Gesundheitspolitik

Retax-Beanstandung nur binnen Jahresfrist

Barmer hat Rezeptfälschung zu spät bemerkt – Gericht: Beanstandungsfrist am ALV ist absolute Ausschlussfrist

BERLIN (ks) | Eine Krankenkasse, die die Abrechnung einer Apotheke über ein gefälschtes Rezept zu spät beanstandet, kommt bei der Retaxation nicht weit. Das hat die Barmer nun vor dem Landessozialgericht (LSG) Darmstadt erfahren. (Urteil des LSG Darmstadt vom 26. Januar 2017, Az.: L 8 KR 332/14)

Im November 2009 hatte der approbierte Mitarbeiter einer hessischen Apotheke an einen laut ärztlicher Verordnung 1976 geborenen Kunden fünf Fertigspritzen Norditropin Nordiflex 15mg/1,5 ml N1 abgegeben. Die Barmer, zu deren Lasten abgerechnet wurde, beglich die Forderung im Dezember 2009.

Im April 2011 erhielt die Apothekeninhaberin dann allerdings Post von der Barmer. Die Kasse machte einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 4333,74 Euro geltend. Der Grund: Bei dem abgerechneten Rezept habe es sich um eine Fälschung gehandelt. Die Staatsanwaltschaft Dortmund führe hierzu ein Ermittlungsverfahren, hieß es. Die Kasse argumentierte, die ­Fälschung sei für eine Fachkraft deutlich erkennbar gewesen. Nachdem die Apothekerin nicht zahlte, rechnete die Kasse die geforderte Summe mit einer späteren Abrechnung auf.

Fälschung erkennbar?

Im Dezember 2011 forderte die Apothekerin die Barmer zur Rückzahlung auf – unter Hinweis auf die nach dem Arzneilieferungsvertrag für Beanstandungen geltende Jahresfrist. Sie betonte, dass die Fälschung weder ihr selbst noch der Kasse aufgefallen sei. Da die nicht zahlte, zog die Apothekerin vor das Sozialgericht.

Dieses wies die Klage zunächst per Gerichtsbescheid ab. Es hielt den Vergütungsanspruch für ausgeschlossen, weil die klagende Apothekerin die Fälschung hätte erkennen müssen. Denn § 4 Abs. 5 des Arzneimittelliefervertrags (ALV) besagt in seiner damaligen wie auch heutigen Fassung: „Gefälschte Verordnungen oder Verordnungen auf missbräuchlich benutzten Verordnungsblättern dürfen nicht beliefert werden, wenn die Apotheke die Fälschung oder den Missbrauch erkennt oder hätte erkennen müssen.“

Aus Sicht des Gerichts hätten die Apothekerin verschiedene Aspekte alarmieren müssen. Zum einen, dass das Somatropin-haltige Arzneimittel sehr hochpreisig ist. Zudem werde es üblicherweise an Kinder bzw. Jugendliche, die unter Kleinwüchsigkeit litten, und nur ausnahmsweise an kleinwüchsige Erwachsene abgegeben. Der auf der Verordnung angegebene Versicherte sei jedoch zum Abgabezeitpunkt schon über 30 Jahre alt gewesen. Auch sei in Fachkreisen bekannt, dass der Wirkstoff illegal auf dem Schwarzmarkt zu Dopingzwecken, vor allem bei Bodybuildern eingesetzt werde.

LSG lässt Frage offen

Die Klägerin ging gegen den Gerichtsbescheid vor und hatte nun vor dem LSG Erfolg. Anders als das Sozialgericht ging dieses nicht einfach davon aus, dass die Apothekerin die Fälschung hätte erkennen müssen. Aus § 4 Abs. 5 ALV folge der Umkehrschluss, dass ein Vergütungsanspruch entstehe, wenn eine Fälschung auch bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt nicht erkennbar war – einfache Fahrlässigkeit reiche dabei aus, um den Zahlungsanspruch auszuschließen. Die Darmstädter Richter hielten so eine Fahrlässigkeit nicht für offenkundig, unter anderem sei schon zweifelhaft, ob die Hochpreisigkeit eines Arzneimittels eine besondere Prüfpflicht begründe.

Letztlich könne diese Frage jedoch hintanstehen. Denn die Kasse habe die Beanstandungsfrist des § 17 Abs. 1 ALV nicht beachtet: Danach können die Kassen unrichtige Rechnungen innerhalb von zwölf Monaten nach Ende des Kalendermonats, in dem die Lieferung erfolgte, berichtigen. Diese Frist war unstreitig verstrichen. Bei dieser Frist handele es sich um eine absolute Ausschlussfrist, nach deren Ablauf der Retaxierungsanspruch der Kasse erlösche, so das Gericht.

Einspruch nicht nötig

Es sei auch nicht nötig, dass der Apotheker innerhalb einer weiteren 3-Monats-Frist (§ 17 Abs. 2 ALV) Einspruch gegen die Beanstandung erhebt, um Nachteile zu vermeiden. Eine nach Frist­ablauf durch die Ersatzkasse unzulässig erhobene Beanstandung löse keine solche Pflicht aus.

Die Revision hat das Landessozialgericht nicht zugelassen – dafür lägen keine Gründe vor. |

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