Aus den Ländern

Eigene Kampagne „Ick bün all dor“

Apothekenleiter in Schleswig-Holstein reagieren auf EuGH-Urteil

KIEL (tmb) | In der Mitgliederversammlung des Apothekerverbands Schleswig-Holstein am 19. November in Kiel ging es fast nur um die Reaktion auf das EuGH-Urteil. Die Apotheker wollen mit einer Kampagne verdeutlichen, dass der Versand von Arzneimitteln überflüssig ist, weil die Vor-Ort-Apotheken die Bevölkerung umfassend versorgen.

Der Verbandsvorsitzende Dr. Peter ­Froese betonte, das EuGH-Urteil sei ­völlig überraschend gewesen. Denn die gesamte Rechtsprechung der vorigen Jahre habe die Vorfahrt des nach dem Vertrag von Lissabon geltenden Subsidiaritätsprinzips bei der Gesundheitsversorgung bestätigt. Doch „wie mit einem Dampfhammer wird nun die menschenschützende nationale Souveränität in Gesundheitsfragen zerschlagen und eine brutale gewinnorientierte und ­kapitalgetriebene Umsetzung des Binnenmarktes an das Ruder gesetzt“, erklärte Froese. Er fürchtet, die EU-Kommission werde hier nicht Halt machen, sondern auch versuchen, Dienstleistungen zu deregulieren, und dabei blind dem freien Binnenmarkt folgen.

Foto: DAZ/tmb
Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein.

Froese warnte: „Läuft erst einmal die Walze Preiswettbewerb bei Rx an, wird sie wie ein Steinbrecher einen Betrieb nach dem anderen knacken, erst langsam und dann immer schneller.“ Sie werde nicht steuerbar sein und Sinnvolles überstrahlen. Froese fürchtet: „Als erstes wird sie den strukturellen Verbraucherschutz knacken.“ Sie werde die Struktursicherheit unfinanzierbar machen. Diese Botschaft sei bei den ­Politikern angekommen. Darum sollte das Ziel der Apotheker nun sein, die Ausnahme vom Verbringungsverbot für Arzneimittel nach § 73 AMG zu modifizieren. Froese mahnte, die Logik dieser Vorschrift genau zu beachten. Der Versand sei eine Ausnahme vom generellen Verbringungsverbot, und diese Ausnahme sollte neu gestaltet werden. Sie solle „mit Regeln versehen werden, die von den Menschen verstanden werden, weil sie ihrem Schutz dienen“, sagte Froese. Warum solle Insulin durch die Sommerhitze reisen, ein Asthmaspray im Päckchen hin- und hergeschlagen werden und ein Benzodiazepin bei spielenden Kindern im Hausflur abgelegt werden, fragte Froese rhetorisch. Deutschland solle sich dieses hohe Niveau der Arzneimittelsicherheit leisten, zumal es keine zusätzlichen Kosten hervorrufe. Daher sollte neu definiert werden, bei welchen Arzneistoffen der Versand sicher erscheint. Außerdem sei zu bedenken, dass der Versand viel länger als die Versorgung vor Ort dauere.

Der EuGH habe in seinem Urteil ausgeführt, dass die traditionelle Apotheke qualitative Vorteile gegenüber dem Versand biete. Froese folgerte, die Apotheker sollten als zentrale Botschaft vermitteln: „Es gibt keinen Bedarf für Rx-Versand.“ Die Politiker wollten ein Problem lösen, das nicht existiert. Denn noch seien die Apotheken flächendeckend vertreten. Dies wollen die Apotheker in Schleswig-Holstein nun mit einer Kampagne vermitteln, die an die Fabel vom Hasen und vom Igel anknüpft. Der Igel verkörpert dabei die Vor-Ort-Apotheke, die stets schon da ist – auf Plattdeutsch: „Ick bün all dor“. Aus Apotheken sollten Postkarten mit dem Kampagnenmotiv an Politiker geschickt werden, in denen über reale Versorgungsprobleme berichtet wird, die nur persönlich vor Ort gelöst werden konnten. Gefragt seien reale Fälle wie in einem „Reality-TV aus der Apotheke“.

Als weiteres Argument zum Urteil betonte Froese, es gehe hier um den Re­import von Arzneimitteln, die für den Verkehr in Deutschland gekennzeichnet sind. Daher stelle sich die Frage, ob ­dieser Vorgang überhaupt nach den Regeln des Binnenmarktes zu bewerten sei. In der Diskussion wurde insbesondere deutlich, dass schnell auf das Urteil reagiert werden muss. Ulrich Ströh erklärte, er fürchte sich vor dem ersten Kollegen, der die Nerven verliert.

Verbandsgeschäftsführer Dr. Thomas Friedrich bezeichnete das Urteil als „schallende Ohrfeige für den deutschen Staat und sein Recht“, die auch die Politiker brüskiere und damit zum Handeln treibe. Das größte Problem sieht er darin, dass im Versandhandel dieselben Marktkräfte aktiv seien, die auf den Fremdbesitz zielen. Letztlich werde hier auch das Fremdbesitzverbot unterwandert. „Die Tür zum Fremdbesitz ist ein Stück weit auf“, warnte Friedrich. Auch Friedrich verwies auf die Argumentation des EuGH, dass der Versand die Versorgung vor Ort nicht angemessen ersetzen könne. Dies wiederum entkräfte die Argumentation des SPD-Fraktions-Vize Karl Lauterbach für den Versand. Friedrich setzte dagegen: „Wir können alles, was der Versand nicht kann.“

Die Regularien nahmen nur einen kleinen Teil der Mitgliederversammlung ein. Friedrich wies auf die „treuen Mitglieder“ und die stabilen Finanzen des Verbandes hin. Als Erfolge des Berichtsjahres betonte er den neuen Hilfsmittelvertrag mit der AOK Nordwest, die gerade wieder aufgenommenen Verhandlungen zum Arzneiliefervertrag mit den Primärkassen und die Öffentlichkeitsarbeit bei der Landesgartenschau in Eutin. |

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