Medikationsplan Spezial

Medikationsplan – ein Theater

Unglückliche Rollenverteilung gefährdet Erfolg

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Von Timo Kieser und Torsten Gerhard | Zum 1. Oktober 2016 steht die Premiere des bundeseinheitlichen Medikationsplans (BMP) an. Bei der Vergabe der Hauptrolle sind die Apotheker leer ausgegangen und die Ärzte kamen zum Zug. Aber auch Nebenrollen erfordern Textsicherheit – Grund genug, sich mit den Konsequenzen des BMP aus Apothekersicht etwas näher zu befassen.

Das Drehbuch liefert § 31a SGBV und die zwischen Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Deutschem Apothekerverband geschlossene BMP-Vereinbarung. Die Erstellung des Medikationsplans, die Aufklärung des Patienten hierüber obliegt den Ärzten. Sie sind grundsätzlich auch für die Aktualisierung verantwortlich, wenn der Arzt selbst die Medikation ändert oder hiervon Kenntnis erlangt. Bei der Aktualisierung kommen aber auch die Apotheken ins Spiel. Nach § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB V hat „die Apotheke“ „auf Wunsch des Versicherten“ „bei Abgabe eines Arzneimittels“ eine „insoweit erforderliche“ Aktualisierung des Medikationsplans vorzunehmen.

Nur für gesetzlich Versicherte

Publikum im BMP-Theaterstück sind nur gesetzlich Versicherte. Dieser Versicherte muss einen Medikationsplan haben und gleichzeitig gegenüber der Apotheke den Wunsch auf Aktualisierung äußern. Dieser Wunsch muss aber zwingend mit der Abgabe eines Arzneimittels (nicht notwendigerweise eines OTC-Arzneimittels) in der Apotheke verbunden sein. Kauf eines OTC-Arzneimittels oder eine Rezepteinlösung sind die Eintrittskarte für den Versicherten zur Aktualisierung; zur umsatz- und damit kostenlosen Vorstellung ist die Apotheke nicht verpflichtet. Ob er dazu berechtigt ist, verraten weder Gesetzgeber noch Vertragspartner als Autor und Coautor mit der nötigen Klarheit. Einerseits werden in § 1 Abs. 2 BMP Vertrag und BT-Drs. 18/6905, S. 64 andere Leistungserbringer bei der Aktualisierung des Medikationsplans erwähnt, andererseits sind die gesetzlichen Regelungen klar darauf ausgelegt, dass die Hauptrolle des Arztes beim BMP nicht durch interpretationsfreudige Nebendarsteller unterlaufen wird. Auf die Praxis hierzu darf man gespannt sein. Klar ist, dass jedem Nebendarsteller natürlich sein bisher praktizierter Medikationsplan über Stammkunden und Kundenkarte unter Beachtung der Vorgaben des Bundesdatenschutzes weiter offen steht. Der Versicherte kann also nicht mit seiner anderweitig erworbenen Hausapotheke, einem Rx-Arzneimittel, das er in der Nachbarapotheke eingelöst hat oder 3 OTC-Arzneimitteln in eine Apotheke kommen und eine Aktualisierung seines Medikationsplans verlangen. Eine Verpflichtung, das Publikum aufzuklären und auf den Aktualisierungsanspruch hinzuweisen, gibt es für die die Nebenrolle spielende Apotheke nicht. Das ist der Hauptrolle vorbehalten.

Fraglich ist, wer die Nebenrolle eigentlich genau spielt. Der Gesetzgeber spricht von „der Apotheke“. Die Parteien des BMP-Vertrages spezifizieren dies nicht weiter. Ist es eine Rolle für das pharmazeutische Personal nach § 1a Abs. 2 ApBetrO? Oder gar eine Tätigkeit für Approbierte? Oder können PKAs tätig werden, weil es keine pharmazeutische Handlungen sind? Die Vertragsparteien als Regisseure haben sich zwar in der Anlage 1 zum BMP-Vertrag Gedanken zu der Form von Aktualisierungen (auch handschriftlich), Umfang (so wenig als möglich) und Lesbarkeit (deutlich) gemacht, aber offen gelassen, wer diese Änderungen vornehmen kann/muss. Anders bei der Planerstellung selbst: Dies ist originäre Aufgabe des Arztes. Er entscheidet auch über die Aufnahme von durch die Apotheke vorgenommenen Änderungen des Medikationsplans. Daraus aber abzuleiten, dass die Aktualisierungspflicht damit beim Apotheker selbst als Pendant liegt, wäre verfehlt. Vielmehr kann pharmazeutisches Personal zum Einsatz kommen. Anhaltspunkte hierfür liefert § 3 Abs. 2 Satz 2 BMP-Vertrag: Ergänzungen werden aufgenommen, wenn dies aus Sicht der Apotheke pharmazeutisch notwendig ist. Für eine pharmazeutische Abwägung ist das gesamte pharmazeutische Personal nach § 1a Abs. 2 ApBetrO zuständig. Dieses darf nach § 20 Abs. 1 Satz 2 ApBetrO pharmazeutisch beraten, wenn dies der Apothekenleiter so festgelegt hat. PKA können dem pharmazeutischen Personal als Statisten assistieren und die von diesen getroffene pharmazeutische Entscheidung (Aufnahme/Nichtaufnahme) auf dem Plan bzw. der Anlage umsetzen. Insoweit besteht also ein Gleichlauf mit den Beratungspflichten nach § 20 ApBetrO.

Apotheke haftet für falsche Aktualisierungen

Aktualisierungen von der Apotheke müssen richtig sein; für Interpretationen ist kein Raum. Für falsche Aktualisierungen (z. B. falsche Dosierung, falscher Wirkstoff, falsche Größe etc.) kann die Apotheke haften, sofern der Patient hierdurch Schäden erleidet. Zwar weist der Medikationsplan ausdrücklich darauf hin, dass Aktualität und Vollständigkeit nicht gewährleistet sind; die dokumentierten Angaben müssen aber zum Zeitpunkt der Dokumentation jedenfalls objektiv stimmen, wenn auch nicht vollständig sein.

Bei Privatversicherten nicht in der Pflicht

Eine Pflicht der Apotheke zur Aktualisierung von Medikationsplänen bei privatversicherten Patienten gibt es nicht; selbst wenn private Krankenversicherungen die Kosten für die Erstellung eines Medikationsplans durch den Arzt übernehmen. Trägt ein Privatversicherter den Wunsch zur Aktualisierung eines Medikationsplans an die Apotheke heran, steht es dieser frei, dem Wunsch nachzukommen oder nicht. Die Apotheke kann hierfür auch nach vorheriger Aufklärung eine angemessene Vergütung verlangen.

Fehlende Rx-Arzneimittel: an Arzt verweisen!

Eine Verpflichtung der Apotheke den Medikationsplan generell auf Aktualität und Schlüssigkeit zu überprüfen, sehen weder Gesetz noch Vereinbarung zum BMP vor. Die Aktualisierung ist vielmehr grundsätzlich Aufgabe des Arztes. Äußert der Patient gegenüber der Apotheke den Wunsch auf Aktualisierung des Medikationsplans, weil er beispielsweise ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel nicht mehr einnimmt, hat der Apotheker den Patienten zur Aktualisierung an den Arzt zu verweisen. Zugaben des Apothekers sind ausgeschlossen. Die Apotheke hat keine Verpflichtung, die im Medikationsplan enthaltenen Medikamente auf ihre Wechselwirkungen/Kontraindikationen zu prüfen. Eine besondere Beratungspflicht sieht § 31a Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht vor. Es bleibt bei den allgemeinen Beratungs- und Aufklärungspflichten nach § 20 ApBetrO: Wenn sich aus dem von der Apotheke neu abzugebenden Arzneimittel Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit Arzneimitteln aus dem Medikationsplan ergeben, ist der Patient hierüber zu informieren. Eine Verpflichtung der Apotheke, Patienten nach dem Medikationsplan zu fragen oder sich diesen vorlegen zu lassen, gibt es aber nicht. Versicherte müssen den Medikationsplan auch nicht bei sich haben oder vorlegen.

Das Problem Datenschutz

Spielt das Publikum mit, gibt es sensible Informationen von sich preis. Der BMP gibt Aufschluss über unterschiedlichste Krankheiten, auch wenn der Versicherte darauf hinwirken kann, dass z. B. Arzneimittel, die auf HIV oder MS hindeuten, nicht genannt werden. Spezifische Vorgaben für den Umgang mit diesen Daten bei der Ausstellung und Aktualisierung des BMP fehlen im aktuellen Drehbuch. Datenschutzrechtliche Fragestellungen werden nur im Zusammenhang mit der eGK geregelt, welche ab 1. Januar 2019 den Medikationsplan in Papierform ablösen soll; ein Stück, das in ferner Zukunft spielt. Der Versicherte ist aber Herr seines Medikationsplans; er entscheidet, was in den BMP aufgenommen wird und wem er diesen zeigt. Eine Übertragbarkeit der Eintrittskarte hat der Drehbuchschreiber nicht vorgesehen. Mangels spezieller Regelungen gelten für die Erhebung und Verarbeitung der im BMP zusammengefassten Kundendaten die allgemeinen ­datenschutzrechtlichen Vorgaben. Eine Erhebung und Verarbeitung der besonders sensiblen Kundendaten ist danach nur zulässig, wenn der Kunde einwilligt, eine gesetzliche Grundlage existiert oder die Erhebung und Verarbeitung der Daten von Gesetzes wegen gefordert wird.

Angesichts der Verpflichtung der Apotheken nach § 31a Abs. 3 SGB V zur Aktualisierung von Medikationsplänen bei der Abgabe eines Arzneimittels, bedarf es keiner (schriftlichen) Einwilligung für das Einlesen, Aktualisieren und Ausdrucken des BMP. Dies gilt unabhängig davon, ob die Aktualisierung handschriftlich auf dem BMP vermerkt wird oder über die Apothekensoftware erfolgt. Die Erhebung und Verarbeitung der Kundendaten im Rahmen der Aktualisierung des BMP durch eine Apotheke ist zur Gesundheitsversorgung bzw. zur Verwaltung von Gesundheitsdiensten erforderlich, so dass eine Einwilligung des Kunden in die Verarbeitung seiner Daten jedenfalls nach § 28 Abs. 7 BDSG entbehrlich ist.

Unklar ist indes, wie die Apotheke ihre Nebenrolle „festhalten“ darf. Darf sie die Aktualisierung des BMP in ihrer Apothekensoftware dokumentieren oder sind sämtliche Kundendaten nach Ausdruck des aktualisierten BMP zu löschen? Anders als bei dem den BMP erstellenden Vertragsarzt, der nach § 630f BGB ausdrücklich zur Dokumentation der Behandlung in der Patientenakte gesetzlich verpflichtet ist, unterliegen Apotheken keiner generellen gesetzlichen Dokumentationspflicht; die bestehenden Dokumentationspflichten normiert die Apothekenbetriebsordnung z. B. in §§ 17, 18, 19, 22. Daher bedürfen Apotheken zur Speicherung von Daten ihres Publikums in einer eigenen Medikationsdatei oder im Rahmen von Kundenbindungsprogrammen (z. B. Kundenkarte) einer (schriftlichen) Einwilligungserklärung des Kunden gemäß § 4a BDSG, aus der hervorgeht, welche Daten des Kunden zu welchen Zwecken von der Apotheke gespeichert werden. § 28 Abs. 7 BDSG bietet hierfür in der Regel keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage, da das Anlegen einer Medikationsdatei in der Apotheke zur Gesundheitsversorgung der Kunden nicht zwingend erforderlich ist. Es lässt sich allerdings gut vertreten, dass eine reine Speicherung der Aktualisierung (und nur dieser!) in der Apothekensoftware zu Dokumentationszwecken – auch mit Blick auf etwaige Haftungsfragen – nach § 28 Abs. 7 BDSG erlaubt ist, ohne dass die Apotheke hierzu das Publikum in jedem Einzelfall um eine schriftliche Einwilligung ersuchen muss.

Zur Vermeidung von Textunsicherheiten ist es ratsam, im Qualitätsmanagementsystem nach § 2a ApBetrO einen Abschnitt zur Behandlung des BMP (wer, wie, wann etc.) aufzunehmen. Unnötige Diskussionen mit den Aufsichtsbehörden als Kritikern, ob die BMP-Tätigkeit ein Apothekenablauf ist, den der Verordnungsgeber vor Augen hatte, sollten vermieden werden.

Eine gute Idee führt noch lange nicht zu einem erfolgreichen Stück. Ob sich der BMP jedenfalls in Papierform durchsetzt, ist angesichts der unglücklich verteilten Rollen zweifelhaft. |

Autoren

Dr. Torsten Gerhard ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Datenschutz-Experte in der Stuttgarter Kanzlei Oppenländer Rechtsanwälte.


Dr. Timo Kieser ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Gesundheits- und Apothekenrechtsexperte bei Oppenländer. Unter anderem ist er Mit-Autor des im DAV erschienenen Apothekengesetz-Kommentars.

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