Nach dem EuGH-Urteil

„Kumulation der Vorteile nicht möglich“

Interview mit Dr. Sabine Wesser zur rechtlichen Einordnung der Preisbindung im Rahmenvertrag

BERLIN/KÖLN (ks) | Nachdem der EuGH geurteilt hat, dass ausländische Arznei-Versender nicht an die deutsche Preisbindung für Arzneimittel gebunden sind, weisen einige Experten auf die Regelungen des Rahmenvertrags zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband hin. Mag auch ein Rx-Versandverbot der Weg sein, auf den sich die ABDA festgelegt hat – der Rahmenvertrag gilt schon jetzt. Und er bindet die beigetretenen auslän­dischen Versandapotheken wie DocMorris und Europa Apotheek an das geltende Arzneimittelpreisrecht. Was das genau bedeutet und welche Folgen das hat, fragten wir die Kölner Rechtsanwältin und Apothekenrechtsexpertin Dr. Sabine Wesser.
Foto: privat
Dr. Sabine Wesser ist Rechts­anwältin und eine ausgewiesene Expertin im Apotheken- und Arzneimittelrecht.

DAZ: Wie genau ist die Preisbindung im Rahmenvertrag geregelt?

Dr. Sabine Wesser: Der § 2b Rahmenvertrag regelt den Beitritt ausländischer Apotheken zum Rahmenvertrag. Er bestimmt unter anderem, dass wirksam beigetretene ausländische Apotheken berechtigt sind, in Deutschland zugelassene und in der Lauer-Taxe als preisgebunden ausgewiesene Fertigarzneimittel zulasten der Kassen abzurechnen und dass für diese Abrechnungen „die Preisvorschriften nach § 78 Arzneimittelgesetz sowie § 7 Heilmittelwerbegesetz (sog. Rabattverbot)“ gelten. Weitere Bestimmungen zur Preisbindung enthält der Rahmenvertrag nicht. Laut Kommentar des DAV zum Rahmenvertrag nach § 129 SGB V (Fassung vom 1. Februar 2011) bewirkt die genannte Regelung, dass die ausländischen Apotheken bei der Abrechnung preisgebundener Arzneimittel deutschen Apotheken gleichgestellt sind, sie sich mithin bei der Abrechnung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an die Arzneimittelpreisverordnung halten müssen und an die für die deutschen Apotheken geltenden Rabatt­verbote gebunden sind.

DAZ: Ist diese Regelung durch das ­EuGH-Urteil betroffen?

Wesser: Nein. Die Vorabentscheidung des EuGH bezieht sich auf eine nationale Regelung wie § 78 AMG, die vorsieht, dass für verschreibungspflich­tige Humanarzneimittel einheitliche Apothekenabgabepreise festgesetzt werden. Der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V setzt keine Preise fest, sondern konkretisiert die Regeln, die – unter anderem im Interesse der Solidargemeinschaft – zu beachten sind, wenn Apotheken als Leistungserbringer am Sachleistungssystem der GKV-Versorgung teilnehmen.

DAZ: Was würde passieren, wenn eine ausländische Versandapotheke aus dem Rahmenvertrag austritt?

Wesser: Das Bundessozialgericht hat wiederholt, zuletzt im Jahr 2013, darauf hingewiesen, dass eine Apotheke nur durch Beitritt zum Rahmenvertrag die Rechtsstellung erwerben kann, die ihr auf gesetzlicher Grundlage Vergütungsansprüche gegen die Krankenkassen vermittelt. Eine ausländische Versandapotheke, die aus dem Rahmenvertrag ausgetreten ist, hat somit keinen gesetzlichen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkassen. Folglich kann sie so lange, wie sie keine (einzel-)vertraglichen Vereinbarungen mit den Kassen getroffen hat, Vergütung nur von den Versicherten selbst verlangen.

DAZ: Gibt es für ausländische Apotheken die Möglichkeit, zusätzlich zum Rahmenvertrag weitergehende Verträge mit den Kassen zu schließen?

Wesser: Ich denke nicht. Das Bundessozialgericht nennt drei Möglichkeiten, wie sich ausländische Versandapotheken an der Versorgung GKV-Versicherter beteiligen können. Danach ist eine Versorgungsform die Belieferung der Versicherten auf Rechnung mit Verweis auf Kostenerstattung gegen die Krankenkasse (§ 13 Abs. 4 SGB V). Gegebenenfalls kann diese verbunden sein mit einer zwischen Versandapotheke und Krankenkasse getroffenen „Abrechnungsvereinbarung“, welche der ausländischen Versandapotheke eine Abrechnung der Arzneimittellieferungen unmittelbar mit den Krankenkassen ermöglicht und so den Versicherten erspart, in Vorleistung treten zu müssen. Die nächste Möglichkeit ist die Einbindung der ausländischen Versandapotheke in das leistungserbringungsrechtliche System des SGB V „nach dem Regime des § 129 SGB V“, welche durch Beitritt zum Rahmenvertrag bewirkt wird. Der Beitritt zum Rahmenvertrag hat zur Folge, dass für die Apotheke die gleichen Rechte und Pflichten begründet werden wie für alle anderen Leistungserbringerstatus-besitzende Apotheken. Eine beigetretene Apotheke erlangt mithin den gesetzlichen Vergütungsanspruch, sofern sie gesetzlich Versicherte unter Beachtung der gesetzlichen und vertraglichen Abgabebestimmungen versorgt. Andererseits ist sie auch den im gesetz­lichen Leistungserbringersystem wurzelnden Pflichten unterworfen, wie etwa der Pflicht zur Aut-idem-Substitution, zur Beachtung des Vorrangs rabattbegünstigter Arzneimittel, zur Abgabe wirtschaftlicher Einzelmengen, zur Leistung von Apotheken- und Herstellerabschlag, zur Einziehung der Zuzahlung und zur Beachtung der Abrechnungsvorgaben des § 300 SGB V. Eine dritte Versorgungsform ist die Aufnahme unmittelbarer vertraglicher Beziehungen zu den beteiligten Krankenkassen. Wie aber das Bundessozialgericht hervorhebt, ist eine Kumulation der Vorteile verschiedener Versorgungsformen im Wege der „Rosinenpickerei“ nicht zulässig. Das spricht gegen die Annahme, dem Rahmenvertrag beigetretene Apotheken könnten sich durch vom gesetzlichen Leistungserbringersystem nicht vorgesehene Einzelverträge Sonderbedingungen bei der GVK-Versorgung sichern. Der Abschluss von gesetzlich vorgesehenen Einzelverträgen (etwa nach § 129 Abs. 5 Satz 3 oder Abs. 5b SGB V) ist den beigetretenen Apotheken dagegen ohne weiteres möglich. Der in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 28. Oktober 2016 berichtete Versuch einiger Kassen, mit DocMorris Verträge abzuschließen, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen, ist damit jedenfalls solange rechtswidrig, wie DocMorris dem Rahmenvertrag angehört.

Es dürfte eine Beeinträchtigung durch Ungleichbehandlung darstellen, wenn Krankenkassen ausländische Versandapotheken sanktionslos gegen ein rahmenvertraglich vereinbartes Rabattverbot verstoßen lassen.

DAZ: Wer kann die Regelungen des Rahmenvertrags durchsetzen?

Wesser: Unmittelbar können dies grundsätzlich die zuständigen Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen. Sie können nach Anhörung des Betroffenen die in § 11 Rahmenvertrag genannten Vertragsmaßnahmen (Verwarnung, Vertragsstrafe bis zu 25.000 Euro sowie – bei gröblichen und wiederholten Verstößen – Ausschluss von der Versorgung der Versicherten bis zur Dauer von zwei Jahren) ergreifen. In Bezug auf ausländische Apotheken weist § 2b Abs. 1 Satz 4 Rahmenvertrag die Zuständigkeit zum Ergreifen der genannten Vertragsmaßnahmen dem GKV-Spitzenverband zu.

Eine mittelbare Durchsetzung rahmenvertraglicher Regelungen wird ­dadurch erreicht, dass der gesetzliche Vergütungsanspruch nur dann entsteht, wenn die gesetzlichen und vertraglichen Abgabebestimmungen eingehalten wurden. Apotheken, die bei der Versorgung von GKV-Versicherten rahmenvertragliche Abgabebestimmungen missachten, erlangen somit keinen Anspruch auf Vergütung der von ihnen abgegebenen Arzneimittel.

Eine ausländische Versandapotheke, die aus dem Rahmenvertrag ausgetreten ist, hat keinen gesetzlichen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkassen.

DAZ: Ist auch ein wettbewerbsrecht­licher Ansatz möglich?

Wesser: Da es sich beim Rahmenvertrag um einen sogenannten Normenvertrag handelt, könnten seine Regelungen auch als gesetzliche Regelungen im Sinne des § 3a UWG aufgefasst werden. Somit kommt auch ein wettbewerbsrechtliches Vorgehen gegen Verstöße in Betracht. Allerdings geht die Rechtsprechung davon aus, dass es gesetzlich ausgeschlossen ist (§ 69 SGB V), Handlungen der Krankenkassen und der von ihnen eingeschalteten Leistungserbringer, die der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags gegenüber den Versicherten dienen sollen, nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zu beurteilen. Eröffnet ist dementsprechend nur der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit. Im Verhältnis von Leistungserbringern untereinander erachtet das Bundessozialgericht jedoch die allgemeinen Regelungen des Wettbewerbsrechts über Auskunfts- und Schadensersatzansprüche für anwendbar. Einen interessanten Weg hat im vergangenen Jahr ferner das Oberlandesgericht Stuttgart eingeschlagen. Es hat nämlich einem Internet-Versandhändler von für die Behandlung von Diabetes benötigten Hilfsmitteln untersagt, auf seiner Internetseite damit zu werben, dass er die an die gesetzlichen Krankenkassen zu entrichtenden Zuzahlungen für seine Kunden übernehme. § 7 HWG sei verletzt, weil die Ausnahme in § 7 Abs. 1 Nr. 2 HWG bei vom Sozialrecht nicht erlaubten Zuwendungen nicht eingreife. Über die vom Beklagten eingelegte Revision (Az: I ZR 143/15) wird am 1. Dezember 2016 vor dem Bundesgerichtshof verhandelt.

Zudem können Leistungserbringer die Krankenkassen auf der Grundlage von Art. 12 und 3 GG in Anspruch nehmen, wenn sie durch deren Verhalten in ihrem Recht zur freien Berufsausübung oder Gleichbehandlung beeinträchtigt werden. Eine solche Beeinträchtigung durch Ungleichbehandlung dürfte es darstellen, wenn ­Krankenkassen ausländischen Versandapotheken einen Wettbewerbsvorteil dadurch zukommen lassen, dass sie jene sanktionslos gegen ein rahmenvertraglich vereinbartes Rabattverbot verstoßen lassen. Da das Bundessozialgericht davon ausgeht, dass Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts wegen ihrer in der Verfassung verankerten Bindung an Recht und Gesetz auch ohne Leistungsurteil mit Vollstreckungsdruck ihren Pflichten nachkommen, könnte vor den Sozialgerichten eine entsprechende Feststellungsklage erhoben oder sogar um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht werden. Im Wege der einstweiligen Anordnung ist vor einigen Jahren zum Beispiel der AOK Hessen untersagt worden, ihre Versicherten dahingehend zu beeinflussen, die ihnen vertragsärztlich verordneten Arzneimittel bei bestimmten Versandapotheken zu beziehen. Begründet hat das Sozialgericht Frankfurt die einstweilige Anordnung mit einem Verstoß der Kasse gegen ihre Pflichten aus dem Arznei­liefervertrag. Und einen Anordnungsgrund sah es darin, dass die Kasse durch ihre Werbemaßnahmen das ­Verhalten einer erheblichen Zahl von Versicherten in ihrem Marktverhalten dauerhaft beeinflusse und damit vollendete Tatsachen schaffe.

DAZ: Welche Sanktionsmöglichkeiten durch die Kassen sind denkbar?

Wesser: Da sich § 2b Abs. 2 Satz 2 RahmenV als Abgabebestimmung deuten lässt – keine Abgabe zu anderen als den nach § 78 Arzneimittelgesetz vorgesehenen Preisen und keine Abgabe unter Gewährung von Rabatten – können die Krankenkassen auf Abgabe von Arzneimitteln zu anderen als den vorgeschriebenen Preisen mit der Retaxation reagieren. Dass sie durch die Verletzung der Abgabebestimmung keinen Schaden erleiden, steht dem nicht entgegen, denn für den Wegfall des gesetzlichen Vergütungsanspruchs kommt es hierauf ja gerade nicht an. |

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