Arzneimittel und Therapie

Eine schwierige Entscheidung!

Über- und Untertherapie vermeiden

Molekular-pathologische Genexpressionstests sollen bei der Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie beim primären Mammakarzinom helfen. Jetzt wird postuliert, dass ein Gentest wie der Mammaprint® vielen Patientinnen eine Chemotherapie ersparen könnte. Wir baten Prof. Dr. Nadia Harbeck vom Brustzentrum der Universität München um eine Einschätzung.
Prof. Dr. Nadia Harbeck

DAZ: Wie bewerten Sie die Aussagekraft der Mindact-Studie?

Harbeck: Die Mindact-Studie hatte einen sehr komplexen Aufbau. Es wurden Frauen mit einem frühen Mammakarzinom eingeschlossen, bei denen weniger als drei Lymphknoten befallen waren. Ob bei ihnen eine adjuvante Chemotherapie sinnvoll ist oder nicht, hängt von vielen klinischen und pathologischen Parametern ab, die eine Entscheidung sehr schwer machten. Hier können biomarkerbasierte Tests helfen. Erstmals wurde in dieser Studie nicht nur nach der Fünf-Jahres-Überlebensrate geschaut, sondern auf die Diskrepanz zwischen einer klinischen Einschätzung durch Ärzte und einer Einschätzung anhand des Gen­expressionsprofils. Bei den Frauen, die aufgrund der rein klinischen Entscheidung eine Chemotherapie erhalten hätten, bei denen aber aufgrund des Gentests darauf verzichtet werden konnte (ca. 25%), lebten nach fünf Jahren 94,4% ohne Fernmetastasen. Bei den Frauen, die eine Chemotherapie erhalten hatten, waren das 95,9%. Das heißt, der Nutzen der Chemothe­rapie war nur geringfügig. Mit dem prognostischen Gentest könnte es möglich werden, zukünftig bei einigen Patientinnen nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung auf eine Chemotherapie zu verzichten.

DAZ: Und wie viele Frauen könnten wirklich davon profitieren?

Harbeck: Wichtig ist, dass diese Genexpressionsanalysen nur sinnvoll sind bei ausgewählten Patientinnen mit einer Ersterkrankung, wenn alle anderen Kriterien keine Therapieentscheidung zulassen. Das umfasst nur Frauen mit primärem Hormonrezeptor-positivem, HER2-negativem Mammakarzinom und bis zu drei befallenen Lymphknoten. In Deutschland rechnet man mit ca. 75.000 Ersterkrankungen, davon erfüllen 25.000 bis 30.000 Frauen die genannten Kriterien, sodass die Tests Sinn machen. Ca. 10.000 bis 25.000 Chemotherapien könnten vermieden werden.

DAZ: Wie schätzen Sie das Verhältnis von Nachteilen aufgrund einer nicht durchgeführten Chemotherapie vs. Toxizität aufgrund einer Chemotherapie ein?

Harbeck: Dass die Patientinnen möglichst eine Chemotherapie vermeiden möchten, ist verständlich. Ein Übertherapieren sollte unbedingt vermieden werden: Nur wenn der absolute Nutzen größer eingeschätzt wird, als die zu erwartenden unerwünschten Wirkungen (1 bis 2%), sollte eine Chemotherapie durchgeführt werden. Aber genauso muss auch ein Untertherapieren vermieden werden: Patientinnen, die ein hohes Risiko haben, müssen auch therapiert werden. Das heißt, diese Testsysteme ermöglichen in beide Richtungen eine bessere Therapie.

DAZ: Werden Gentests zunehmend in den klinischen Alltag integriert?

Harbeck: Ja, ganz bestimmt. Nachdem diese bereits seit Jahren verfügbar sind, hat vor einem Jahr die Arbeitsgemeinschaft Onkologie (AGO) die Empfehlung in ihre Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bei primärem und metastasiertem Brustkrebs aufgenommen, wenn die klinischen Faktoren nicht ausreichend für eine Therapieentscheidung sind, einen molekular-pathologischen Genexpressionstest zur Unterstützung durchzuführen. Die ärztlichen Kollegen setzen verstärkt diese Tests ein.

DAZ: Wie bewerten Sie die Entscheidung, dass in der Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung nun auch gesetzlich versicherte Patienten mit den Genexpressionstests versorgt werden können?

Harbeck: Das ist eine tolle Entscheidung, ein Schritt in die richtige Richtung für die Patientinnen – und eine Wertschätzung für die modernen Testsysteme. Allerdings reicht das bei Weitem nicht für eine flächendeckende Versorgung der Patientinnen aus, da die Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung noch sehr wenig umgesetzt wird. Zertifizierte Brustkrebszentren, von denen es ca. 250 in Deutschland gibt, sind oftmals die ersten Anlaufstellen. Für sie wurde die Regelung zur Übernahme der Genexpres­sionstests aber noch nicht umgesetzt. Beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) liegt zur Zeit der Vorbericht vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zur vorläufigen Nutzenbewertung von biomarkerbasierten Tests zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemische Chemotherapie beim primären Mammakarzinom vor. Bis Ende dieses Jahres wird hoffentlich eine Aussage vom G-BA über die Abrechnungsfähigkeit und eine Ziffer im Erstattungskatalog vorliegen. Dies würde den Patientinnen und den Ärzten eine große Sicherheit hinsichtlich der Kostenübernahme bieten.

DAZ: Frau Professor Harbeck, vielen Dank für das Gespräch! |

Prof. Dr. Nadia Harbeck, Leiterin des Brustzentrums und der Onkologischen Tagesklinik am Klinikum der Universität München, www.klinikum.uni-muenchen.de

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