Arzneimittel und Therapie

Demenz durch Omeprazol und Co.?

Langzeiteinsatz von Protonenpumpeninhibitoren ist mit erhöhtem Risiko assoziiert

Einmal mehr sind die häufig angewendeten und eigentlich gut verträglichen Protonenpumpeninhibitoren (PPI) in die Schlagzeilen geraten. Ihr längerfristiger Einsatz bei älteren Menschen könnte mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden sein, fand ein Forscherteam vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

Für ihre Kohortenstudie, die vor wenigen Tagen in der Fachzeitschrift JAMA Neurology veröffentlicht worden war, hatten die Wissenschaftler Verordnungsdaten von AOK-Patienten bezüglich der Protonenpumpeninhibitoren Omeprazol, Pantoprazol, Lansoprazol, Esomeprazol und Rabeprazol genutzt.

Bereits 2015 war in einer kleineren Untersuchung, der AgeCoDe-Studie (German Study on Aging, Cognition and Dementia in Primary Care Patients), mit einer Kohorte von 3327 Senioren im Alter über 75 Jahren ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem PPI-Gebrauch und der Inzidenz von Demenzen mit einer Hazard ratio von 1,38 gezeigt worden.

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Säure gestoppt, Demenz gefördert?

Männer stärker betroffen

Für ihre aktuelle prospektive Kohortenstudie werteten die Forscher AOK-Daten der Jahre 2004 bis 2011 aus. Eingeschlossen waren insgesamt 73.679 Teilnehmer mit einem Alter ≥ 75 Jahre, die zu Beginn des Beobachtungszeitraums nicht an Demenz litten. Insgesamt 2950 von ihnen war regelmäßig, das heißt mindestens einmal in jedem Quartal des 18-monatigen Untersuchungsintervalls, ein PPI verordnet worden. Im Vergleich zu den 70.729 Patienten ohne PPI-Verordnung besaßen sie ein signifikant um 44% erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Demenz. Eine Unterscheidung nach Demenzarten (Alzheimer, vaskuläre Demenz etc.) war nicht vorgenommen worden. Das mittlere Alter der PPI-Anwender betrug 83,8 Jahre, rund 78% waren Frauen. Bei den Nicht-Anwendern waren die Verhältnisse ähnlich (83 Jahre, 74% weiblich). Das Risiko war bei Männern etwas stärker ausgeprägt als bei Frauen (HR 1,52 vs. 1,42).

Weitere Risikofaktoren

Unter den Einflussgrößen, die man außerdem in die Analyse einbezogen hatte, zeigten Depression (HR 1,28) und Schlaganfall (HR 1,37) die stärkste Risikoerhöhung für eine Demenz. Die anderen Einflussfaktoren – Alter, Diabetes und Polypharmazie – erhöhten das Risiko nur geringfügig, aber dennoch signifikant. Bezüglich der drei am häufigsten verordneten PPIs war die Einnahme von Esomeprazol (HR 2,12) am riskantesten, gefolgt von Pantoprazol (HR 1,58) und Omeprazol (HR 1,51). Mit zunehmendem Alter nahm das Risiko allmählich ab. Dazu wurden die Altersgruppen 75 bis 79 Jahre (HR 1,69), 80 bis 84 Jahre (HR 1,49) und ≥ 85 Jahre (HR 1,32) betrachtet. Die Forscher ziehen das Fazit, dass weitere Studien, idealerweise RCTs, notwendig sind, um eine mögliche Assoziation zwischen längerfristiger PPI-Einnahme und Demenz zu verifizieren. Zunächst handle es sich nur um einen statistischen Zusammenhang, eine Kausalität sei damit nicht belegt.

Zentrale Wirkung und/oder ...

Dennoch gibt es bereits zahlreiche Erkenntnisse, die eine negative Wirkung von PPIs auf das Gehirn plausibel erscheinen lassen. So war beispielsweise gezeigt worden, dass PPI wie Lanso­prazol und Omeprazol die Blut-Hirn-Schranke überwinden können. Auch über Wechselwirkungen mit ZNS-­Enzymen war berichtet worden. In Tiermodellen fanden sich erhöhte Amyloid-ß-Spiegel im Gehirn von Mäusen nach PPI-Behandlung.

... Vitamin-B12-Mangel?

Weitere interessante Hinweise ergaben sich aus einer Studie, die 2013 gezeigt hatte, dass die Verordnung von PPI mit einem erhöhten Risiko für einen Vit­amin-B12-Mangel assoziiert ist. Eine mögliche pathophysiologische Erklärung dafür ist, dass der für die Resorption von Vitamin B12 benötigte Intrinsic-Faktor von den gleichen Belegzellen gebildet wird wie die Magensäure. Ein Vitamin-B12-Mangel kann unter anderem kognitive Störungen verursachen.

Andererseits gibt es auch Faktoren, die einen Zusammenhang zwischen PPI-Einnahme und Demenzrisiko fraglich erscheinen lassen. Dazu zählt beispielsweise die Tatsache, dass ältere Menschen wegen diverser Erkrankungen häufiger zum Arzt gehen und dies die Chance erhöht, dass eine Demenz diagnostiziert wird.

Diskutieren Sie mit!

Wir haben für Sie vor dem Hintergrund dieses Beitrags einige Beratungstipps (s. Kasten) zusammengestellt. Welche Tipps haben Sie? Diskutieren Sie mit uns und Ihren Kollegen!

DAZ-Beratungstipps

Selbstmedikations-Wunsch nach PPI: Indikation und Therapie­dauer hinterfragen.

Maximal zwei Wochen: Bei Abgabe von PPI im Rahmen der Selbstmedikation unbedingt auf eine zeitlich befristete Anwendung von maximal zwei Wochen hinweisen.

Keine Besserung: Auf Arztbesuch drängen, wenn nach zwei Wochen PPI-Einnahme im Rahmen der Selbstmedikation sich die Beschwerden nicht gebessert haben.

Cave Vitamin-B12-Mangel: Bei Langzeitanwendung sicherstellen, dass der Vit­amin-B12-Spiegel kontrolliert und ein Mangel behoben wird.

Cave Hypomagnesiämie: Bei Langzeitanwendung auf ausreichende Magnesium-Versorgung achten und Magnesium-Spiegel kontrollieren. 

Ausschleichend absetzen nach Langzeitanwendung, da ein Säure-Rebound auftreten kann. Ein optimales Ausschleichprotokoll ist nicht bekannt. Möglich ist eine Halbierung der Dosis alle zwei Wochen. Bei nicht zu teilenden Darreichungsformen wird die alternierende Gabe empfohlen. Bei Auftreten von dyspeptischen Beschwerden kann die Gabe eines Antazidums versucht werden, bei schwerer Symptomatik Rückkehr zur letzten wirksamen Dosierung des PPI [1, 2].

Quellen

[1] Reeve E et al.: Feasibility of a Patient-Centered Deprecribing Process to Reduce Inappropriate Use of Proton Pump Inhibitors. Annals of Pharmacotherapy 105;49:29-38

[2] Stahl V: Dauerbrenner PPI: Deprescribing inadäquater Verordnungen. DAZ 2015; Nr. 30, S. 54

Verschreibung überdenken

Professor Lewis H. Kuller, Epidemiologe an der Universität von Pittsburgh (USA) hält die Klärung eines möglichen kausalen Zusammenhanges für sehr wichtig. In einem begleitenden Editorial hat er ausgerechnet, dass die Inzidenz von Demenzen im Alter von jährlich 6% auf bis zu 8,4% pro Jahr ansteigen könnte. Bezogen auf die USA wären das in der Altersgruppe 75 bis 84 Jahre etwa 10.000 neue Erkrankungsfälle pro Jahr. Laut dem Arzneiverordnungsreport 2014 hat sich in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren die Verschreibungsrate der Protonenpumpeninhibitoren etwa vervierfacht. Zudem sind die PPI Omeprazol, Pantoprazol und Esomeprazol auch im Rahmen der Selbstmedikation erhältlich. Es wird empfohlen, einen Arzt zu Rate zu ziehen, falls sich die Beschwerden nach zwei Wochen Behandlung nicht bessern. Darauf sollte im Beratungsgespräch in der Apotheke konsequent hingewiesen werden.

Weitere neue Risiken

Dies erscheint auch deshalb notwendig, da es im Laufe der letzten Monate Meldungen über bis dato kaum oder nicht bekannte Risiken der PPI gegeben hat. So zeigte eine Beobachtungsstudie aus den USA, dass die Wirkstoffe bei Langzeitanwendung möglicherweise das Risiko für chronische Nierenkrank­heiten erhöhen. Aus Großbritannien kamen Berichte über subakut kutanen Lupus erythematodes (SCLE) in Verbindung mit PPI. Schon seit Längerem ist bekannt, dass PPI Störungen des Knochenstoffwechsels mit vermehrten Frakturen verursachen können. Zudem kann der Anstieg des pH-Wertes im Magensaft eine bakterielle Besiedlung des Verdauungstraktes mit unerwünschten Erregern wie z. B. Clostridium difficile begünstigen.

In der im Oktober 2015 aktualisierten Beers-Liste der American Geriatrics Society, die für Senioren potenziell problematische Arzneistoffe enthält, wird empfohlen, einen Einsatz von PPI über einen längeren Zeitraum als acht Wochen ohne zwingende Indikation zu vermeiden. |

Quelle

Wise J Proton pump inhibitors may be linked to dementia risk. BMJ 2016;352:i972, Doi: 10.1136/bmj.i972, online vorab publiziert am 17. Februar 2016

Subakut kutaner Lupus erythematodes durch Protonenpumpenhemmer. arznei-telegramm 2015; 46(12):126

Lazarus B et al. Proton Pump Inhibitor Use and the Risk of Chronic Kidney Disease. JAMA Intern Med 2016, online publiziert am 11. Januar 2016, doi:10.1001/jamainternmed.2015.7193

Lam JR et al. Proton pump inhibitor and histamine 2 receptor antagonist use and vitamin B12 deficiency. JAMA 2013, 310(22):2435-42, Doi: 10.1001/jama.2013.280490.

Gomm W et al. Association of Proton Pump Inhibitors With Risk of Dementia. A Pharmacoepidemiological Claims Data Analysis. JAMA Neurol 2016, Doi:10.1001/jamaneurol.2015.4791, online vorab veröffentlicht am 15. Februar 2016

Kuller LH: Do Proton Pump Inhibitors Increase the Risk of Dementia? JAMA Neurol 2016, doi:10.1001/jamaneurol.2015.4931, online vorab veröffentlicht am 15. Februar 2016

American Geriatrics Society Updated Beers Criteria for Potentially Inappropriate Medication Use in Older Adults Clinical Guides 2015. Hrsg. American Geriatrics Society, http://geriatricscareonline.org

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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2 Kommentare

Langzeitanwendung PPI

von Reinhard Tegtmeyer am 06.08.2019 um 14:30 Uhr

Seit meiner Herz-OP im Jahre 2002 nehme ich Ome- bzw. Pantoprazol 20mg (1-0-0) neben den anderen erforderlichen Medikamenten. Laut Hausarzt gibt es bis heute , außer den altersbedingten Denkfehlern absolut keine Hinweise auf eine beginnende oder bestehende Demenz.
Ferner entsprechen die gesamten Blutwerte beinahe den bestehenden Normen und das auch mit Diabetes 2.

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Langzeitanwendung PPI

von Mathias Behrens am 15.12.2018 um 13:03 Uhr

Ich habe den Wirkstoff ca. 2 Jahrzehnte täglich eingenommen. Ab meinem 35. Lebensjahr.

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