Wirtschaft

Verkanntes ökonomisches Potenzial

Wachstumsbranche besondere Therapierichtungen

NUSSBAUM (hb) | Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen auf dem absteigenden Ast? Solche Unkenrufe sind in der letzten Zeit öfter zu hören. Dabei leistet die betreffende Industrie einen überdurchschnittlich hohen Beitrag zur deutschen Gesamtwirtschaft, wie eine neue WifOR-Studie zeigt.

Nach Zahlen des BAH werden in deutschen Apotheken pro Jahr mehr als 170 Mio. Packungen von Arzneimitteln der Phytotherapie, Homöopathie und Anthroposophie im Wert von rund 2 Mrd. Euro (nach Endverbraucherpreisen) abgegeben, das entspricht 31% des Gesamtumsatzes mit rezeptfreien Arzneimitteln. Welchen ökonomischen Beitrag die Unternehmen der besonderen Therapierichtungen speziell zur deutschen Gesamtwirtschaft leisten, wurde nun erstmals vom unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstitut (WifOR), Darmstadt, im Auftrag von Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) und Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) untersucht.

Wie Simon Tetzner vom WifOR bei einer Regionalkonferenz des BAH in Nußbaum berichtete, wurde für die Studie eine Befragung bei 52 Herstellern von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen durchgeführt. Dabei wurden u. a. betriebswirtschaftliche Indikatoren zu Umsatz und Mitarbeitern erfragt, die dann in ökonomische Kennzahlen transformiert und in den Kontext der Gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung (GGR) eingeordnet wurden. Die GGR ist eine jährliche Erhebung zur ökonomischen Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für die Gesamtwirtschaft im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Auf Basis der ermittelten volkswirtschaftlichen Eckwerte wurde der ökonomische Fußabdruck der besonderen Therapierichtungen in Deutschland berechnet. Das Besondere an diesem Ansatz ist, dass er die Ausstrahlwirkung und Verflechtung der Branche mit der Gesamtwirtschaft berücksichtigt.

Ökonomischer Fußabdruck

Beschreibt die gesamtwirtschaftliche Bedeutung von z. B. Branchen oder Unternehmen anhand ökonomischer Kennzahlen. Neben den direkten Effekten werden dabei auch die indirekten (Bezug von Vorleistungen) und induzierten (Wiederverausgabung von Löhnen und Gehältern) Effekte eines Unternehmens auf seine Wirtschaftsregion quantifiziert.

Die Studie ergab, dass die Produktion von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen im Jahr 2015 950 Mio. Euro zur gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung beitrug. Dies entspricht ca. 5% der Bruttowertschöpfung der gesamten Arzneimittelproduktion. Seit 2011 wurde eine Zunahme um 100 Mio. Euro verzeichnet. Dabei hob Tetzner hervor, dass die Käufer die Kosten für die überwiegend nicht rezeptpflichtigen Arzneimittel zu einem sehr großen Teil privat finanzieren und damit das Gesundheitssystem kosten­seitig stark entlasten. Vor diesem Hintergrund sei dem Wachstum der Branche eine umso größere Bedeutung beizumessen.

Bei den Herstellern in dem betreffenden Sektor arbeiten rund 6500 hochproduktive Erwerbstätige (2015). Dies entspricht 6,3% der Erwerbstätigen in der gesamten Arzneimittelproduktion. Die Herstellung der Arzneimittel ist sehr komplex und die Arbeitsplätze sind hoch spezialisiert. Sie können nicht ohne Weiteres ins Ausland verlagert werden. Dies drückt sich wiederum in einer hohen Arbeitsproduktivität aus. So liegt die Bruttowertschöpfung pro Erwerbstätigem in diesem Sektor nach der Studie mit 150.000 Euro pro Jahr mehr als doppelt so hoch wie in der Gesamtwirtschaft (63.000 Euro).

Sicherung von Arbeitsplätzen

Der ökonomische Fußabdruck verdeutlicht für ihn die umfassende Bedeutung des Sektors für die Gesamtwirtschaft. Insgesamt entstehen bei den Unternehmen für jeden Euro direkter Bruttowertschöpfung weitere rund 0,38 Euro indirekte (durch den Bezug von Vorleistungen) und induzierte (durch die Wiederverausgabung von Einkommen) Bruttowertschöpfung in der deutschen Gesamtwirtschaft. Hinzu kommt je Erwerbstätigen in den Unternehmen knapp ein weiterer Arbeitsplatz in der Gesamtwirtschaft. Dies belegt laut Tetzner die hohe Ausstrahlwirkung des Sektors, der im Vergleich zur gesamten Branche auch indirekt überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze am Standort Deutschland sichert.

Über 90% der Unternehmen der besonderen Therapierichtungen sind mit ihrem Hauptsitz in Deutschland angesiedelt. Der Sektor zeichnet sich durch eine hohe Fertigungstiefe (Anteil der Eigenfertigung) bei der Produktion (76%) und durch eine hohe Verzahnung im Inland (93%) aus. Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen können deshalb nach der Studie tatsächlich als „Made in Germany“ gelten. Sie landen übrigens auch zu über 80% auf dem deutschen Markt.

Damit sind die Unternehmen aber auch besonders stark vom inländischen Umfeld und dessen Rahmenbedingungen abhängig. Nach der Umfrage schätzen die Hersteller ihre wirtschaftliche Lage im Jahr 2017 trotz des schwierigen Umfelds am deutschen Markt als durchschnittlich gut ein. Mehr als ein Drittel bewertet die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen für den Sektor jedoch als mindestens „schlecht“ und klagt über Über­regulierung und die extrem komplizierte Entwicklung und Einführung neuer Arzneimittel. |

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