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Die Grünen auf der Suche nach Lösungen

Experten diskutieren die Folgen des EuGH-Urteils für die Arzneimittelversorgung

BERLIN (ks/bro) | „Konsequenzen aus dem EuGH-Urteil für die Arzneimittelversorgung“ – so lautete der Titel eines Fachgesprächs, zu dem die Grünen-Bundestagsfrak­tion am 28. November Experten und interessierte Zuhörer in den Bundestag geladen hatte. Unter anderem ABDA-Präsident Friedemann Schmidt und DocMorris-Vorstand Max Müller waren zur Diskussion gekommen. Eine seltene Zusammenkunft, die nach außen erstaunlich harmonisch verlief.
Foto: DAZ/ks
Seite an Seite wurden ABDA-Präsident Friedemann Schmidt (2. v. r) und DocMorris-Vorstand Max Müller (re.) bei einem Fachgespräch platziert, zu dem die Grünen-Bundestagsfraktion Ende November geladen hatte.Zu (vielleicht erhofften) verbalen Ausschreitungen kam es nicht – auch wenn sich die beiden natürlich nicht auf eine Position in puncto EuGH-Urteil verständigen konnten. Auf dem Podium weiter zu sehen (v. l.): Dr. Klaus Holthoff-Frank (Monopolkommission), Prof. Dr. Reinhard Busse (TU Berlin) sowie die Grünen-Politikerinnen Katja Dörner und Kordula Schulz-Asche.

Mag es in einzelnen Bundesländern auch anders aussehen: Die Grünen im Bundestag halten wenig von der Forderung, nach dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu verbieten. Doch auch ihnen ist klar, dass es keine Option ist, jetzt die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten. Was möglich und wünschenswert ist, ­sollte daher beim Fachgespräch ausgelotet werden. Der Saal war bis zum letzten Platz besetzt, auch viele Apotheker waren gekommen – Landapotheker ebenso wie Versand­apotheker.

Apothekenvergütung im Fokus

Den „fachlichen Input“ für die spätere Diskussion lieferten Prof. Dr. Reinhard Busse, Mediziner und Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen der Technischen Universität Berlin, und der Generalsekretär der Monopolkommission, Dr. Klaus Holthoff-Frank. Busse warf unter anderem einen Blick auf Apothekenvergütungsmodelle anderer EU-Länder. Sein Fazit: Der Trend geht dahin, den Apotheker nicht nur für die Abgabe von Arzneimitteln zu bezahlen sondern auch für andere Leistungen, insbesondere die Beratung, aber auch für die Ansiedlung, etwa in ländlichen Gegenden.

Monopolkommission: Zweite Chance für „Service-Pauschale“?

Holthoff-Frank wiederum beleuchtete die für die deutschen Apotheken heute entscheidenden Wettbewerbsparameter. Das ist an erster Stelle der Standort: Apotheken sind entweder an Plätzen mit viel Laufkundschaft, etwa in Fußgängerzonen, oder dort, wo Ärzte ansässig sind und Rezepte fließen. Keine Rolle spiele hingegen der Preis – jedenfalls wenn es um verschreibungspflichtige Arzneimittel geht. Es gebe hier auch keine Preissensibilität bei den Patienten, stellte Holthoff-Frank offenbar eher bedauernd fest. Das würde er gerne ändern. Und die passende Idee hat die Monopolkommission seines Erachtens schon in ihren Gutachten der Jahre 2006 und 2010 vorgelegt. Ein „sanfter Preiswettbewerb“ wurde seinerzeit propagiert. Die Politik winkte ab, doch mit der nach dem EuGH-Urteil veränderten Rechtslage sieht Holthoff-Frank neue Chancen für das Modell. Sein Ansatz: Die Krankenkassen sollen den Apotheken nur noch den Großhandelseinkaufspreis erstatten. Zuzahlungen und das bisherige Packungshonorar sollen wegfallen. Stattdessen sollen Apotheken sodann selbst bestimmen, welche „Service-Pauschale“ sie vom Kunden verlangen. Sie könnte zwischen null und zehn Euro liegen und damit im Bereich der heutigen Zuzahlungen. Diese Obergrenze würde die Monopolkommission dabei akzeptieren – damit Kunden in Not nicht ausgebeutet werden, etwa wenn eine Apotheke im Nachtdienst eine Monopolstellung einnehme, wie Holthoff-Frank betonte. Auch für die Apotheken sei ein solches Modell gut, meint er. Zum einen bliebe der Anreiz für Qualitätswettbewerb: Wer gut berate, könne auch eine höhere Pauschale nehmen. Ebenso könnten Apotheken in länd­lichen Regionen höhere Pauschalen nehmen.

Traumpaar Schmidt-Müller?

Es folgte die Diskussion, an der neben den „Input-Referenten“ sowie Friedemann Schmidt und Max Müller auch der Verbraucherschützer Kai-Helge Vogel teilnahm. Die Moderation übernahm die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche. Sie sprach von Schmidt und Müller als „Traumpaar“ – doch trotz äußerlicher Harmonie zeigte sich rasch, dass der ABDA-Präsident und der DocMorris-Vorstand inhaltlich noch immer meilenweit auseinanderliegen.

Schmidt stellte in seinem Eingangsstatement klar: Die ABDA fordert schnellstmöglich das Rx-Versandverbot. Wenn dieses gelte, könne man sich an eine umfassendere Reform des Apothekenhonorars machen. Denn eine solche wünscht sich auch Schmidt – dies war übrigens der einzige Punkt, in dem sich alle Diskutanten einig waren. Pharmazeutische Dienstleistungen müssten honoriert werden, allerdings zusätzlich zum Fixhonorar, erklärte der ABDA-Präsident. Darüber hinaus ging es Schmidt vor allem um den einheitlichen Apothekenabgabepreis, der nun mit dem EuGH-Urteil ein gutes Stück verloren ist. Er verteidigte die Rx-Preisbindung mit Vehemenz: Arzneimittel seien ein besonderes Produkt und bedürften daher eines besonderen Schutzes. Patienten sollten keine Wirtschaftlichkeitsentscheidungen treffen, sondern eine Vertrauensentscheidung. Aber auch Apotheker sollten sich nicht von der Wirtschaftlichkeit leiten lassen: Denn dann könne es dazu kommen, dass sie Patienten unterschiedlich behandeln, weil sie wirtschaftlich unterschiedlich lukrativ sind. „Die Pauschale verhindert Selektion“, sagte der ABDA-Präsident. Nicht zuletzt sollte auch den Kassen an der Preisbindung gelegen sein, weil das gesamte GKV-Arzneimittelsystem mit allen verbundenen Einsparungen der Kassen auf dem einheitlichen Preis beruhe.

Mehr Offenheit für neue Versorgungsformen

Müller verlagerte die Diskussion sodann zur gesamtgesellschaftlichen Problematik, der drohenden Unterversorgung auf dem Land. Er warb dafür, dass DocMorris und die Apotheker gemeinsam nach einer Lösung suchen, um die Versorgungsstruktur zu verbessern. Für Müller steht allerdings fest: Der Verbraucher müsse entscheiden dürfen, ob er in die Apotheke gehe oder bei DocMorris bestelle. Müller übte außerdem heftige Kritik am derzeitigen System der Apothekervergütung. „Es ist egal wie hoch das Apothekenhonorar ist, wenn kein Arzt am Ort ist.“ Vor einem Rx-Versandhandelsverbot warnte er. Es gebe keinen kausalen Zusammenhang zwischen schließenden Apotheken und dem Versandhandel. Die Versandapotheken seien vielmehr eine Ergänzung. Die Politik müsse anfangen, über neue Versorgungsformen zu diskutieren, die zum Ziel haben, strukturelle Gefälle bei der Versorgung auszugleichen. Für Müller könnte die Höchstpreis-Regelung eine Möglichkeit sein, mit dem EuGH-Urteil umzugehen: „Mit Höchstpreisen sind Verbraucher nicht überfordert, weil ja der derzeitige Preis der höchste von Apotheken verlangte Preis sein kann. Apotheker könnten dann niedrigere Preise verlangen, müssen sie aber nicht.“

Dem folgte ein kleiner Streit zwischen Müller und Schmidt: Der ­ABDA-Präsident sagte, dass Müller einen sehr kooperativen Eindruck erwecke. Eine Kooperation mit DocMorris komme aber für die Apotheker nicht infrage, weil sich DocMorris nicht an Regeln halten könne. „Sie haben dieses Urteil erzwungen und Ihre ständigen Regelverstöße sind nicht mehr zu ertragen. Kooperieren geht nur mit Regeln.“ Müller stellte im Gegenzug klar, dass sich DocMorris nichts vorzuwerfen habe. „Wir haben die gleichen Einkaufskonditionen, wir haben auch keinen Umsatzsteuer­vorteil.“

Die „eine“ Lösung gab es am Ende nicht. Professor Busse brachte noch die Idee ins Spiel, unterschiedliche Rezepte einzuführen: Eines für Wiederholungsverordnungen für Chroniker und eines für Verordnungen, bei denen die Beratung des Apothekers notwendig ist. Für Letztere soll der Apotheker ein zusätzliches Beratungshonorar abrechnen können. Schmidt lehnte auch dies ab. Er bezweifelte, dass man Beratungsfälle von Nicht-Beratungsfällen trennen könne. Verbraucherschützer Vogel schlug vor, die Rx-Boni zwingend an die Zuzahlung zu binden. Gebe es eine Zuzahlung, könnten die Verbraucher von Boni profitieren, sagte er. Aber auch das ist für Schmidt keine Option. |

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