Aus den Ländern

Der Stellenwert der Selbstmedikation

Der 4. OTC-Gipfel des Apothekerverbands Nordrhein

DÜSSELDORF (wes) | Bereits zum ­vierten Mal fand am 3. November in Düsseldorf der OTC-Gipfel statt. Mit dieser Initiative will der Apothekerverband Nordrhein den Stellenwert der Selbstmedikation für die Apotheken, aber auch für das Gesundheitssystem insgesamt betonen. Doch ganz ließen sich die verschreibungspflichtigen Arzneimittel nicht ausklammern; das EuGH-Urteil und Gröhes Vorstoß, den Rx-Versand zu untersagen, waren wiederholt Thema.

Für Thomas Preis, den Vorsitzenden des Apothekerverbands Nordrhein und „Gastgeber“ des Gipfels, ist das Verbot des Rx-Versands „alternativlos“. Bei allen anderen derzeit diskutierten Vorschlägen würde nicht nur deutlich mehr Zeit benötigt, vor allem wären die Eingriffe in das System weit tiefgreifender als beim Versandverbot. Das EuGH-Urteil bezeichnete Preis als „unsäglich“ und als „destruktiven Eingriff in das Gesundheitswesen“. Arzneimittel seien eben keine herkömmlichen Verbrauchsgüter und die, die sie brauchen, keine Konsumenten. „Erst die Beratung eines Apothekers macht aus dem Arzneimittel ein besonderes Gut“, so Preis.

Keine Arzneimittelabgabe ohne persönliche Beratung

Den Stellenwert der persönlichen ­Betreuung betonte auch Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Deswegen sieht er den Versand von Arzneimitteln – insbeson­dere, wenn sie zur Behandlung von Kindern eingesetzt werden – kritisch. Denn hier finde eine fachgerechte Beratung „faktisch nicht statt“, so Fischbach: „Da wird, wie bei Amazon, einfach irgendetwas bestellt.“

Fischbach erneuerte die Forderung des BVKJ nach einer Ausweitung der Verschreibungspflicht für pädiatrische Arzneimittel. Wenn aber im Fall der Selbstmedikation kein Kinderarzt die kranken Kinder gesehen habe, müsse wenigsten ein Apotheker persönlichen Kontakt mit den Eltern gehabt haben, so Fischbach.

Fotos: DAZ/wes
Thomas Preis (l.) und Dr. Thomas Fischbach.

Außerdem fordert der BVKJ, dass die GKV Arzneimittel generell bis zu einem Alter von 18 Jahren erstattet. Die heutige Altersschwelle von zwölf Jahren führe dazu, dass ausgerechnet Jugendliche aus sozial schwächeren Familien schlecht versorgt werden könnten.

„Selbstmedikations-Budget“ könnte Ärzte entlasten

Der Gesundheitsökonom Prof. Uwe May von der Hochschule Fresenius zeigte anhand einer neuen, bisher unveröffentlichten Studie im Auftrag des BAH, dass die Selbstbehandlung dem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem Milliarden-Kosten einspart. Dabei betonte May die herausragende Bedeutung der Apotheke: Die hohe Verfügbarkeit, kombiniert mit dem Fachwissen und der Beratung der Apotheker, ermögliche in vielen Fällen erst die Selbstbehandlung. Er schlägt deshalb vor, die Selbstbehandlung zu stärken. So könnte ein „Selbstmedikations-Budget“, innerhalb dessen die Krankenkassen OTC-Arzneimittel erstatten, den Fehlanreiz beheben, dass Patienten zum Arzt gehen und sich ein Arzneimittel verschreiben lassen, nur um die Kosten für ein OTC-Präparat zu sparen. Außerdem schlug May vor, die Regelungen zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu lockern. Die Notwendigkeit einer „Krankschreibung“ verursache viele ansonsten unnötige Arztbesuche. May regte an, dass in bestimmten Fällen auch Apotheken den „gelben Schein“ ausstellen könnten.

Prof. Uwe May

Das EuGH-Urteil kritisierte May als „ökonomisch falsch“. Eine Preisbindung sei ein sinnvolles Instrument, um die Bereitstellung eines öffentlichen Gutes – und das sei die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln zweifelsohne – zu sichern (s. auch AZ 2016, Nr. 45, S. 8).

Apotheken als Gewinner der Digitalisierung?

Joss Hertle, bei Google Deutschland für den Bereich Gesundheitswirtschaft zuständig, findet, dass Apotheken keine Angst vor der Konkurrenz „aus dem Netz“ haben müssen. Das Internet werde immer mehr mit mobilen Geräten wie Smartphones genutzt, und ein Nutzer, der unterwegs ist, suche eher eine Apotheke in der Nähe auf, als etwas in einer Versandapotheke zu bestellen. Für Hertle könnten Apotheken deswegen „Gewinner der Digitalisierung“ sein, nicht ihr Opfer. Dazu müssten sie noch mehr auf Sichtbarkeit, Erreichbarkeit und Differenzierung im Internet achten. Wichtig sei vor allem, dass ihre Einträge in „Google My Business“, einem kostenlosen Verzeichnis mit Geschäftsdaten wie Öffnungszeiten, Serviceangeboten usw., vollständig, korrekt und aktuell sind.

Joss Hertle

Zum Abschluss des Tages erläuterte Dr. Oliver Scheel, Deutschland-Geschäftsführer bei A. T. Kearney, wie sich der OTC-Markt aus Sicht der Marktforschung in den kommenden Jahren verändern wird. Der Trend zu Firmenkäufen und -zusammenschlüssen werde sich fortsetzen (müssen). Denn im Vergleich zu anderen Märkten hätten die Top-3-OTC-Hersteller immer noch einen relativ niedrigen Marktanteil. Sehr bekannte globale Marken („Power-Brands“) werden, auch als Folge der Zusammenschlüsse, weiter wachsen und in einigen Jahren den Markt dominieren.

Eher unklar sei, wie sich die Digitalisierung auf den OTC-Markt auswirkt: Werden sich die OTC-Hersteller hier engagieren, oder werden eher neue Akteure, z. B. Technologieunternehmen wie Samsung oder Phillips, den Markt erschließen? Gelingt es, sogenannte „Ökosysteme“ aufzubauen, die ein wirklich umfassendes Angebotsspektrum (z. B. aus Hard- und Software wie Apple) anbieten?

Auch in der Apotheke werde die Digitalisierung stärker Einzug halten – beispielsweise mit virtuellen Sichtwahlen, aber auch mit Management-Unterstützung, so Scheel. |

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