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Medizin

Immunantwort außer Kontrolle

Wichtigstes Kriterium einer Sepsis ist die Organdysfunktion

Jeder dritte Todesfall in Deutschland geht – unabhängig von der primären Ursache – auf eine Sepsis zurück. Am Beginn steht eine zumeist bakterielle Infektion, die an sich harmlos sein kann, aber eine unkontrollierte systemische Antwort des Körpers hervorrufen kann. Klassische Symptome einer Sepsis sind hohes Fieber, eine Kreislaufdepression mit Hypotonie und Tachykardie, eine überschießende Blutgerinnung und ein getrübtes Bewusstsein. Verbindlich für die Definition einer vorliegenden Sepsis ist seit Februar 2016 jedoch eine lebensbedrohliche Organdysfunktion von Nieren, Lunge, Herz oder Hirn. | Von Clemens Bilharz

Zwischen 2007 und 2013 stieg in Deutschland die Anzahl wegen einer Sepsis stationär behandelter Patienten jährlich im Schnitt um 5,7 Prozent von 200.535 auf 279.530 an. Der Anteil der Betroffenen mit einem schweren Verlauf nahm in diesen Jahren von 27 auf 41 Prozent zu, allerdings sank die Sterblichkeitsrate von 27 auf 24,3 Prozent. Insgesamt verstarben im Jahr 2013 in Deutschland 67.849 Menschen an einer Sepsis. Besonders gefährdet sind Neugeborene, alte Menschen sowie Personen mit einem geschwächten Immunsystem und/oder mit Komorbiditäten wie Diabetes mellitus oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung. Auch nosokomiale Infektionen, vor allem durch multiresistente Keime, spielen eine wichtige Rolle.

Immunantwort auf Erreger und Toxine

Heute wird die Diagnose „Sepsis“ eher im Kontext der modernen Intensivmedizin gesehen, d. h. mit Maßnahmen wie Mehrfach-Antibiose, Monitoring und Kreislaufstabilisierung. Tatsächlich handelt es sich aber um einen medizinischen ­Terminus aus der Antike, den bereits Hippokrates (ca. 460 – 370 v. Chr.) eingeführt hat, abgeleitet von dem griechischen σηπω („faul machen“). Bis in die Neuzeit wurden hauptsächlich die „Wundfäule“ und ihre Ausbreitung („Blutvergiftung“) für das Phänomen verantwortlich gemacht.

Anhand der pulmonalen Komplikation des „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) festigte sich in den 1980er-Jahren die Erkenntnis, dass die Entstehung einer Sepsis mehr als einen sich ausbreitenden Infektionsherd voraussetzt. Sie wurde nun definiert als eine Invasion von Mikroorganismen und/oder ihren Toxinen in den Blutstrom einschließlich der körpereigenen systemischen Immunreaktion auf diese Invasion. Man sprach daher von einem „systemic inflammatory response syndrome“ (SIRS). Im Vordergrund standen hierbei klinische Kriterien wie

  • abnorme Körpertemperatur,
  • erhöhte Puls- und Atemfrequenz,
  • stark erhöhte oder erniedrigte Leukozytenzahl.

Neue Konsensus-Definition 2016

Klinisch waren die SIRS-Kriterien durchaus umstritten. ­Einerseits können sie auch durch einfache Infektionen oder sogar durch nicht-infektiöse Ursachen (z. B. Trauma, Pan­kreatitis, kardiopulmonale Reanimation) getriggert werden. Andererseits können sie bei kritisch Kranken mit offensichtlichen Anzeichen einer Sepsis fehlen. Daher gilt seit Februar 2016 eine neue Konsensus-Definition der Sepsis, in der der Begriff SIRS nicht mehr auftaucht.

Zentrales Kriterium der Sepsis ist nun die lebensbedroh­liche Organdysfunktion, die aufgrund einer Dysregulation der Immunantwort auf eine Infektion auftritt. Um etwaige Organstörungen zumindest semiquantitativ beurteilen zu können, wurde der SOFA-Score überarbeitet („sequential ­organ failure assessment“, s. Tab. 1). Von einem septischen Krankheitsverlauf bei gesicherter oder vermuteter Infektion muss man ausgehen, wenn sich der SOFA-Score akut um mehr als zwei Punkte verschlechtert. Als septischer Schock gilt darüber hinaus folgende Konstellation:

  • Trotz ausreichender Flüssigkeitszufuhr müssen Catecholamine (z. B. Noradrenalin) gegeben werden, um den mittleren arteriellen Blutdruck über 65 mmHg zu halten.
  • Die Serumlactatkonzentration steigt über 2 mmol/l an.
    Organ
    Parameter
    –––
    1 Punkt
    2 Punkte
    3 Punkte
    4 Punkte
    Lunge
    pa O2 / Fi O2 -Verhältnis [mmHg]
    ≥ 400
    < 400
    < 300
    < 200
    + Beatmung
    < 100
    + Beatmung
    Blut
    Thrombozyten [103 / μl]
    ≥ 150
    < 150
    < 100
    < 50
    < 20
    Leber
    Bilirubin [mg / dl]
    < 1,2
    1,2 – 1,9
    2,0 – 5,9
    6,0 – 11,9
    ≥ 12,0
    Herz und ­Kreislauf
    MAP [mmHg]
    Catecholamindosis
    [μg / kg KG / min]
    ≥ 70
    < 70
    Dopamin < 5
    Dobutamin jede Dosis
    Dopamin 5,1 – 15
    Noradrenalin ≤ 0,1
    Dopamin > 15
    Noradrenalin > 0,1
    ZNS (Gehirn)
    Glasgow Coma Scale
    15
    13 – 14
    10 – 12
    6–9
    < 6
    Niere
    Serum-Creatinin [mg / dl]
    Urinmenge [ml / Tag]
    < 1,2
    1,2 – 1,9
    2,0 – 3,4
    3,5 – 4,9
    < 500 (Oligurie)
    > 5,0
    < 200 (Anurie)

Aus einem lokalen wird ein systemischer Befall

Trotz der Betonung der Organdysfunktionen gilt als Ausgangspunkt einer Sepsis nach wie vor eine Infektionserkrankung. Hierbei ist es unerheblich, ob diese Infektion bakterieller, viraler, fungaler oder parasitärer Natur ist, doch klinisch handelt es sich bei rund 95 Prozent der Erreger um Bakterien (grampositive wie Staphylokokken, Streptokokken oder gramnegative wie E. coli, Pseudomonaden). Nicht immer lässt sich ein Sepsisherd finden, doch bestimmte Organe sind häufiger betroffen (Tab. 2).

Tab. 2: Typische Sepsisherde und ihre Symptome.Differenzialdiagnostisch kommen außer primären Infektions­erkrankungen auch Komplikationen der Therapie infrage (z. B. infizierter zentraler Venenkatheter).
Körperteil, Entzündung, sonstige Ursachen
Klinische Leitsymptome (zusätzlich zu Fieber)
Abdomen: Cholezystitis, Divertikulitis, Pankreatitis, Peritonitis nach Perfora­tion, Abszess
(starker) Viszeralschmerz, bretthartes Abdomen (aber auch verschleierte Symptomatik mit weichem Abdomen möglich)
Darm: translokative Sepsis, d. h. Bakterien(-toxine) durchdringen geschädigte Darmwand
eher diffuse abdominelle Schmerzen, Übelkeit, Diarrhö
Unterbauch / Becken: ­Adnexitis, Prostatitis
Unterbauchbeschwerden, schmerzhafte Prostata, Dysurie (erschwertes / schmerzhaftes Wasserlassen)
Harnwege: Zystitis, ­Pyelonephritis
Dysurie, Pollakisurie (häufiges Wasserlassen), Flankenschmerz
Atemwege: Bronchitis, Pneumonie
Husten, Dyspnoe, Schmerzen in der Brust
ZNS: Hirnabszess
Meningismus (Nackensteifigkeit), Bewusstseinstrübung
Gelenke, Wirbelsäule
Rücken- / Gelenkschmerzen, Überwärmung, Schwellung, eingeschränkte Bewegung
Wunde (traumatisch, ­chirurgisch)
Rötung, Überwärmung, Schwellung, Sekret- und / oder Eiterbildung
Komplikationen:Blasen­katheter, Venen­katheter, Wunddrainage
Rötung und Schmerzen an der Eintrittstelle, Katheterobstruktion

Generell ist nicht die lokale Infektion für die Schwere und den oft fatalen Verlauf einer Sepsis verantwortlich, sondern die außer Kontrolle geratenen Mechanismen der systemischen Immunabwehr, die in keinem Verhältnis zur lokalen Entzündungsreaktion steht und auch bislang nicht von der Infektion befallene Organe bzw. Gewebe in Mitleidenschaft zieht. Zentrale Pathomechanismen der Sepsis sind die septische Koagulopathie, die endotheliale Dysfunktion und die Störung der Mikrozirkulation.

Auch wenn die jeweiligen Prozesse eher miteinander verzahnt ablaufen, werden sie zum besseren Verständnis im Folgenden getrennt dargestellt.

Immunreaktion

Die pathogenen Eigenschaften mikrobieller Erreger beruhen vor allem auf Strukturen der Zellwand (bei Bakterien z. B. Lipopolysaccharid), Endotoxinen oder Sequenzen der DNA bzw. RNA (bei RNA-Viren). Diese Virulenzfaktoren werden als „pathogen-associated molecular patterns“ (PAMP) bezeichnet. Die Zellen des Immunsystems (Lymphozyten, u. a. Granulozyten, Makrophagen, natürliche Killerzellen) erkennen diese Strukturen über spezifische Rezeptoren („pattern recognition receptors“, PRR). Näher beschrieben sind vor allem verschiedene Toll-like-Rezeptoren (TLR), die nicht nur auf Immunzellen lokalisiert sind, sondern auch auf Epithelzellen des Gastrointestinal- und Respirationstrakts. Die Bindung der PAMP an die PRR induziert eine unspezifische Immunantwort mit der Aktivierung von Phagozyten und Proteinen des Komplementsystems sowie der Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine (z. B. TNF-α, IL-6) und von Akute-Phase-Proteinen (z. B. Fibrinogen, C-reaktives Protein).

Septische Koagulopathie

Die Zytokine steigern die Expression von Faktor III oder Gewebethromboplastin (engl. „tissue factor“, TF) in Makrophagen, Monozyten und Endothelzellen. Hierbei handelt es sich um einen wichtigen „Starter“ der Blutgerinnungskaskade.

Zwar ist eine lokale Gerinnung sinnvoll, um die Versorgung der Erreger mit Sauerstoff und Nährstoffen zu erschweren, bei einer systemischen Ausbreitung droht jedoch die Mikro­thrombosierung von Organen und Gewebe, die sogenannte disseminierte intravasale Gerinnung (DIC [C = Coagulation]). In den Arteriolen, Venolen und Blutkapillaren bilden sich kleine Blutgerinnsel, besonders betroffen sind stark durchblutete Organe wie das Herz, die Lungen, die Nieren und die Leber. Durch die Perfusionsminderung und die Hypoxie kann sich einerseits eine Organdysfunktion entwickeln, andererseits zeigen Mikrothromben selbst wiederum eine proinflammatorische Wirkung.

Fehlende Gerinnungshemmung

Unterstützt wird die Entwicklung einer DIC, weil bei einer Sepsis physiologische Gegenmaßnahmen gegen die Blutgerinnung ausbleiben. So ist die Synthese von Regulatoren und Inhibitoren der Gerinnung vermindert, z. B. von Antithrombin und Protein C in der Leber und von „tissue factor pathway inhibitor“ (TFPI) im Gefäßendothel. Außerdem führt die DIC zu einem erhöhten Verbrauch an Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten (Verbrauchskoagulopathie), deren Mangel die Blutungsneigung rapide ansteigen lässt.

Hinzu kommt eine Unterdrückung der Fibrinolyse, der körpereigenen Auflösung eines Fibrinthrombus durch das Enzym Plasmin. Verantwortlich hierfür ist die durch Zytokine (vor allem TNF-α) induzierte erhöhte Synthese des Plasminogen-Aktivator-Inhibitors (PAI) in der Leber und in Endothel­zellen. Hierdurch wird die Reaktion von Plasminogen zu Plasmin und somit die Auflösung der entstandenen Mikro­thromben gehemmt.

Endotheliale Dysfunktion

Aufgrund der Stimulation durch Endotoxin und insbesondere durch Zytokine ändern sich auch die Eigenschaften des Gefäßendothels grundlegend. Seine wesentlichen physiologischen Funktionen lassen deutlich nach, nämlich

  • die Aufrechterhaltung des Gefäßtonus und somit eines suffizienten arteriellen Blutdrucks,
  • die gerinnungshemmende Wirkung seiner Oberfläche,
  • die stabile Barriere zwischen Blut und Gewebe,
  • die Hemmung der Adhäsion vor allem von Leukozyten.

Letzteres beruht auf einer gesteigerten Expression von Ad­häsionsmolekülen wie L- und P-Selectin, welche das Abbremsen sowie Anhaften vorbeifließender Leukozyten an das Gefäßendothel erleichtern. Durch den Kontakt mit der Endothel­oberfläche werden die Leukozyten aktiviert und setzen vermehrt zytotoxische Substanzen frei. Diese Oxidanzien, Proteasen, Prostaglandine und Leukotriene schädigen nicht nur die Endothelzellen direkt, sondern stimulieren diese ebenfalls zur Expression von Entzündungs- und Gerinnungsfaktoren. Auch diese Vorgänge fördern die bereits beschriebene Mikrothrombosierung in den kleinsten Blutgefäßen. Bei zu langer und/oder zu starker Exposition können die ­Toxine und Zytokine das Endothel irreversibel zerstören.

Kapillarleck

Eine Folge der endothelialen Dysfunktion ist die Ausbildung eines Kapillarlecks, das den Austritt von Flüssigkeit und Plasmaproteinen in das Interstitium erlaubt. Die Flüssigkeitsverschiebung kann massiv sein und klinisch sowohl zu Ödemen als auch zu einem intravasalen Volumenmangel mit Blutdruckabfall führen. Neben der Leukozyten-Endothel-­Interaktion sind noch mindestens zwei weitere Faktoren für die Ausbildung des Kapillarlecks verantwortlich:

Die Gefäßwachstumsfaktoren Angiopoietin-1 und -2 konkurrieren kompetitiv um den Tyrosinkinase-Rezeptor Tie2 von Endothelzellen. Während Angiopoietin-1 die Barrierefunktion des Endothels stabilisiert, bewirkt Angiopoietin-2 das Gegenteil. Bei Sepsis steigt Zytokin-getriggert die Konzentration von Angiopoietin-2, was die pathologische Gefäßdurchlässigkeit erhöht.

Ein weiteres wichtiges Signalprotein der Angiogenese ist der „vascular endothelial growth factor“ (VEGF). Seine Freisetzung wird wiederum durch einen bestimmten Faktor stimuliert, der bei zellulärem Sauerstoffmangel verstärkt auftritt. Auch VEGF senkt die Barrierefunktion des Endothels.

Hypotonie

Ebenso spielen die Endothelzellen eine wichtige Rolle bei der Regulation des Gefäßtonus durch die Produktion vaso­aktiver Substanzen wie Endothelin und Stickstoffmonoxid (NO). Letzteres relaxiert die glatte Gefäßmuskulatur und wird bei Sepsis verstärkt exprimiert. Außerdem können reaktive Sauerstoff- und Stickstoffradikale zu einer Hyperpolarisation („Lähmung“) von Endothelzellen führen. Die hierdurch vermittelte Vasodilatation führt zusammen mit dem intravasalen Flüssigkeitsverlust zu einem oft ausgeprägten Abfall des mittleren arteriellen Blutdrucks – bis hin zum septischen Schock mit Minderperfusion lebenswichtiger Organe.

Wenn das Herz noch nicht von der Sepsis in Mitleidenschaft gezogen ist (s. u.), kommt es reflektorisch zu einer Tachy­kardie und stark erhöhtem Herzzeitvolumen bis zu 20 l/min (normal 4,5 bis 5 l/min) und somit zu einer ­hyperdynamen Zirkulation. Ursache ist eine vermehrte Freisetzung endogener Catecholamine sowie des Gefäßtonus‑­steigernden Arginin-Vasopressins (antidiuretisches Hormon, das auch die Rückresorption von Wasser aus dem Primärharn fördert). Gelingt es nicht, diese „Aufwärtsspirale“ zu unterbrechen, droht einerseits ein pathologischer kardialer Sauerstoffverbrauch und andererseits eine Catecholamin­resistenz und eine „Vasopressin-Insuffizienz“ mit Nachlassen des Gefäßtonus.

Mikrozirkulationsstörung

Die für die Sepsis typische Mikrozirkulationsstörung ist die sogenannte heterogene Perfusion, d. h. dass neben regulär durchbluteten Bereichen Areale mit reduzierter oder sogar erloschener Perfusion sowie auch Areale mit einer deutlich erhöhten arteriolären Perfusion liegen. Letztere können eine schlechtere Durchblutung nicht kompensieren, denn durch den zu schnellen Blutfluss fehlt die Zeit für den notwendigen Austausch von Sauerstoff und Substraten. Zudem steigert die Hyperperfusion bei einem Kapillarleck den intra­vasalen Flüssigkeitsverlust.

Drei aktuelle Studien

In drei aktuellen Studien wurden verschiedene Therapieoptionen bei einer Sepsis überprüft, die jedoch alle versagten.

Adjunktive Gabe von Hydrocortison: In der Placebo-kontrollierten, randomisierten, doppelblinden HYPRESS-Studie (Hydrocortisone for Prevention of Septic Shock) wurden Wirksamkeit und Sicherheit von niedrig dosiertem Hydrocortison zur Prävention des septischen Schocks bei 380 Patienten mit schwerer Sepsis untersucht. Im Hinblick auf das Eintreten eines septischen Schocks innerhalb von 14 Tagen (primärer Studienendpunkt) zeigte sich kein Unterschied zwischen der Placebo- und der Hydro­cortison-Gruppe. In beiden Gruppen erlitten rund 22% der Patienten einen septischen Schock.

Empirische Therapie mit Micafungin: Bei Intensivpatienten mit Sepsis wird häufig eine empirische antimykotische Therapie eingeleitet, wenn eine systemische Pilzinfektion vermutet wird. In der multizentrischen, doppelblinden, Placebo-kontrollierten EMPIRICUS-Studie erhielten die 260 Patienten entweder das Echinocandin Micafugin (Mycamine®) oder ein Placebo. Der primäre Studienendpunkt war das Überleben ohne invasive Pilzinfektion 28 Tage nach der Randomisierung. Die Ergebnisse waren in der Micafugin-Gruppe zwar besser, jedoch nicht statistisch signifikant (68% vs. 60,2%).

Gabe von Levosimendan: Beim septischen Schock werden ­Catecholamine zur Stabilisierung des Kreislaufs gegeben, die aber den Herzmuskel schädigen und die periphere Durchblutung vermindern. Eine mögliche Alternative ist der Calcium-Sensitizer Levo­simendan (Simdax®), der den Herzmuskel nicht angreift. In der doppelblinden, randomisierten LeoPARDS-Studie (Levosimen­dan for the Prevention of Acute Organ Dysfunction in Sepsis) mit 516 Sepsis-Patienten wurden die Organfunktionen teils unter einer konventionellen Therapie, teils unter der zusätzlichen Gabe von Levosimendan mithilfe des SOFA-Score bestimmt. Auch hier unterschieden sich die beiden Gruppen nicht wesentlich. Die Sterblichkeit nach 28 Tagen war unter Levosimendan etwas erhöht (34,5% vs. 30,9%, statistisch nicht signifikant).

Quellen

Keh D, et al. Effect of hydrocortisone on development of shock among patients with severe sepsis. The HYPRESS randomized clinical trial. JAMA 2016;316(17):1775-1785

Timsit JF, et al. Empirical Micafungin treatment and survival without invasive fungal infection in adults with ICU-acquired sepsis, Candida colonization, and multiple organ failure. The EMPIRICUS randomized Clinical Trial. JAMA 2016;316(15):1555-1564

Gordon A, et al. Levosimendan for the prevention of acute organ dysfunction in sepsis. NEJM 2016;375:1638-1648

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

Organschädigungen

Durch das Zusammenspiel der Faktoren Koagulopathie, ­Hypotension und Mikrozirkulationsstörung kommt es bei unbehandelter Sepsis (oder bei Therapieversagen) zu einer Minderdurchblutung lebenswichtiger Organe und in der Folge zu einem anaeroben Metabolismus. Allerdings lassen sich selbst bei einem Organversagen nicht immer Ischämie oder Zellnekrosen in den betroffenen Organen nachweisen.

Daher vermutet man, dass die Dysfunktion von Organ­parenchymzellen noch eine weitere Ursache hat, nämlich die sogenannte zytopathische Hypoxie. Hierbei handelt es sich um eine komplexe Störung der Atmungskette in den Mitochondrien durch Endotoxin und Sepsismediatoren, wobei der Sauerstoffpartialdruck im Gewebe paradoxerweise normal bis erhöht ist. Es kommt zu einer Kumulation von Pyruvat, welches wiederum zu Lactat reduziert wird, wodurch sich der für die Sepsis oft typische Anstieg der Lactatkonzentration im Serum ergibt.

Darüber hinaus können bei Sepsis – ausgehend von Mediatoren wie Stickstoffmonoxid – reaktive Sauerstoffspezies (z. B. Superoxid und Peroxynitrit) entstehen, welche die Mitochondrien auch direkt schädigen können.

Vier Organdysfunktionen sind besonders typisch für die Sepsis:

  • Akutes Nierenversagen: Die arterielle Hypotension hat letztendlich einen Abfall des renalen Filtrationsdrucks zur Folge. Es droht eine Anurie (Urinproduktion von weniger als 100 ml in 24 Stunden) mit tödlichem Ausgang.
  • Septische Lungenschädigung: Aufgrund der Schädigung des kapillären und alveolären Endothels ergießt sich Ödemflüssigkeit mit Proteinen und Zelltrümmern in den Luftraum. Dadurch entstehen Mikroatelektasen, also eine „Alveolenverstopfung“, die die pulmonale Oxygenierung des Blutes vermindert oder sogar aufhebt. Das Lungengewebe versteift sich, es droht das Vollbild eines lebensgefährlichen „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) mit pulmonaler Hypertonie.
  • Septische Enzephalopathie: Die Toxine und Zytokine, reaktive Sauerstoffspezies und Mikrozirkulationsstörungen können auch das ZNS schädigen, u. a. durch Veränderungen im zerebralen Aminosäuren-, Glucose- und Neurotransmitterstoffwechsel. Leitsymptom ist die beeinträchtigte Vigilanz, die von leichten Bewusstseinsstörungen bis hin zum Delirium oder Koma reichen kann. Die Symptomatik kann stark fluktuieren, wobei fokalneurologische Defizite wie motorische Störungen eher selten sind.
  • Septische Kardiomyopathie: Häufiger als früher an­genommen ist das Herz von der Sepsis betroffen. Toxine und Zytokine führen zur Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion und zur Dilatation des linken Ventrikels. Im Verlauf der Sepsis werden sie auch im Herzen selbst gebildet und verstärken so die septische Kardiomyopathie. Bei pulmonaler Hypertonie aufgrund eines ARDS kann noch eine Dysfunktion des rechten Ventrikels hinzu­kommen.

Einfacher Score für die klinische Routine

Auch wenn bestimmte Symptome und Befunde in der neuen Konsensus-Definition der Sepsis nicht mehr mit dem Begriff des Systemic Inflammatory Response Syndrome (SIRS) korrelieren, fließen dessen Kriterien dennoch in die klinische Beurteilung septischer Patienten mit ein (s. Tab. 3). Um Patienten mit erhöhtem Risiko rascher zu identifizieren, soll ein vereinfachtes Screening mit dem qSOFA (q = quick) angewandt werden (vgl. Tab. 1): Kriterien sind

  • Atemfrequenz ≥ 22/min,
  • systolischer Blutdruck ≤ 100 mmHg,
  • Bewusstseinstrübung nach Glasgow Coma Scale ≤ 13.

Treffen mindestens zwei Kriterien zu, besteht der Verdacht auf einen septischen Krankheitsverlauf.

Tab. 3: Klinische und funktionelle Kriterien bei Patienten mit (Verdacht auf) Sepsis. Je nach Konstellation sollte die Veränderung eines oder mehrerer Parameter frühzeitig als Warnsignal gewertet werden. SD = Standardabweichung.
Allgemeine Kriterien
  • Fieber (> 38 °C) oder Hypothermie (< 36,0 °C), Schüttelfrost möglich
  • warme, eher gerötete Haut
  • Tachykardie (Herzfrequenz > 90 – 100 / min)
  • Tachypnoe (Atemfrequenz > 20 / min)
  • Bewusstseinsveränderung (z. B. Unruhe, Desorientiertheit, verminderte Vigilanz)
  • signifikante Ödeme, positive Flüssigkeitsbilanz
  • Hyperglykämie
Zeichen der Inflammation
  • Leukozytose (≥ 12.000 / μl) oder Leukopenie (≤ 4000 / μl)
  • normale Leukozytenzahl, aber > 10% unreife Formen
  • CRP-Plasmaspiegel (C-reaktives Protein) > 2 SD oberhalb des oberen Grenzwertes
  • Procalcitonin-Plasmaspiegel > 2 SD oberhalb des oberen Grenzwertes
Zeichen von Organdysfunktionen
  • arterielle Hypoxämie (pa O2 < 75 mmHg unter Raumluft)
  • akute Oligurie
  • Anstieg der Creatininkonzentration
  • paralytischer Ileus
  • Hyperbilirubinämie
  • Störung der Koagulation (INR-Wert > 1,5)
Hämodynamische Parameter
  • arterielle Hypotension (Blutdruck systolisch < 100 mmHg)
  • zentralvenöse Sättigung* > 70% (Parameter der Gewebe­oxygenierung)
  • Herzindex* > 3,5 l / min (Quotient aus Herzminutenvolumen und Körperoberfläche, v. a. bei beginnender Sepsis erhöht)
Parameter einer gestörten Gewebsperfusion
  • Serumlactat erhöht (> 2 mmol / l)
  • bei Fingernagelprobe Rekapillierungszeit verlängert (> 3 s)

* nur invasiv mit Pulmonalarterienkatheter messbar

Meist Therapie auf Intensivstation erforderlich

Die Sepsis erfordert eine „early goal-directed therapy“ (EGDT). Deren erste Schritte sind

  • das rasche Erkennen des kritisch Kranken mit (beginnender) Sepsis,
  • der schnellstmögliche Beginn einer empirisch kalkulierten antiinfektiösen Therapie,
  • eine an die aktuellen Kreislaufverhältnisse adaptierte Volumengabe.

Diese Maßnahmen können bereits in der Notaufnahme oder auf der Normalstation eingeleitet werden. Nicht in allen Fällen ist ein sofortiges invasives Monitoring erforderlich. Bei respiratorischer und/oder hämodynamischer Instabilität ist allerdings die sofortige Indikation zur weiteren Versorgung auf einer Intensiv- oder Intermediate-Care-Station gegeben. Dort beruht die generelle Strategie bei Sepsis auf vier Säulen:

  • respiratorische und hämodynamische Stabilisierung,
  • mikrobiologische Diagnostik und Therapie,
  • Fokusidentifikation und -kontrolle/-sanierung,
  • Überwachung der Vital- und von Organfunktionen.

Je nach Verlauf sind flankierende Maßnahmen erforderlich wie eine Sedierung, künstliche Beatmung bzw. Respirator­therapie oder Nierenersatzverfahren. Eine Übersicht intensivmedizinischer Interventionen zeigt Tabelle 4.

Tab. 4: Intensivmedizinische Interventionen bei einer Sepsis. In allen Phasen ist ein angemessenes Monitoring obligat (v. a. Atmung, Kreislauf, Ausscheidung, Körpertemperatur, Laborwerte).

(Frühe) Stabilisierung: hämodynamisch und respiratorisch
  • bei Hypotonie < 100 mmHg (oder Lactatanstieg > 2 mmol / l) frühe Volumenzufuhr (30 ml / kg über 3 Std.) mit Voll­elektrolytlösungen; 
    – kein NaCl 0,9%, keine Hydroxyethylstärke (HES)
    – Volumenüberladung vermeiden, Ausscheidung kontrol­lieren
    – zumeist zentraler Venenkatheter erforderlich
  • bei MAP < 65 mmHg trotz Volumengabe: Noradrenalin ­(Vasokonstriktion)
    – in der Regel invasive arterielle Blutdruckmessung ­erforderlich
  • bei reduzierter linksventrikulärer Pumpfunktion ­(Echo­kardiografie): Dobutamin oder Levosimendan (positiv inotrope Wirkung)
  • Sauerstoffgabe zur Vermeidung einer Hypoxämie
    – Ziel: pulsoxymetrisch gemessene O2 -Sättigung 90 – 92%
    – Applikation über O2-Nasenbrille oder nicht-invasive ­Maske
    – Erschöpfung der Atemmuskulatur vermeiden, Indikation zur Respiratortherapie rechtzeitig prüfen
Mikrobiologische Diagnostik und Therapie
  • mindestens 2 × 2 Blutkulturen, Urinkultur, Trachealsekret, ggf. Punktion von Liquor, Pleura, Aszites
  • frühe breite antiinfektiöse Therapie („hit hard and early“)
    – empirisch kalkuliert nach mutmaßlichem Fokus und ­Resistenzlage im Krankenhaus
    – Therapiebeginn spätestens eine Stunde nach Diagnosestellung
Fokussuche und -kontrolle
  • ggf. zusätzliche mikrobiologische Untersuchungen
  • bildgebende Verfahren (Sonografie, Röntgen, CT / MRT)
  • operative oder interventionelle Fokussanierung, z. B.
    – Entlastung eines Abszesses oder Empyems
    – Entfernung eines infizierten Implantats oder Venen­katheters
    – Entlastung bei Harnstau
    – Resektion bei perforiertem Hohlorgan (meist Kolon)
Respiratortherapie
  • lungenprotektive Beatmung mit geringem Atemzugsvolumen und niedrigen inspiratorischen Drücken
    – wenn möglich Spontanatmung
    – wenn möglich geringe Sedierung
    – PEEP (positiver End-exspiratorischer Druck) applizieren, um die Oxygenierung zu verbessern und Atelektasen (nicht belüftete Lungenareale) zu vermeiden
    – frühestmögliche Entwöhnung (Weaning)
Renale Therapie
  • Nierenersatzverfahren bei 
    – Diuretika-resistenter Volumenüberladung
    – Oligurie > 12 Stunden
    – Serumkalium > 6 mmol / l (mit EKG-Veränderungen)
    – kontinuierliche venovenöse Hämofiltration (CVVHF) oder Hämodiafiltration (CVVHDF, kombinierte Hämodialyse und -filtration)
    – Anpassung von Medikamentendosierungen
Ernährung
  • möglichst nach spätestens 48 Stunden enterale Ernährung wieder aufnehmen (nasogastrale Sonde)
    – Kalorienzufuhr stufenweise innerhalb 7 Tagen erhöhen
    – Ziel-Blutglucose < 180 mg / dl (Insulingabe erst nach 2 BZ-Messungen > 180 mg / dl)
    – ggf. selektive digestive Dekontamination (SDD), d. h. Applikation nicht resorbierbarer, antibiotischer und antimykotischer Substanzen in den Verdauungstrakt
    – (Stress-)Ulkusprophylaxe mit Protonenpumpenhemmern
Adjuvante Maßnahmen
  • Lagerung mit erhöhtem Oberkörper (bei ARDS ggf. Bauch­lagerung erforderlich), Krankengymnastik im Bett
  • niedrig dosiertes Hydrocortison bei septischem Schock, wenn trotz Gabe von Volumen und Vasopressoren keine Stabilisierung möglich (hochdosierte Gabe nicht empfohlen)
  • rekombinantes aktiviertes Protein C (rhAPC) bei hohem ­Mortalitätsrisiko, z. B. Mehrfach-Organversagen
  • restriktive Indikation zur Bluttransfusion

Rasche Antibiotikagabe nach „Tarragona“

In den meisten Fällen ist die Sepsis bakteriell verursacht, eine adäquate antibiotische Initialtherapie senkt die Sterblichkeit betroffener Patienten auf der Intensivstation nachweislich. Das jeweilige Vorgehen orientiert sich gemäß der „Tarragona-Strategie“ an empirischen Gesichtspunkten:

  • „Look at your patient“: Die individuelle Konstellation, vor allem der mutmaßliche septische Fokus ist bei der Wahl der Antibiotika zu berücksichtigen, so z. B.
  • bei ambulant erworbener Pneumonie durch Strepto­coccus pneumoniae: Kombination aus Betalactam- und Makrolid-Antibiotikum,
  • bei Verdacht auf eine (meist nosokomiale) Infektion mit Pseudomonas aeruginosa: Kombinationen aus ­Piperacillin und Tazobactam oder Ceftazidim und ­Gentamicin.
  • „Listen to your hospital“: Die Resistenzlage im Krankenhaus ist zu beachten, z. B. von S. pneumoniae gegenüber Makrolidantibiotika.
  • „Hit hard and early“: Frühestmögliche Therapie (vorher jedoch Abnahme der Blutkulturen!). Bei Verdacht auf Problemkeime (und beim septischen Schock) ist bereits initial eine Kombinationstherapie durchzuführen, z. B. werden Acyl­aminopenicillin/β-Lactamase-Inhibitoren oder Cephalosporine der Gruppe 4 oder Carbapeneme der Gruppe 1 mit einem Fluorchinolon oder Fosfomycin kombiniert.
  • „Get to the point“: Die jeweilige Pharmakokinetik ist zu beachten. So sollten etwa bei zeitabhängig wirkenden Antibiotika die Serumspiegel kontinuierlich vier- bis fünffach über der MHK für den Erreger liegen (z. B. bei β-Lactam-Antibiotika, Clindamycin, Makroliden, Oxazolidinonen und Fosfomycin). Auch muss bei eingeschränkter Nierenfunktion bzw. Nierenersatzverfahren die Dosis adaptiert werden.
  • „Focus, focus, focus“: Binnen 48 bis 72 Stunden nach Therapiebeginn Reevaluation mit der Frage: Eskalation oder Deeskalation? |

Literatur

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Autor

Clemens Bilharz ist Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin und zusätzlich als wissenschaftlicher Fachzeitschriftenredakteur ausgebildet. Er ist als Autor und Berater für Fachverlage und Agenturen tätig.

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