Die Seite 3

Ein ungeliebtes Kind wird 10

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Benjamin Wessinger

Es dürfte nur wenige Gesetzesänderungen gegeben haben, die so tief in den Arbeitsalltag der deutschen Apotheken eingegriffen haben wie die Einführung der Rabattverträge. Vor zehn Jahren wurden sie „scharf gestellt“, wie es damals hieß: Zwar gab es bereits vorher vertraglich vereinbarte Preisnachlässe der Hersteller für Krankenkassen – da die entsprechenden Artikel aber nicht bevorzugt verschrieben oder abgegeben werden mussten, hatte das kaum Auswirkungen auf die Praxis. (Zur Geschichte und den Auswirkungen der Rabattverträge s. auch „Das große Sparen“ ab S. 18 dieser DAZ.)

Doch seit dem 1. April 2007 gilt: Bei unbegründeter Nichtabgabe des Rabatt­artikels droht der Apotheke die Null­retaxation – ein wirksames Instrument zur Durchsetzung der Verträge. Seither müssen sich die Mitarbeiter in den Apotheken viel stärker als zuvor mit den Formalien der Abgabe beschäftigen. Manche Kritiker beklagen, man kümmere sich in deutschen Apotheken heute mehr um das Rezept als um den Patienten.

Doch aus Sicht der Kostenträger sind die Verträge eine Erfolgsgeschichte. Laut Bundesgesundheitsministerium sparten die Krankenkassen durch die Rabattverträge im vergangenen Jahr über 3,8 Milliarden Euro – das sind mehr als zehn Prozent der GKV-Ausgaben für Arzneimittel! (Diese betrugen 2016 laut GKV-Spitzenverband etwa 35 Milliarden Euro).

Die Apotheker aber haben von diesen Einsparungen nie profitiert. Es bleibt ein großes Ärgernis, dass sie für den Mehraufwand, den sie mit den Rabattverträgen hatten und haben, nie angemessen entlohnt wurden – im Gegenteil, teilweise wurde ausgerechnet der Berufsgruppe, die im Gespräch mit den Patienten die Akzeptanz für das Sparinstrument der Kassen herstellte, wegen kleinster formaler Fehler die komplette Bezahlung verweigert. Und auch der Retax-Kompromiss vom vergangenen Juni, der wenigstens solche kleinlichen Retax-Gründe ausschließt, kam nur auf mehr oder weniger sanften Druck der Schiedsstelle zustande.

Doch es gibt durchaus auch Apotheker, die den Rabattverträgen positive Seiten abgewinnen können. Im Interview mit den Kollegen von DAZ.online (die dem Jubiläum „10 Jahre Rabattverträge“ vom 3. bis 7. April eine Themenwoche gewidmet haben) sagte beispielsweise der DAV-Vorsitzende Fritz Becker mit Blick auf die Einführung vor zehn Jahren: „Man kam mit den Patienten ins Gespräch. Plötzlich merkten wir, was die Patienten teilweise alles gleichzeitig einnahmen. Durch diese intensiven Gespräche konnten wir meiner Meinung nach viel mehr Wechselwirkungen aufdecken.“ Andere Apotheker betonen, dass es das heilberufliche Image der Apotheke durchaus stärken kann, wenn der Patient das Gefühl hat, dass dort das konkrete Arzneimittel ausgewählt wird (auch wenn die „Auswahl“ in Wirklichkeit eher die Krankenkasse als die Apotheke trifft).

Ein ganz großer Vorteil der Rabattverträge wird meiner Meinung nach aber bisher viel zu selten beachtet: Die Krankenkassen verhandeln die Preise mit den Herstellern – und nicht mit den Apotheken! Der Preiswettbewerb findet nun auf der Ebene statt, auf die er gehört. Seither haben die Rufe von Kassenseite, die Arzneimittelversorgung müsse in „größeren Einheiten“ organisiert werden, deutlich nachgelassen (auch wenn sie gerade in letzter Zeit unter den neuen neoliberalen Vorzeichen des EuGH-Urteils wieder zunehmen). Weil die Krankenkassen nun die Rabatte erzielen können, die ihnen – zumindest nach eigener Meinung – zustehen, brauchen sie keine Apothekenketten, mit denen sie Preisverhandlungen führen können.

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ


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