Arzneimittel und Therapie

Umstrittenes Betahistin

Wirksamkeit bei akutem Schwindel und Morbus Menière auf Placebo-Niveau?

ms | Die Evidenzlage zur Wirksamkeit von Betahistin ist umstritten. In der in diesem Jahr erschienenen Dosisfindungsstudie bei Morbus Menière (BEMED) konnte kein Unterschied zwischen Betahistin in den untersuchten Dosierungen und Placebo festgestellt werden. Ein Cochrane Review, ebenfalls aus diesem Jahr, sieht bei akutem Schwindel unterschiedlicher Genese nur eine leichte Überlegenheit des Arzneistoffes gegenüber Placebo.

Die S3-Leitlinie „Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) empfiehlt zur akuten Behandlung den kurzfristigen Einsatz von Antivertiginosa, im Speziellen Betahistin und Dimenhydrinat als Einzelsubstanzen oder in Kombination mit Cinnarizin. In der Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) wird ­dagegen nur Dimenhydrinat für die symptomatische Therapie von akuten Schwindelattacken bei Morbus Menière empfohlen.

Schwindelzustände im Rahmen von Morbus Menière sind Folge einer Funktionsstörung des Gleichgewichtsapparates. Neben dem Leitsymptom Schwindel treten begleitend Hörminderung, Tinnitus oder Ohrdruck auf. In der BEMED(Betahistin in Menière‘s Disease)-Studie wurde die prophylaktische Gabe von Betahistin bei Morbus Menière untersucht. Dazu erhielten 221 Patienten aus 14 Zentren in Deutschland entweder Placebo oder Betahistin in niedriger (2 × 24 mg pro Tag) oder in hoher (3 × 48 mg pro Tag) Dosierung über neun Monate. Die Anfallshäufigkeit war in allen Gruppen gleich. Da es keine Gruppe ohne Therapie gab, konnte das Ausmaß des Placebo-Effekts nicht bestimmt werden. Die Ergebnisse der Studie sprechen gegen die Therapie mit Betahistin in den untersuchten Dosierungen. Die Autoren merken jedoch an, dass die Studie methodische Mängel aufweist. So war es bei einigen Patienten schwierig, anhand der Schwindelsymptome zu diagnostizieren, ob es sich um Morbus Menière oder eine andere Krankheit handelt.

Was wird noch gegen akuten Schwindel eingesetzt?

Laut der DEGAM-Leitlinie haben Dimenhydrinat als Einzelsubstanz sowie Betahistin als Einzelsubstanz oder Dimenhydrinat in Kombination mit Cinnarizin einen nachweisbaren Nutzen bei vertretbaren unerwünschten Wirkungen - sollten also dann kurzfristig gegeben werden, wenn eine Indikation dafür gesehen wird. Bei Dimenhydrinat handelt es sich um ein H1-Antihistaminikum mit Wirkung gegen Schwindel und Nausea. Als Einzelsubstanz wird es in einer Dosierung von 100 mg eingesetzt (z. B. Vertigo Vomex®, Reisefit Hennig®, Vomacur®). Als Nebenwirkungen sind vor allem sedative und anticholinerge Effekte zu nennen. Die Kombination wird in der Dosierung aus 20 mg Cinnarizin und 40 mg Dimenhydrinat eingesetzt. Beide Arzneistoffe sollen zusammen synergistisch am vestibulären System wirken, wobei der Calciumantagonist Cinnarizin die Aktivierung der Vestibulariskerne und die Ausprägung der vestibulookulären Reflexe bei Stimulation hemmen und Dimenhydrinat die neuronale Aktivität der Vestibulariskerne in der Medulla oblongata reduzieren soll. Zurzeit sind Produkte von Hennig Pharma (Arlevert®; Cinnarizin Dimenhydrinat Hennig® 20 mg/40 mg) und Klinge Pharma (Vertigo-Vomex plus Cinnarizin® 40 mg/20 mg) Rabattpartner vieler Krankenkassen. Weiterhin ist noch Cinna/Dimen-neuraxpharm® 20 mg/40 mg auf dem Markt.

Was sagt Cochrane?

In einem Cochrane Review wurden 17 Studien analysiert, die die Wirksamkeit von Betahistin bei Schwindelsymptomen untersuchten. Die Studien unterschieden sich in den gestellten Diagnosen. Es wurden Patienten mit akutem oder episodischem Schwindel als Folge von Morbus Menière oder einer unbekannten Herkunft eingeschlossen. Ebenfalls unterschieden sich Einnahmedauer und Dosierung von Betahistin und die Studiendauer. Zwar war der Anteil an Patienten, die von einem Rückgang ihrer Schwindelsymptome berichteten, in der Betahistin-Gruppe größer, wenn man alle Studien betrachtet, doch sollten die Ergebnisse laut den Autoren des Reviews nur mit Vorsicht interpretiert werden. Die Evidenz aller Studien wurde als niedrig eingestuft, und es gibt keine Daten zu objektiven Effekten von Betahistin.

In den Studien des Cochrane Reviews und der BEMED-Studie wurden Mängel festgestellt, wodurch der Einsatz von Betahistin nicht abschließend ­bewertet werden kann. Ob und in ­welcher Dosierung Betahistin bei ­ge­sichertem Morbus Menière oder vielleicht auch bei akutem Schwindel wirksam ist, bleibt damit unbeantwortet. Nebenwirkungen traten in der Therapie mit Betahistin nicht häufiger auf als unter Placebo. |

Quelle

Abholz HH. Jendyk R. S3-Leitlinie: Akuter Schwindel in der Hausarzt Praxis. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, 2015

Strupp M. S1-Leitlinie: Schwindel – Therapie. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), 2012

Strupp M. Wenn sich alles dreht. Deutsche Apotheker Zeitung 2014, Nr. 22, S. 42,

Adrion C et al. BMJ 2016;352:h6816

Murdin L, Hussain K, Schilder AG. Cochrane Database Syst Rev. 2016; (6):CD010696. doi: 10.1002/14651858.CD010696.pub2

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