Feuilleton

In der Weihnachtsbäckerei

24 Gewürze und Backzutaten pharmazeutisch betrachtet, 2. Teil

Foto: luckybusiness – Fotolia.com
Von Armin Edalat | Viele traditionelle Koch- und Backzutaten begegnen uns in der Adventszeit, und fast immer besteht ein interessanter Bezug zur Pharmazie. In der letzten Ausgabe der DAZ (Nr. 48) stellten wir biotechnologisch genutzte Mikroorganismen, Gas-bildende Backtriebmittel sowie Schokolade vor. Nun geht es weiter mit exotischen Gewürzen aus fernen Ländern, deren Bezeichnungen uns auf den ersten Blick durchaus verwirren können.

Die Nuss mit dem Moschusduft

Mithilfe der Muskatnuss lassen sich bekanntlich nicht nur delikate Gerichte zaubern, sondern auch Rauschzustände induzieren und man kann in andere Sphären schweben. Wann die Blüten und Samen des Muskatnussbaums (Myristica fragrans) erstmals verwendet wurden, ist nicht genau datiert. Fest steht, dass sie im 7. Jahrhundert v. Chr. von den indonesischen Gewürzinseln (Molukken) nach Indien und 400 Jahre später in die arabische Welt gelangten. Eingesetzt wurden sie als Allheilmittel und Räucherwerk, vor allem gegen Verdauungsbeschwerden, Nervenkrankheiten und Schmerzen. In der Ayurveda-Medizin gelten sie ferner als Lebens- und Liebeskraft-steigernd sowie als Kreislaufstimulans. Die „nach Moschus duftenden Nüsse“ mit einer Note von Pfefferminz und Bergamotte hatten jedoch seit jeher in allen Kulturen ihre kulinarische Bedeutung als äußerst kostbares Gewürz. Einen ähnlichen, aber milderen Geschmack als die Muskatnuss besitzt ihr getrockneter Samenmantel, der als Macis oder Muskatblüte bekannt ist und heutzutage noch eine Rolle als Zutat im Lebkuchengewürz (oder bei der Herstellung von bayerischen Weißwürsten) spielt.

„Wenn die Engel Plätzchen backen

und im Himmel Nüsse knacken,

weiß die ganze Welt Bescheid:

Weihnachten ist nicht mehr weit.“

Aus dem Lied: „Weihnachten ist nicht mehr weit“ (Autor unbekannt)

Bewusstseinserweiternde und gleichzeitig betäubende Eigenschaften wurden immer wieder beschrieben: Indische Schriften empfahlen Muskatnüsse im Rahmen einer aphrodisischen Rezeptur, tibetische Gelehrte sahen in ihnen bereits das psychoaktive Potenzial, und Hildegard von Bingen (1098 – 1179) verarbeitete sie in ihren „Nervenkeksen“, die bis heute vor allem in der Esoterikszene großen Zuspruch finden. Doch diese stellen kein ungefährliches Backvergnügen dar. Im Teig kommen etwa 45 g Muskatnüsse auf ein Kilo­gramm Mehl, und bereits der Konsum von 100 g kann mehrtägige Psychosen, Leberschädigungen und ausgeprägte anticholinerge Effekte (z. B. Harnverhalt, Bluthochdruck, Sehstörungen) nach sich ziehen [19].

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Eine „Nuss“, die man nicht knacken sondern reiben muss. Die Muskatnuss ist keine Frucht, sondern ein Samen. Ihr ebenfalls aromatischer Samenmantel heißt „Muskatblüte“. Falsche Begriffe machten die Gewürze noch geheimnisvoller.

Das ätherische Muskatöl wird als Geschmackskorrigens in Zahnpasten und oralen Arzneimitteldarreichungsformen verwendet. Auch soll es eine von sieben Essenzen in der Geheimrezeptur von Coca-Cola sein, die der US-amerikanische Apotheker John S. Pemberton (1831 – 1888) entwickelte. Im Öl sind neben Aromastoffen (v. a. Terpineole, Limonen, Sabinen, α- und β-Pinen) auch mindestens drei halluzinogen wirkende Phenylpropanoide enthalten, die eine antagonistische Aktivität gegenüber Monoaminoxidasen aufweisen (MAO-Hemmer) und dadurch die Konzentration von Neurotransmittern wie Dopamin und Serotonin im Zentralnervensystem erhöhen. Aus Safrol, Myristicin und Elemicin entstehen im Körper Amphetaminderivate wie das mit Mescalin verwandte TMA (3,4,5-Trimethoxyamphetamin) oder das unter dem Namen „Ecstasy“ bekannte MDMA (3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin).

Anfang des 20. Jahrhunderts gelang der Firma Merck die erste Synthese von MDMA (ursprüngliche Bezeichnung „Methylsafrylamin“) auf Grundlage der Muskatnussbestandteile, als man blutstillende und vasokonstriktorische Arzneistoffe entwickeln wollte [20]. Pharmakologische Tests und Selbstversuche beim Menschen wurden aber erst 50 Jahre später durchgeführt und protokolliert.

Die Bohne mit dem Vanille-Zimt-Aroma

Die Tonkabohne ist natürlich kein Gemüse, aber immerhin eine Leguminose (Familie Fabaceae): Sie ist der Samen des gleichnamigen tropischen Baumes (Dipteryx odorata). Der französische Apotheker Jean Baptiste Christophe Fusée Aublet (1720 – 1778) erwähnte sie erstmals, als er 1752 nach Mauritius geschickt wurde, um dort botanische Untersuchungen anzustellen und eine Apotheke zu gründen. Durch ihren vanilleartigen Geschmack eignen sich Tonkabohnen (auch „Mexikanische Vanille“ genannt) für Desserts und süßes Gebäck. Dazu werden sie entweder ausgekocht oder mit der Muskatreibe pulverisiert. Außerdem finden sie Verwendung als Räuchersubstanz und in der Parfümherstellung, weil sie eine unvergleichliche Duftkomposition aus Vanille, Rum, Heublumen und Zimt aufweisen. Ihre spanische Bezeichnung cumarú war namensgebend für den wichtigsten Inhaltsstoff, das Cumarin, welches im Jahr 1822 zum ersten Mal aus ihr isoliert wurde.

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Bohnen – und doch kein Gemüse: Tonkabohnen haben ein Aroma, zu dem das Cumarin einen wesentlichen Beitrag leistet. Wie beim Waldmeister gilt auch hier: nur eine kleine Dosis nehmen!

Die Wirkungen des Cumarins auf den menschlichen Organismus sind vielfältig und nur schwer einzuschätzen. Darüber hinaus repräsentieren Cumarin-Verbindungen eine Substanzklasse mit einer extrem großen chemischen Variabilität. Der Gehalt an glykosidisch gebundenem Cumarin in den Tonkabohnen kann zwischen zwei und zehn Prozent schwanken. Außerdem unterliegt Cumarin einer hepatischen Metabolisierung durch CYP2A6, welche individuell ausgeprägt ist und durch andere Liganden moduliert werden kann. In der volkstümlichen Medizin gilt Tonkabohnen­extrakt als stimmungsaufhellend, aphrodisierend, konzentrationsfördernd und beruhigend. Äußerlich angewendet hat er antimikrobielle, schmerzstillende und entkrampfende Eigenschaften.

Bei übermäßigem Konsum tritt eine hypnotische und halluzinogene Wirkung ein, weshalb die Tonkabohne in manchen Ländern als kostengünstige und legale Alternative zu Cannabis missbraucht wird. Negative Wirkungen wie Er­brechen, Kopfschmerzen und Schlafsucht sowie akute und chronische Vergiftungserscheinungen wie Atemstillstand, Leberversagen und die Entstehung von Tumoren werden toxikologisch sehr unterschiedlich bewertet. In den 1980er-Jahren waren Tonkabohnen in Deutschland sogar verboten, als man dies in Tiermodellen nachwies. Doch mittlerweile weiß man, dass ein Risiko nur in Ausnahmefällen vorliegt und die Ergebnisse sehr artspezifisch sind.

Während in den USA die Verwendung von Tonkabohnen nach wie vor untersagt ist, gibt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hierzulande eine tolerierbare Tagesdosis von 0,1 mg Cumarin pro kg Körpergewicht an [21] – eine Menge, die nur bei übermäßigem Verzehr in Kombination mit anderen cumarinhaltigen Lebensmitteln (in der Weihnachtszeit v. a. Zimtgebäck) erreicht werden kann. Blutverdünnend wirken Tonkabohnen übrigens nicht, wie fälschlicherweise oft angenommen wird. Hierzu fehlt dem Cumarin an Position 3 eine lipophile Seitenkette zur Verbesserung der Bioverfügbarkeit und an Position 4 eine OH-Gruppe für die antikoagulatorische Eigenschaft [22 – 23].

Mit Näglein besteckt

Das wohl bekannteste traditionelle Heilmittel, welches von Zahnärzten (und in der Selbstmedikation) eingesetzt wurde, sind die getrockneten Knospen des Gewürznelken-Baums (Syzygium aromaticum, Myrtaceae).Auch sie stammen von den Gewürzinseln in Indonesien und gelangten schon im Mittelalter auf den asiatischen Kontinent und nach Europa. Ob in China oder Deutschland: Ihre Trivialnamen erhielten sie stets in Anlehnung an das frühere Aussehen kleiner geschmiedeter Eisennägel (Näglein > Nelke). Es ist kurios, dass dieser Name dann sogar auf die in Südeuropa heimische Nelke (Dianthus caryophyllus) übertragen wurde, weil deren Blüten etwa den gleichen Duft wie Gewürznelken verströmen (und deshalb sogar als Gewürz verwendet wurden).

Eugenol, der lokalanästhetisch wirkende Hauptbestandteil des ätherischen Öls, setzt sich beim Zerbeißen und Lutschen der Gewürznelken frei und lindert Zahnschmerzen. Außerdem hat es desinfizierende und geruchsbindende Eigenschaften; ebenfalls enthaltene Gerbstoffe adstringieren die Schleimhaut, und der Cannabinoid-Rezeptoragonist β-Caryophyllen wirkt entzündungshemmend, weswegen sich verdünntes Nelkenöl als Mundwasser eignet. Innerlich angewendet fördert es die Verdauung und macht schwere (Festtags-)Speisen bekömmlicher. Neuere Untersuchungen stellen vor allem seine (im Vergleich zu anderen Küchenkräutern) ausgeprägte antioxidative Wirkung heraus [24]. Auch wurde ein positiver Insulin-ähnlicher Effekt auf den hepatischen Glucosemetabolismus beschrieben [25].

Größere Fleischgerichte wie Schweine- oder Wildbraten werden mit Gewürznelken genauso besteckt wie Zitrusfrüchte zu Zwecken der Dekoration (und früher auch zur Insektenabwehr). Gemahlene Gewürznelken verfeinern Soßen, Glühwein und Lebkuchen.

Übrigens verarbeiten die Indonesier ihre Gewürznelken seit dem 19. Jahrhundert zu Kretek-Zigaretten. Galten diese bei ihrer Einführung noch als vielversprechendes Asthma­mittel, werden sie aufgrund ihrer hohen Nicotin- und Teergehalte mittlerweile höchst kritisch betrachtet.

Pfefferkuchen ohne Pfeffer

Warum listen die modernen Rezepte für Pfefferkuchen oder Pfeffernüsse unter den Zutaten keinen Pfeffer auf? Hat sich unser Geschmack im Laufe der Zeit so geändert, dass man auf ihn verzichtet hat? Nein, das ist falsch, denn im Pfefferkuchen ist niemals Pfeffer drin gewesen. Pfeffer war früher das exotische Gewürz schlechthin, er dominierte mengenmäßig und wert­mäßig unter den kostbaren Importen. Deshalb fasste man umgangssprachlich alle Gewürze des tropischen Asien unter dem Begriff Pfeffer zusammen, und die Importeure, die mit dem Gewürzhandel reich wurden, nannte man verächtlich Pfeffersäcke.

Ein ähnlich umfassender Begriff ist Indien, das Land, wo der Pfeffer wächst (d. h.: auch die anderen Gewürze). Unter Indien verstanden die Europäer seit der Antike alle Länder, die am und jenseits des Indus liegen, insbesondere ganz Süd- und Südost­asien unter Einschluss der legendären Gewürzinseln. Als nach der Entdeckung Amerikas auch noch Westindien (d. h.: die Karibik) hinzukam, wurde der Begriff Indien noch unspezifischer.

Nelkenpfeffer – die Alternative aus der Karibik

Ein weiteres bekanntes Weihnachtsgewürz aus der Familie der Myrtengewächse ist der sogenannte Nelkenpfeffer oder Piment(Pimenta dioica), der durch Christoph Kolumbus (1451 – 1506) von den karibischen Inseln nach Europa gebracht wurde (daher früher „Jamaikapfeffer“). Seine Anwendungsgebiete in der Küche und Backstube sind mit den Gewürznelken vergleichbar. Als Heilmittel wurde früher das reine ätherische Öl sowohl innerlich bei Verdauungsbeschwerden als auch äußerlich bei rheumatischen Erkrankungen angewendet. Es ist ähnlich zusammengesetzt wie das der Gewürznelken, wirkt in reiner Form haut- und schleimhautreizend. Im Tiermodell war das vor allem im mexikanischen Piment enthaltene Methyleugenol karzinogen und erbgutverändernd [26].

Pfeffernüsse

Zutaten:

250 g Zucker; 3 Eier; 400 g Mehl; 50 g Zitronat; 1 EL Rum; 1 TL Zimt; 1 TL Nelkenpulver; je 1 Msp. gemahlenen Ingwer, Piment, Kardamom; ¼ TL Hirschhornsalz

für die Glasur: 200 g Puderzucker; 2 – 3 EL Zitronensaft

Zubereitung:

Die Zutaten zu einem Teig kneten, kleine Kugeln formen und bei 175 °C 15 – 20 Minuten backen. Den Puderzucker mit dem Zitronensaft verrühren und die gebackenen, abgekühlten Pfeffernüsse damit überziehen.

Kardamom und Koriander

Zwischen den Herkunftsregionen von Kardamom und Koriander liegen an die 5000 km, doch ihre Anwendungsgebiete in der traditionellen Pflanzenheilkunde sind nahezu deckungsgleich: Sie wirken krampflösend und beruhigend auf den Magen-Darm-Trakt, regen den Appetit an und bringen die Verdauung in Schwung. Die dafür verantwortlichen Inhaltsstoffe befinden sich größtenteils im sehr flüchtigen und lichtempfindlichen ätherischen Öl beider Pflanzen. Es besteht aus zahlreichen Monoterpenen wie Terpinen, Pinen, Limonen oder 1,8-Cineol, die äußerlich angewendet auch antimikrobiell und entzündungshemmend wirken [27 – 28].

Offizineller Malabar-Kardamom (Elettaria cardamomum

var. minor) stammt von der gleichnamigen Küste Westindiens, gehört zu den Ingwergewächsen (Zingiberaceae) und liefert Kapselfrüchte, deren Samen daraus von Hand befreit werden müssen. Der zerriebene Samen findet als Gewürz in vielen Küchen der Welt Verwendung: Er ist fester Bestandteil bei indischen Masala-Gerichten, dient als Zugabe für arabische Kaffeespezialitäten und hat in Mitteleuropa seit jeher seine Bedeutung als weihnachtliches Gewürz in Lebkuchen, Spekulatius und Glühwein.

Kardamom-Schokoladenkuchen

Zutaten:

100 g geschmolzene Schokolade; 100 g Butter; 135 g flüssiger Honig; 3 Eier; 1 Prise Salz; 125 g Mehl; 200 g gemahlene Mandeln; 1 – 2 gestr. TL Back­pulver; 1 gestr. TL Kardamom; ½ TL Zimt; 50 ml lauwarme Milch

Zubereitung:

Eier trennen, Eiweiß mit Salz steif schlagen, Butter mit Honig und Eigelb cremig rühren. Mehl, Backpulver und Milch in die Eigelbmasse rühren, anschließend die flüssige Schokolade. Mandeln und Kardamom zugeben, zum Schluss das Eiweiß unterheben. In einer Kastenform bei 170 °C circa 40 Minuten backen.

Die Früchte und das Kraut des Doldenblütlers Koriander (Coriandrum sativum) wurden dagegen bereits in Jahrtausende alten Kochrezepten vieler Länder rund um das Mittelmeer genannt. Charakteristisch ist der seifige Geschmack der Blätter (aufgrund langkettiger Aldehyde wie Dodecanal), der bei übermäßigem Verzehr zu Erbrechen führen kann. Isoliertes Dodecanal wirkt in Laborversuchen gegenüber Salmonellen stärker antibiotisch als Gentamicin [29]. |

Fortsetzung folgt in DAZ Nr. 50.

Autor

Dr. rer. nat. Armin Edalat, 2010 Approbation als Apotheker, Studium der Pharmazie und Promotion im Bereich Pharmakologie an den Universitäten Bonn, Tübingen und Münster. Seit 2014 Filialleiter der Schönbuch Apotheke Holzgerlingen.

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