Die Seite 3

Über den Sinn von Preisbindungen

Peter Ditzel, Herausgeber der DAZ

Das Apotheken-Beben, das der Europäische Gerichtshof verursachte, indem er entschied, die deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstoße gegen EU-Recht, ist noch lange nicht abgeklungen. Im Gegenteil, die Tsunami-Wellen könnten erst noch kommen. Für (Gesundheits-)Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten bedeuten freie Preise bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nämlich vor allem mehr Wettbewerb, sinkende Arzneimittelpreise, „das Ende alter Zöpfe“ – davon gehen sie zumindest aus. Außerdem: Eine Preisbindung passe nicht zur freien Marktwirtschaft und im Prinzip funktioniere es auf den Märkten doch immer nach diesem Muster, wenn anfangs regulierte Preise freigegeben werden – so die Argumente der Ökonomie.

Die Wirtschaftswissenschaftler verstehen mit Sicherheit viel von Ökonomie und Märkten – aber sichtlich nichts vom Arzneimittelmarkt. Er ist kein Markt wie jeder andere, schon gar nicht der Markt mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Da ist einer (der Arzt), der mir (als Patienten) sagt, welche Ware (das verordnete Arzneimittel) ich im Geschäft vom Händler (dem Apotheker in der Apotheke) bekommen soll, eine Ware, die ein Dritter (die Krankenkasse) bezahlt. Würde man dieses Schema überspitzt auf den Automarkt übertragen, wird die Unvergleichbarkeit der Märkte deutlich: Ein Dobrindt-Mitarbeiter sagt mir, welches Auto das richtige für mich ist und ich fahren darf, um von A nach B zu kommen; bezahlt würde es dann von meiner Kfz-Versicherung unter Anwendung zahlreicher Rabatte. Ziemlich absurd, oder?

Aber es gibt Ökonomen, die anders ticken, die sehr wohl diese Unterschiede der Märkte kennen. Der Gesundheitsökonom Professor Uwe May beispielsweise warnt davor, die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aufzuweichen. Im DAZ-Interview erklärt er, warum die Preisbindung für den Erhalt der flächendeckenden Versorgung mit Apotheken unerlässlich ist. Für ihn wird das Argument der Ökonomie missbraucht, wenn der Begriff „ökonomisch“ gleichgesetzt wird mit Preiswettbewerb. Wenn man davon ausgeht, dass eine Preisbindung nicht zur freien Marktwirtschaft passe und daher die Preisbindung abgeschafft werden müsse, so May, sei das ökonomisch nicht richtig. Denn die Volkswirtschaftslehre unterscheidet sehr wohl, ob ein Markt überhaupt funktionieren kann oder nicht. May erklärt, warum auf dem Apothekenmarkt ein Marktversagen vorliegt. Der wichtigste Unterschied: Die Apotheke ist ein öffentliches Gut, man kann andere nicht von der Nutzung ausschließen. Im Gegensatz zu einem privaten Gut: Hier kann man anderen durchaus untersagen, es zu nutzen. Um beim Autobeispiel zu bleiben: Ich kann Leuten verbieten, mein Auto, mein privates Gut, zu benutzen, aber nicht ein öffentliches Gut, beispielsweise die Straßenbahn. Für einen definierten, festen Preis muss sie die Personen, die ein Ticket gekauft haben, transportieren.

Die Arzneimittelversorgung, das Apothekenwesen erfüllt alle Charakteristika eines öffentlichen Guts. Der Einzelne will das öffentliche Gut nutzen, für die Bereitstellung aber nicht bezahlen. Daher ist es nicht unökonomisch, wenn der Staat eingreift, beispielsweise durch eine Preis­regulierung, so May. Er kommt zu dem Schluss, dass die Preisbindung bei Arzneimitteln ein guter Weg ist, die Apothekeninfrastruktur sicherzustellen. Denn: sie funktioniert!

Peter Ditzel

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