Arzneimittel und Therapie

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Ein Gastkommentar zur Stammzelltherapie von Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann

Wolfram-Hubertus Zimmermann

Es steht außer Frage, dass aktuelle Therapieformen zur Behandlung der Herzmuskelschwäche unzureichend sind. Kein anerkanntes nicht-invasives Therapeutikum adressiert bisher das zugrunde liegende Problem – nämlich den Verlust an Herzmuskelzellen. Die Herztransplantation, wenngleich unübertroffen effektiv, eignet sich aufgrund eines Organmangels nicht als Standardtherapie bei Herzmuskelschwäche. Mechanische Herzunterstützungssysteme verlängern das Überleben, sind aber mit erheblichen Nebenwirkungen (Blutungen, ­Infektionen, Schlaganfälle) assoziiert. Darüber hinaus findet keine Herzmuskelregeneration statt. Was klassische Pharmakologie, interventionelle Kardiologie und Herzchirurgie nicht leisten können, soll nun durch Stamm­zellen gelingen.

Erste klinische Erfahrungen zur Applikation von Stammzellen wurden in den letzten 15 Jahren gesammelt. Dabei ergab sich, wie auch in vielen klassischen pharmakologischen Studien, ein gemischtes Bild. Gelernt haben wir bisher Folgendes:

Welche Stammzelle hilft?

Wer Muskelaufbau will, muss auch Muskelzellen verwenden. Herzmuskelzellen können heute ausschließlich über pluripotente Stammzellen mit einem für embryonale Stammzellen typischen Entwicklungspotenzial gewonnen werden. Adulte Stammzellen, beispielsweise aus Knochenmark, Blut, Fettgewebe oder Nabelschnur, sind nicht in der Lage, Herzmuskelzellen in therapeutisch relevantem Maß zu bilden. Allerdings kann die biologische Aktivität dieser Zellen zur Freisetzung von para­krinen Schutzfaktoren genutzt werden. Das Herz hat, wenn überhaupt, eine nur minimale endogene regenerative Kapazität.

Wie müssen Stammzellen appliziert und dosiert werden?

Zellen werden typischerweise intramyokardial injiziert oder als künst­liches Herzgewebe implantiert. Die effektive Dosierung ist noch unklar, wird aber vermutlich zwischen 200 Millionen bis 1 Milliarde Herzmuskelzellen liegen. Diese Schätzung orientiert sich an der Anzahl der Herzmuskelzellen, die im Rahmen eines Herzinfarkts absterben. Eine zentrale Schwierigkeit ist, dass es nach Zell­implantation zu einem starken Zell_verlust kommt. Das „Anwachsen“ von Herzmuskelzellen kann durch die Anwendung künstlicher Herzgewebe verbessert werden. Diese elektrisch und mit vertretbaren Nebenwirkungen an das Empfängerherz zu koppeln, ist eine Herausforderung.

Foto: Juan Gärtner – fotolia.com
Um zugrunde gegangenes Herzmuskelgewebe zu regenerieren, müssen Stammzellen myokardial injiziert werden.

Autologer oder allogener Ansatz?

Sogenannte parakrine Faktoren aus Zellimplantaten können Herzmuskelzellen schützen und die Gefäßbildung anregen. Einzig aus embryonalen oder induzierten pluripotenten Stammzellen abgeleitete Herzmuskelzellen führen nach direkter Injektion oder in Form von im Labor hergestelltem Herzgewebe zu einem greifbaren Wiederaufbau des Herzmuskels. Über sogenannte Reprogrammierung ließen sich prinzipiell auch körpereigene Stammzellen und davon abgeleitet Herzmuskelzellen für autologe Anwendungen (Spender und Empfänger dieselbe Person) generieren. Bei der schweren Herzmuskelschwäche mit einer stark verminderten Lebenserwartung (< 1 Jahr) und einem äußerst anspruchsvollen Herstellungsprozess scheint ein autologer Ansatz weder klinisch noch ökonomisch sinnvoll – die Therapie käme schlichtweg zu oft zu spät und wäre bei erheblichen individuellen Kosten im Effekt nicht sicher vorhersagbar.

Ein allogener Ansatz (Spender und Empfänger nicht dieselbe Person) wie bei der klassischen Herztransplantation wäre dagegen bei Bedarf und unter Berücksichtigung einer immunsuppressiven Begleittherapie unter definierten Bedingungen zeitgerecht bei vertretbaren Kosten umsetzbar.

Warum werden parakrine Faktoren nicht direkt gegeben?

Hinter dem Begriff parakrine Schutzfaktoren versteckt sich eine undefinierte Mischung an Proteinen und nicht-kodierender RNA. Würde man diese Faktoren bzw. Faktorengemische genau kennen, wäre es sicher sinnvoll, diese direkt zu verabreichen. Allerdings haben Zellen zumindest theoretisch den Vorteil, bei „Anwachsen“ auch längerfristig parakrine Schutzfaktoren freizusetzen und dadurch das lokale Milieu nachhaltig beeinflussen zu können. Protektive Faktoren machen allerdings nur Sinn, wenn es etwas zu beschützen gibt. Ist der Herzmuskel stark vernarbt, gibt es bisher keine plausible Alternative zur Implantation von Herzmuskelzellen.

Und wie geht es jetzt weiter?

Seit Einführung menschlicher embryonaler Stammzellen im Jahr 1998 ist der Herstellungsprozess für Herzmuskelzellprodukte so weit verbessert worden, dass eine klinische Anwendung bereits heute möglich wäre. Zur Abschätzung des Risikopotenzials sind allerdings weitere Untersuchungen mit einem besonderen Augenmerk auf Herzrhythmusstörungen, Tumorwachstum und Kontrolle der Transplantatabstoßung in adäquaten Tiermodellen notwendig.

Schlussendlich lässt sich vorsichtig prognostizieren, dass die regenerative Pharmakologie unter Anwendung von Stammzellen in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird, um einerseits Krankheitsprozesse zu verlangsamen, möglicherweise unter Ausnutzung protektiver parakriner Effekte, und andererseits Herzmuskelgewebe durch Integration Stammzell-abgeleiteter Herzmuskelzellen im Sinne einer echten Remuskularisierung wieder aufzubauen. Obwohl die Einführung von Herzmuskelzelltherapeutika absehbar ist, wird es einen kontinuierlichen Optimierungsbedarf geben, um einen maximal möglichen Therapieeffekt bei vertretbarem Risiko zu erzielen. |

Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsmedizin Göttingen

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