Feuilleton

In der Weihnachtsbäckerei

24 Gewürze und Backzutaten pharmazeutisch betrachtet, 1. Teil

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Von Armin Edalat | Die Adventszeit ist für viele Menschen bekanntlich nicht nur eine Phase der Besinnung und des Zur-Ruhe-Kommens: Weihnachtsgeschenke müssen eingekauft, Festtage mit der Familie vorbereitet und möglichst viele köstliche Plätzchen produziert werden. Gerade bei den vorweihnachtlichen Koch- und Backvorhaben kann die Apotheke eine wichtige Anlaufstelle sein, wenn bestimmte Salze, Gewürzmischungen oder andere Naturprodukte in den Rezepten vorgegeben sind. Es lohnt sich also, das Sortiment einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Genuss und Gesundheit liegen häufig näher beieinander, als wir es wahrhaben wollen. Dies gilt für den regelmäßigen Konsum der Genussdrogen genauso wie für die übermäßige Völlerei, die schließlich zu Übergewicht und Stoffwechselstörungen führen kann.

Genuss trifft Gesundheit

Der Genuss von Backwaren ist für uns heutzutage eine alltägliche Selbstverständlichkeit. Kaum zu glauben, dass diese Grundnahrungsmittel vor etwas mehr als 100 Jahren in Deutschland knapp wurden, weil bedeutende Rohstoffe wie Mehl oder Hefe nicht immer in ausreichender Menge verfügbar waren. Es waren findige Heilberufler und Naturwissenschaftler, die mit ihren chemischen Backtriebmitteln das Handwerk in den Backstuben revolutionierten und die Versorgung der Bevölkerung mit Brot garantierten. Ein historisches und ganz sicher nicht gewöhnliches Zusammentreffen von Genuss und Gesundheit.

Apotheker, Chemiker und Mediziner hatten in den letzten Jahrhunderten auch die Aufgabe, die Welle an importierten Gewürzen von anderen Kontinenten zu untersuchen und zu bewerten. Brote, Kuchen und Plätzchen wurden nämlich erst durch Zimt, Muskatnuss und Safran zu einem Genuss. Schon damals glaubten unsere Vorfahren, was wir heute wissen, nämlich dass diese Zutaten unsere Gesundheit beeinflussen können. Daher ist es nicht immer einfach, gemäß den geltenden Gesetzen zwischen einem Genuss- und Arzneimittel zu unterscheiden. Seit der Antike bis ins 19. Jahrhundert waren hier die Übergänge fließend, wie auch die traditionell große Rolle der Diät in der Medizin zeigt. So wurden Pflanzen aus dem Mittelmeerraum wie Anis oder Koriander seit jeher sowohl für kulinarische als auch therapeutische Zwecke großzügig eingesetzt.

Mehr als „sieben Sachen“

Die sinngemäße Ankunft im Advent bezieht sich somit auch auf den Einzug exotischer Gewürze in die abendländischen Küchen. Und viele Vertreter stammen, wie auch die Weihnachtsgeschichte selbst, aus dem Nahen und Mittleren Osten.

Hier und in den drei folgenden vorweihnachtlichen Aus­gaben der DAZ werden 24 Backzutaten vorgestellt, die alle ihren Bezug zur Pharmazie haben.

Triebmittel lockern den Teig

Nicht nur für guten Kuchen, sondern für das erfolgreiche Gelingen eines jeden Backerzeugnisses braucht es das passende Triebmittel. Man unterscheidet zwischen physikalischer, biologischer und chemischer Lockerung. Allen gemeinsam ist, dass sie den Teig durch Bildung und Einlagerung von Gasen aufgehen lassen und damit essbar machen sollen. Andernfalls würden sich im Inneren des Gebäcks keine Poren bilden, und es wäre nur schwer kau- und verdaubar.

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Der Teig entscheidet über die Güte des Produktes.

Bei der physikalischen Lockerung, die im Prinzip bei allen Backmethoden auftritt, verdampft das im Teig enthaltene Wasser und lockert ihn auf. Dieser Prozess lässt sich durch das Einarbeiten von Luft, kohlensäurehaltigem Wasser oder Fettschichten wie beim Blätterteig verstärken.

Nützliche Mikroorganismen

Die Zuhilfenahme von Mikroorganismen wie Hefepilzen undMilchsäurebakterien bei der Lebensmittelherstellung wurde bereits im Altertum praktiziert. Wahrscheinlich beherrschten die Sumerer in Mesopotamien als erste die Kunst des Brotbackens und Bierbrauens, gefolgt von den Ägyptern, Phöniziern, Israeliten, Griechen und schließlich den Römern. In einem Sauerteig arbeiten Saccharomyces cerevisiae, der „Zuckerpilz des Bieres“, mit den Milchsäurebakterien Hand in Hand: Langkettige Stärkemoleküle werden durch Amylasen aus der Aleuronschicht des Getreidekorns zum Disaccharid Maltose abgebaut, welches von den Hefezellen zu Ethanol und treibendem Kohlendioxid vergoren wird. Im Backvorgang entstehen dann aus dem Alkohol und den im Teig vorhandenen Säuren verschiedene Ester, die für den Geschmack des Gebäcks verantwortlich sind.

Milchsäurebakterien (Laktobazillen), die auch zur Haltbar­machung von Gemüse eingesetzt wurden („Einsäuerung“), haben im Teig die Aufgabe, durch den Abbau von Kohlen­hydraten Kohlendioxid zu bilden. Außerdem spielt dabei die Bildung von Milch- und Essigsäure eine Rolle: Die Erniedrigung des pH-Wertes ist vor allem beim Roggenmehl notwendig, damit nicht zu viel Stärke durch Amylasen abgebaut wird, sondern verkleistert und das Gebäck aufgehen lässt [1].

Saccharomyces- und Lactobacillus-Arten verwendet man also schon seit Jahrtausenden zur biotechnologischen Herstellung von Genussmitteln, und seitdem wir den Einfluss des Mikrobioms auf unsere Gesundheit zu verstehen beginnen, nutzen wir sie auch therapeutisch. Gegen Durchfall oder bei Hautbeschwerden wie Akne soll Saccharomyces cerevisiae (oder S. boulardii) als Probiotikum helfen. Innerlich angewendet besiedelt der Hefepilz die Magen-Darm-Schleimhaut und dichtet sie ab, bindet humanpathogene Keime, spaltet Bakterientoxine und induziert die Sekretion von Immunglobulinen [2].

Bei einer bakteriellen Infektion der Vaginalschleimhaut erhöht sich meistens ihr pH-Wert, und so gibt es seit Kurzem Teststäbchen zur Selbstdiagnose [3]. Die lokale Anwendung von Milchsäure oder Milchsäure-bildenden Bakterien (Döderlein-Bakterien) kann das saure Milieu wiederherstellen und die Scheidenflora unempfindlicher machen. Doch vor der Besiedlung mit einem Pilz kann ein niedriger pH-Wert allein nicht schützen – wie das Beispiel des Sauerteigs zeigt.

Gasbildende Chemikalien

In Rezepten für weihnachtliches Gebäck finden sich mit Pottasche und Hirschhornsalz auch Alternativen zur biologischen Lockerung – für schlechte Zeiten ohne Hefe oder ganz besondere Backvorhaben. Das Wort „Pottasche“ wurde bis vor etwa 50 Jahren für alle Kaliumverbindungen verwendet, die man aus Pflanzen- und Holzasche in großen „Pötten“ auslaugte (daher engl. potassium) [4]. Seither bedeutet es Kaliumcarbonat, das geschmacksneutral und ohne gesundheitliche Vor- oder Nachteile, also inert ist. In der qualitativen anorganischen Analyse dient es im eutektischen Gemisch zusammen mit Soda (Natriumcarbonat) zum alkalischen Aufschluss ansonsten unlöslicher Salze und Oxide. Als Backtriebmittel lässt es auch schweren Teig auf­gehen, jedoch eher in die Breite als in die Höhe. Eine Eigenschaft, die vor allem für Lebkuchen und flache Plätzchen ausgenutzt wird. Die im Teig vorhandenen Säuren, wie Milchsäure, Essigsäure oder Ameisensäure aus dem Honig, setzen dann das Kohlendioxid zum Auflockern frei.

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Früher ein wichtiger Rohstoff, um durch trockene Destillation Hirschhornsalz zu gewinnen.

Beim Hirschhornsalz handelt es sich um ein Gemisch von drei Ammoniumsalzen, nämlich dem Carbonat, dem Hydrogencarbonat sowie dem Carbamat. Ammoniumhydrogen­carbonat allein wird auch als ABC-Trieb bezeichnet (von „Ammonium-bi-carbonat“). Ursprünglich gewann man diese Verbindungen bei der Pyrolyse von tierischen Hörnern, Hufen und Klauen. Unter Hitzeeinwirkung zersetzen sich alle drei Salze zu Ammoniak, Kohlendioxid und Wasserdampf und lockern dadurch das Flachgebäck auf [5]. Falls der Salmiak-Geschmack nicht erwünscht ist, muss das Ammoniak komplett ausgetrieben werden. Doch Spekulatius, Lebkuchen und anderes Weihnachtsgebäck erhalten hierdurch erst ihre typische Würze. Leider kann beim Backen das als krebserregend eingestufte Acrylamid entstehen [6]. Hirschhornsalz sollte also nur selten und dann in Maßen eingesetzt werden. Gewarnt sei vor dem Verzehr von unverarbeitetem Hirschhornsalz, da sich dann im Körper Ammoniak bildet.

Erfindung und Verbesserung des Backpulvers

Justus von Liebig (1803 – 1873), der seine Apothekerlehre abbrechen musste, nachdem er bei der Herstellung von Silberfulminat („Knallsilber“) den Dachstuhl seines Ausbildungsbetriebs in Brand gesetzt hatte, beschäftigte sich am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere intensiv mit der Chemie des Backens. Für ihn stand fest, dass bei der Vergärung von Hefe viel zu große Mengen an Mehl verbraucht wurden. Ein unhaltbarer Zustand – galt die Knappheit von Brot in jenen Jahren doch als Auslöser von Hungersnöten und Revolutionen. Liebig rechnete vor, dass die für die Hefegärung benötigte Menge an zusätzlichem Mehl ausreichen würde, um jeden Tag weitere 400.000 Menschen in Deutschland mit Brot zu versorgen [7].

Liebig fand in Natron (Natriumhydrogencarbonat) eine chemische Alternative zur Hefe, mit der er unter Zugabe von Salzsäure Kohlendioxid freisetzen konnte. Statt Salzsäure wurde im ersten, 1853 zur Marktreife entwickelten „Backpulver“ der sauer reagierende Weinstein (Kaliumhydrogen­tartrat) eingesetzt; weiterhin wurde Stärke zugesetzt, um die Mischungen zu standardisieren und die Reaktionspartner bei der Lagerung voneinander zu trennen [8].

Der Bielefelder Bäckersohn und Apotheker August Oetker (1862 – 1918) verbesserte das Triebmittel nochmals: Neben Natron als Kohlensäureträger und Stärke als Trennmittel fügte er seiner Mischung das saure Natriumpyrophosphat (Dinatriumdihydrogendiphosphat) hinzu, das den größten Teil des Kohlendioxids erst beim Erhitzen der Teigmasse freisetzt. Da das Triebmittel im kühlen Teig nicht aktiv ist. bestand erstmals die Möglichkeit, zwischen der Vorbereitung und der Herstellung der Backwaren eine zeitliche und räumliche Trennung zu schaffen.

Der eigentliche Durchbruch gelang Oetker um die Jahrhundertwende, als er sein Backin in vorportionierten Beutelchen à 16 g, abgestimmt auf die haushaltsübliche Menge von 500 g Mehl, auf den Markt brachte [9].

Pharmakologie der Schokolade

Bis ins 19. Jahrhundert waren die meisten Schokoladen­erzeugnisse apothekenpflichtig. Kein Wunder, galten sie doch als Stärkungs- und Aufputschmittel [10]. Viele bekannte und weniger bekannte Naturwissenschaftler leisteten Beiträge zur Untersuchung des Samens vom Kakaobaum (Theobroma cacao), dessen Gattungsname „Götterspeise“ bedeutet. So isolierte der ansonsten unbekannte russische Chemiker Alexander Woskresensky (1809 – 1880) erstmals den in pharmakologischer Hinsicht wesentlichen Inhaltsstoff des Kakaos und bezeichnete ihn als Theobromin. Adolph Strecker (1822 – 1871, „Strecker-Synthese“) konnte den Zusammenhang zwischen den Purinalkaloiden Coffein, Theophyllin und Theobromin herstellen. Der Stereochemiker und Nobelpreisträger Emil Fischer (1852 – 1919, „Fischer-Projektion“) untersuchte die Molekülstruktur und lieferte schließlich die erste Synthese [11].

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Die Früchte des Kakaobaums wachsen direkt am Stamm und an den großen Ästen.

Theobromin wirkt stärker diuretisch als die damals verwendeten pflanzlichen Aquaretika und hat darüber hinaus einen Gefäß-erweiternden und positiv inotropen Effekt, weswegen es sich zur Behandlung der Herzinsuffizienz eignete. Da es die glatte Bronchialmuskulatur relaxiert und die Schleimsekretion fördert, wurde es ferner zur Asthmatherapie eingesetzt. Es besitzt sogar eine antitussive Wirkung, die stärker ausgeprägt sein soll als die von Dihydrocodein [12]. Zudem wirkt es euphorisierend und leicht anregend.

Heute wissen wir, dass für die positiven Effekte der Schokolade viele weitere Verbindungen mitverantwortlich sind: Polyphenole wirken antioxidativ, senken den Blutdruck und schützen vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Phytosterole beeinflussen den Cholesterinspiegel positiv, und der Cannabinoid-Rezeptoragonist Anandamid sowie Vorläufer verschiedener Neurotransmitter und biogener Amine wirken stimmungsaufhellend und verbessern die Gedächtnisleistung [13 – 15].

Doch gehört die Schokolade deshalb wieder in die Apotheke? Als Grundlage für Zäpfchen und andere halbfeste Arzneiformen ist das Kakaofett („Kakaobutter“) jedenfalls durch besser geeignete Hilfsstoffe ersetzt worden. Problematisch sind nämlich seine fehlende Volumenkontraktion beim Erkalten, eine ungünstige Polymorphie sowie das nur gering ausgeprägte Aufnahmevermögen von Wasser und wasserlöslichen Stoffen [16]. In ihrer Funktion als Geschmackskorrigens und Complianceförderer – vor allem in der Pädiatrie – könnte Schokolade durchaus wieder an Bedeutung gewinnen [17]. Und seit einigen Jahren versucht ein Hersteller, mit seiner Chondroitin-haltigen „Gelenkschokolade“ den Markt der Nahrungsergänzungsmittel zu erobern. Ironischerweise wäre es jedoch vielmehr angebracht, dass die Zielgruppe auf das ein oder andere Täfelchen verzichten würde, um das Übergewicht und den nachfolgenden Gelenkverschleiß zu vermeiden [18]. Denn Schokolade – egal, ob weiße, braune oder dunkle – ist ein kalorienreiches Genussmittel (100 g haben 500 bis 550 kcal) und eignet sich eher für besondere Anlässe als für die Pharmakotherapie. |

Fortsetzung folgt in DAZ Nr. 49.

Autor

Dr. rer. nat. Armin Edalat, 2010 Approbation als Apotheker, Studium der Pharmazie und Promotion im Bereich Pharmakologie an den Universitäten Bonn, Tübingen und Münster. Seit 2014 Filialleiter der Schönbuch Apotheke Holzgerlingen.

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