Die Seite 3

Der sichere Halt

Peter Ditzel, Herausgeber der DAZ

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat ein gutes Händchen bewiesen, als sie das modische Kunstwort „postfaktisch“ zum Wort des Jahres 2016 kürte. Denn das, was diesem Wort zugrunde liegt, beeinflusst unser Leben vermutlich mehr als wir annehmen. „Postfaktisch“ beschreibt eine Strömung, die in Politik, Gesellschaft und sogar Wirtschaft allgegenwärtig zu sein scheint: „In der politischen und gesellschaftlichen Diskussion geht es heute zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten. Immer größere Bevölkerungsschichten sind in ihrem Widerwillen gegen ‚die da oben‘ bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen bereitwillig zu akzeptieren. Nicht der Anspruch auf Wahrheit, sondern das Aussprechen der ‚gefühlten Wahrheit‘ führt im ‚postfaktischen Zeitalter‘ zum Erfolg.“

Beispiele gefällig? Postfaktische Aussagen des Londoner Bürgermeisters Boris Johnson haben geholfen, die britische Bevölkerung zum Brexit zu bewegen. Donald Trump hat sich mit Lügengeschichten, die seine Anhänger hören wollten, zum Präsidenten der USA gefaselt. Auch der russische Präsident Putin schwimmt auf der postfaktischen Welle und versucht, seine Welt so dastehen zu lassen, wie es seine Anhänger von ihm erwarten. Ganz zu schweigen vom türkischen Präsidenten Erdogan, einem Meister der „gefühlten Wahrheit“. In Deutschland und Frankreich setzen vor allem rechte Strömungen gern auf billige Emotionen anstelle von Fakten, z. B. in der Flüchtlingspolitik, und Anhänger von Pegida und Co. wollen nur allzu gerne das hören, was in ihre braune Welt passt.

Gegen Emotionen ist zunächst nichts einzuwenden. In unserer digitalen, globalisierten Welt sehnen sich die Menschen nach Emotionalem. Das Tückische an der postfaktischen Strömung ist, dass hier mit Emotionen, die zunächst etwas Gutes sind, versucht wird, Meinungen zu manipulieren. Fakten werden verdreht, ignoriert, oder Emotionen an die Stelle von Fakten gesetzt. Die Menschen sollen Gefühlen und Spekulationen mehr glauben als Tatsachen.

Und schon finden sich Ansätze von postfaktischen Aussagen auch bei Apothekenthemen. Wenn die ABDA mit einer PR-Kampagne den Menschen suggerieren will, dass Apotheken bald keine Rezepturen für Kinder mehr herstellen, keine Notdienste mehr machen und keine Schwangere und Senioren beraten, oder wenn eine niederländische Versandapotheke gern die drohende Unterversorgung mit Arzneimitteln auf dem Land an die Wand malt, dann hat das mehr mit Emotionen als mit Fakten zu tun – postfaktisch eben.

Zusammen mit der postfaktischen Welle kommen auch im Netz gefälschte Meldungen daher: Fake-News, vor allem in Facebook und WhatsApp – ein unangenehmer Trend. Das Perfide daran: Oft klingen solche Fake-News plausibel, man könnte sich gut vorstellen, dass dies oder jenes so gewesen ist. Hinzu kommen noch die im Netz tätigen bösen Bots, kleine automatische Computerprogramme, die in sozialen Netzen und auf Twitter („social bots“) massenhaft vorprogrammierte automatische Antworten und Informationen platzieren und so Meinungen beeinflussen. Nach dem ersten TV-Duell im US-Wahlkampf soll mehr als jeder dritte Tweet (37,2%) für Trump computergesteuert abgesetzt worden sein. Wie soll ein Bürger hier noch wissen, was echt, was Fake ist?

Nein, das Internet, das Netz und seine Plattformen, muss man deswegen nicht verteufeln. Nur sollte man bei den Informationen mit gesundem Menschenverstand rangehen, die Plausibilität und vor allem die Quelle hinterfragen. In einer Zeit des Postfaktischen und der Fake-News bietet die Apotheke vor Ort einen sicheren Halt, naturwissenschaftliche Fakten, aber auch ehrliche Emotionen und Hilfsbereitschaft – alles in der realen Welt. Vom Apotheker, nicht vom Roboter. Vielleicht sollten das die Gesundheitspolitiker, die auf der Online-Welle reiten, mal überdenken.

In diesem Sinn, bleiben Sie uns gewogen. Mit der DAZ sind Sie auf der Seite der Fakten. Ein frohes Weihnachtsfest und viel Erfolg im neuen Jahr!

Peter Ditzel


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