Das EuGH-Urteil

Die Geschichte der Rx-Boni

Ein Rückblick auf fast 16 Jahre Arzneimittel-Versandhandel aus den Niederlanden

BERLIN (ks) | Das am 19. Oktober 2016 ergangene Urteil des EuGH hat eine lange Vorgeschichte. Sie ist geprägt vom Kampfwillen einer niederländischen Kapitalgesellschaft: der Versandapotheke DocMorris.

Als DocMorris im Jahr 2000 von dem niederländischen Apotheker Jacques Waterval und dem deutschen Informatiker Ralf Däinghaus gegründet wurde, war der Arzneimittelversandhandel in Deutschland generell verboten. Das macht den selbst ernannten „Pionieren“ jedoch gar nichts. DocMorris verschickte dennoch Arzneimittel an deutsche Patienten, fand mit der damals noch existierenden Gmünder Ersatzkasse (GEK) auch eine kooperierende Krankenkasse. Die deutschen Apotheker ließen dies nicht auf sich sitzen. Es kam zu juristischen Auseinandersetzungen, die im November 2003 in einem Urteil des EuGH mündeten. Luxemburg entschied: Lediglich ein Verbot des OTC-Versandhandels wäre europarechtswidrig. Den Versand mit Rx könnten die Mitgliedstaaten aber durchaus verbieten, wenn sie so die Gesundheit ihrer Bevölkerung schützen wollen. Das Problem: Noch vor dem Urteil hatte die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) mit der rot-grünen Koalition das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) auf den Weg geschickt, das Anfang 2004 in Kraft trat. Mit ihm wurde der Versandhandel mit Arzneimitteln erlaubt – sowohl für nicht-­rezeptpflichtige als auch für verschreibungspflichtige Präparate. Überdies wurden die Preise für OTC-Arzneimittel freigegeben. Die Apotheker hatten im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens mächtig gegen die Pläne mobil gemacht. In der Politik verhallten ihre Warnungen jedoch. Immer wieder hieß es: Der EuGH werde das Versandverbot ohnehin kippen. Also könne der Gesetzgeber auch jetzt schon tätig werden. Es kam anders – dennoch ­gehört der Arzneimittelversand seit 2004 zu Deutschland.

Foto: Gerichtshof der Europäischen Union/G. Fessy

Wie lassen sich deutsche Rezept-Kunden gewinnen?

Da die Vor-Ort-Apotheken in Deutschland gut etabliert und von den Menschen geschätzt sind, musste sich DocMorris allerdings etwas ausdenken. Günstige OTC zogen zwar – aber es galt auch, Kunden für den lukrativen Rx-Bereich zu gewinnen. Und zwar am liebsten solche, die regelmäßig ärztliche Verordnungen einreichen. Das Problem für die Niederländer: ­Rx-Präparate haben fixe Preise. DocMorris versuchte es daraufhin mit Boni bei der Rezepteinlösung, die letztlich die Zuzahlung für den Patienten reduzierten. Dieses Bonus-Modell fand auch seine Nachahmer in Apotheken hierzulande. Es folgten zahlreiche Gerichtsverfahren zur Frage, ob eine Apotheke auf Rx-Arzneimittel Rabatte in Form von Boni bei der Rezepteinlösung gewähren darf. Über Jahre beschäftigten sich mit ihr Zivilgerichte ebenso wie Verwaltungs-, Berufs- und Sozialgerichte. Recht schnell war klar: Zumindest deutsche Apotheken müssen die durch die Arzneimittelpreisverordnung vorgegebenen Fixpreise für Rx-Arzneien einhalten. Wer weniger Zuzahlung verlangt, also einen Bonus bei Rezepteinlösung gibt, verstößt gegen das Arzneimittelpreisrecht. Das ist wettbewerbswidrig, verstößt gegen das Berufsrecht und kann auch aufsichtsrechtlich geahndet werden. Aber was war mit den ausländischen Versandapotheken? Urteile hierzu fielen unterschiedlich aus.

„Es ist für mich ein großes Versäumnis, dass man auf der AMPreisV in ihrer heutigen Form beharrt.“

Christian Buse, Bundesverband Deutscher Versandapotheken BVDVA

Boni-Frage schien 2012 geklärt

Als dann der Bundesgerichtshof von der Rechtsprechung eines anderen obersten Gerichts – nämlich einem Urteil des Bundessozialgerichts – abweichen wollte, musste der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes angerufen werden. Dieser entschied im August 2012: Für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die Versandapotheken mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat an Endverbraucher in Deutschland abgeben, gelten die fixen deutschen Apotheken­abgabepreise. Die höchsten deutschen Richter hatten sich für ihren Beschluss auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob dies mit Europarecht vereinbar sei – und sie kamen zu dem Ergebnis, dass dies der Fall sei. Eine Vorlage an den EuGH hielten sie daher nicht für nötig. Später zog auch der Gesetzgeber mit einer Klarstellung im Arzneimittelgesetz nach: Dort steht nun in § 78 Absatz 1 ausdrücklich, dass auch ausländische Versender, die festen Rx-Preise einhalten müssen.

Damit schien die Sache klar. Trotzdem entschied das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im März 2015, die Frage dem EuGH vorzulegen. Und so kam es, dass DocMorris – nach dem Fremdbesitzverbot-Verfahren 2009 – ein drittes Mal bis vor den EuGH zog, um am deutschen Apothekenrecht zu kratzen. Zwar war die niederländische Versandapotheke nicht Partei – das war die Deutsche Parkinson Vereinigung. Aber es ging um DocMorris-Rabatte, die diese Selbsthilfeorganisation ihren Mitgliedern angedeihen lassen will.

Im März 2016 fand die mündliche Verhandlung in Luxemburg statt – beide Seiten konnten ihre Argumente nochmals auffahren. Die Bundesrepublik Deutschland stellte sich klar hinter die Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats und die von ihr geschaffene Rechtslage. Am 2. Juni legte der Generalanwalt dann seine Schlussanträge vor. Er hielt es für ­europarechtswidrig, dass DocMorris und anderen EU-ausländischen Versandapotheken vorgeschrieben werde, sich beim Arzneimittelversand nach Deutschland an die hiesigen Preisvorschriften zu halten. Dies hielt die Apothekerschaft in Deutschland wiederum in Atem. Die ABDA gab sich ­jedoch weiterhin demonstrativ zuversichtlich und hielt es nicht für nötig, einen Plan B für den Fall der Fälle ­öffentlich zu kommunizieren. Ihre Hoffnung auf ein gutes Ende starb am 19. Oktober. Der EuGH entschied im Sinne des Generalanwalts. DocMorris jubelte – noch am gleichen Tag bot der Versender auf seiner Webseite wieder Rx-Boni an. Nun wandert der Fall an das OLG zurück, das konkret über die Boni-Frage zu entscheiden hat. Die Marschrichtung ist klar aus Luxemburg vorgegeben. |


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