Gesundheitspolitik

Wundertüte Honorargutachten

BMWi-Gutachten offenbart zahlreiche fragwürdige Annahmen und Berechnungen

ks/cha | Das von der Agentur 2HM im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) erstellte Honorargutachten hat es in sich. Die derzeit kursierende Gutachten-Version vom 19. November, die noch immer nicht vom BMWi abgenommen und somit mit Vorsicht zu genießen ist, enthält neben den Vorschlägen zur massiven Honorarkürzung, über die wir bereits ausführlich berichtet haben, u. a. auch Überlegungen zum Botendienst, der Großhandelsbelieferung und dem Versandhandel. So wird vorgeschlagen, dass der Botendienst in bestimmten Fällen vergütet werden solle. Im Gutachten heißt es: „Es ist aus Sicht der Autoren sinnvoll, Botendienste separat zu vergüten, wenn diese für die Sicherstellung der Versorgung angemessen sind. Dies wäre vergleichbar zu dem ‚Noctu‘ Feld auf dem Rezept ein Botendienst-Feld, das durch den Arzt bei Notwendigkeit angekreuzt wird und der Botendienst über eine Pauschale von der Krankenkasse erstattet wird.“ Wie hoch diese Pauschale sein sollte, bleibt jedoch offen.

Unklar ist bereits, wie häufig solche „notwendigen Botendienste“ überhaupt sind und welche Kosten den Apotheken hierdurch entstehen. Die ABDA-Angabe von täglich 250.000 Botendiensten könne keine Grundlage sein, da hier auch Botendienste enthalten seien, die aus unternehmerischen Gründen der Kundenbindung ­geleistet werden. Bei der Verordnung durch den Arzt wären die Botendienste eindeutig Rx-Medikamenten zugeordnet und dienten der Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung. ­„Botendienste können die Bevölkerung in dringlichen Fällen schneller versorgen als Versandapotheken“, so die Gutachter.

Großhandel soll nur noch einmal am Tag liefern

Einen weiteren Reformansatz sehen die Gutachter in einer „Op­timierung der Belieferungs­frequenz“ durch den Großhandel. Mehrfach am Tag sollen nur noch die Notdienstapotheken beliefert werden, alle anderen einmal täglich. Würden die Notdienstapotheken fünfmal am Tag beliefert, „reduziert sich die Anzahl der Belieferungen pro Jahr von ca. 19,6 Mio. im Jahr 2016 auf ca. 8,4 Mio. Dies entspricht einer Reduktion von ca. 43%.“ Untermauert wird diese Rechnung mit einer Tabelle, in der allerdings andere Zahlen stehen als im Fließtext, gleich bleibt aber die Schlussfolgerung: „Es lassen sich (…) 43% aller Lieferungen einsparen.“ Dabei kommen jedoch Zweifel an den Rechenkünsten von 2HM auf: Wenn sich die Anzahl der Belieferungen von 19,6 Mio. auf 8,4 Mio. reduziert, dann werden 11,2 Mio. Lieferungen und somit rund 57% eingespart …

Diese Maßnahmen sollen zu einer jährlichen Kostenminderung von 62 Mio. Euro bei den Phagro-Mitgliedern führen. Dazu komme „ein nicht unerheblicher ökologischer Aspekt“, da Millionen Fahrten und Touren eingespart würden, „ohne dabei die Versorgungsqualität einzuschränken“. Wie dies in der Praxis umgesetzt werden soll, dazu äußert sich das Gutachten nicht. Werden dann Kunden mit eiligen Arzneimitteln, die in ihrer Stammapotheke nicht vorrätig sind, zur nächsten Notdienstapotheke geschickt? Müssen sie dann, wie auf dem Land oft üblich, größere Strecken zurücklegen, um ihr Medikament abzuholen? Und wieso wird dadurch die Versorgungsqualität nicht eingeschränkt?

Keine Gefahr durch Versand?

Auch der Versand wird im Gutachten abgehandelt. Dabei lehnt 2HM es ab, diesen für wirtschaftliche Probleme der Apotheken verantwortlich zu machen: „Die wirtschaftliche Lage der Vor-Ort-Apotheken ist bereits mit Stand 2015 als für 47 Prozent aller Apotheken-Unternehmen als schlecht anzusehen. Der europäische Versandhandel kann daher rein zeitlich nicht für die wirtschaftlich schwierige Lage vieler Apotheken verantwortlich gemacht werden.“ Wie sie auf das Jahr 2015 kommen, schreiben die Gutachter nicht. Wurde hier etwa „Versand“ mit „Rx-Versand“ gleichgesetzt und das Datum des EuGH-Urteils, der 19. Oktober 2016, als Stichtag angenommen?

Aber auch wenn die europäischen Versandhändler „mittelfristig einen Marktanteil von 21% erreichen würden“, hätte dies laut dem Gutachten wenig Einfluss auf die Apotheken, da „mit einem geringeren Umsatz auch geringere Kosten verbunden sind, sobald ein Grundlevel der Ausstattung erreicht ist“. Dass dies u. a. einen deutlichen Verlust an Arbeitsplätzen mit sich bringen würde, scheint nicht erwähnenswert.

Ausgeklammert werden auch die Ankündigungen der GKV, den Rx-Versand zu ihren Gunsten zu forcieren. Da „Arzneimittel in der ­Regel nicht vom Patienten selbst bezahlt werden“, sei nicht davon auszugehen, dass „eine ebensolche oder schnellere Marktentwicklung zu beobachten sein wird“ wie im OTC- und Freiwahlbereich. Ein Hintertürchen lassen sich die ­Gutachter aber offen: „Die technologischen Entwicklungen und das Einkaufsverhalten der Bevölkerung“ ließen sich „nur sehr begrenzt voraussagen“.

„Sehr begrenzt voraussagen“ trifft auch auf das Gutachten zu – spannend ist dabei vor allem, welche der realitätsfernen Vorschläge von 2HM sich tatsächlich in der Endversion noch finden werden. |

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