatte.

Situation in Europa

Auch in Europa ist die Vektorkontrolle eine große Herausforderung. Zum Beispiel hat sich die asiatische Tigermücke inzwischen massiv ausgebreitet. Autochthone Zika-Virusinfektionen sind somit auch hier denkbar, wenn infizierte Reiserückkehrer von den hier lebenden Tigermücken gestochen werden. Hingegen konnte gezeigt werden, dass die heimischen Hausmücken das Zika-Virus nicht übertragen können. Die Gefahren, die vom Zika-Virus ausgehen, sollten jedoch relativiert werden. Vor allem sollten die wirklich wichtigen Erreger in der Schwangerschaft wie Zytomegalie oder Toxoplasmose nicht aus dem Blick geraten.

Weniger bekannt ist, dass es bereits Ausbrüche des Usutu-Virus in Europa gab, allerdings bei Vögeln. Es ist auch als Amselkillervirus bekannt und wurde von den Zugvögeln aus Süd­afrika mitgebracht. Seit 1996 breitet es sich in Europa aus und kann von heimischen Stechmücken übertragen werden. Somit steigt auch das Risiko für eine Übertragung auf den Menschen. |

Jubiläums-Special in der MMP

Die Medizinische Monatsschrift für Pharmazeuten hat mit dem Symposium zu Virenerkrankungen ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert. In der April-Ausgabe finden sich Beiträge der drei Referenten, die sie ausgehend von ihren Vorträgen verfasst haben.

Auf www.mmp-online.de können Sie ein kostenloses Probeabo bestellen oder die MMP abonnieren.

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