Arzneimittel und Therapie

AMNOG bremst die Entwicklung von Psychopharmaka

Ein Gastkommentar von Univ.-Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux

Univ.-Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux

Hintergrund für die Marktrücknahme von Vortioxetin ist, dass dem Arzneimittel im Rahmen des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) kein Zusatznutzen gegenüber einer „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ bescheinigt wurde. Das AMNOG-Verfahren ist ein sehr formaler und methodisch getriebener Prozess. Weil häufig direkte Vergleichsstudien fehlen, muss ein indirekter Vergleich auf metaanalytischer Ebene erfolgen. Kontrollierte Studien mit theorielastigen Kriterien werden von Biometrikern und Statistikern ausgewählt und für die Entscheidung herangezogen. Klinische Gesichtspunkte werden überwiegend ausgeblendet, der praktischen Behandlungserfahrung kommt kein Stellenwert zu, nur randomisierte, möglichst Placebo-kontrollierte, doppelblinde Studien zählen. Das Verfahren leidet an der fehlenden Berücksichtigung klinischer Experten. Dies beginnt bei der Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie: Oft werden generische Präparate bevorzugt, auch wenn diese kaum verordnet werden (z. B. Fluvoxamin).

Das AMNOG sieht die Zusammenarbeit mit Fachgesellschaften „nur nachrangig“ vor. Der Zwang zur standardisierten Vergleichstherapie, die einen individuellen Zusatznutzen nicht vorsieht, die ungenügende Berücksichtigung von Leitlinien, das Fehlen einer Definition klinisch relevanter Endpunkte und Subgruppen-Analysen – aufgrund des stark formalisierten Bewertungsprozesses kann keine adäquate Beurteilung des Zusatznutzens innovativer Arzneimittel erfolgen [6].

Die Depression ist eine komplexe Erkrankung mit Subtypen und verschiedenen Leit- und Zielsymptomen. Die heterogenen Patientenkollektive egalisieren sich aufgrund des Einheits-Studiendesigns. Im Bewertungsverfahren werden nur globale Mittelwerte ohne klinische Aspekte berücksichtigt.

Kein Anreiz für Forschung

Lundbeck war in den Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband zu deutlichen Zugeständnissen bereit: Angeboten wurde ein Preis, der weit unter dem europäischen Durchschnittspreis für Brintellix® von 1,25 Euro lag. Kompromissvorschläge, zu denen neben einer deutlichen Preisreduktion auch eine mögliche Beschränkung auf eine Behandlung in der zweiten oder dritten Therapielinie gehörte, wurden nicht akzeptiert. Ein Teil der vorgelegten positiven Studien, zum Beispiel zur Wirksamkeit versus Agomelatin, zur Fahrtauglichkeit versus Mirtazapin, zu kognitiven Effekten versus Duloxetin, wurde nicht berücksichtigt.

Angesichts der Milliardensummen, die in den letzten Jahren für die Durchführung Placebo-kontrollierter Studien investiert wurden, können die Hersteller heute kaum noch damit rechnen, für ihre neuentwickelte Substanz eine entsprechende Vergütung zu erhalten. Durch das AMNOG-Verfahren mit einer biometrisch-statistisch dominierten Zusatznutzen-Bewertungs-Hürde wenden sich die pharmazeutischen Unternehmen aussichtsreicheren Medikamenten-Entwicklungen zu (z. B. Onkologie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen), die im Markt refinanzierbar sind.

In Deutschland übernimmt die GKV für die zumeist nur kurze Zeit lebensverlängernde Krebsbehandlung Tages-Therapiekosten von bis zu 300 Euro, ebenso Kosten für fragwürdige „komplementär-alternative“ Therapien ohne Wirksamkeitsnachweis. Die Therapie mit wirksamen Antidepressiva liegt dagegen auf dem „Kaugummi-Preisniveau“ (durchschnittliche Tages-Therapiekosten ca. 30 Cent! [10]). Patientengruppen und ihre Interessen werden eben sehr unterschiedlich wahrgenommen und gehört. Im „reichen“ Deutschland wird offenbar psychischen Erkrankungen wenig „Wert“ zuteil [9]. In vielen europäischen Ländern erfolgt für Vortioxetin eine faire Kostenpreis­erstattung mit Nutzenanerkennung.

Die ZNS-Forschung und Entwicklung von Neuro-Psychopharmaka ist unter anderem wegen fehlender Tiermodelle und Langzeitverläufen aufwendiger und wird durch AMNOG weiter erschwert – es ist deshalb zu einem Stillstand in der Entwicklung neuer Psychopharmaka gekommen [4, 5]. Das gegenwärtige System der frühen Nutzenbewertung und die darauf aufbauende Preisregulierung in der GKV für die Behandlung chronischer Erkrankungen hat nachhaltig negative Konsequenzen. Sinnvoll wäre es, einen „Zusatznutzen“ erst nach mehrjähriger Praxiserfahrung zu evaluieren. Auch könnten Kostenerstattungen für definierte Subgruppen und Indikationen im Sinne der „personalisierten, individuellen Therapie“ erfolgen.

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