Die Seite 3

Weitreichende Folgen

Dr. Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

Das beherrschende Thema bleibt die jüngste Entwicklung im Verfahren über das deutsche Verbot für Boni auf verschreibungspflichtige Arzneimittel vor dem Europäischen Gerichtshof – und die Sorgen darüber erscheinen mehr als berechtigt (s. „Schlussanträge ‚nicht nachvollziehbar‘“, S. 11 dieser DAZ). Bisher haben sich die Apotheker und besonders die ABDA darauf verlassen, dass Festpreise für Rx-Arzneimittel als Eingriff in den Markt wegen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt seien. Doch der Generalanwalt hat diese Rechtfertigung infrage gestellt. Nun könnte sich bitter rächen, die ganze Strategie auf nur einer Argumentation aufgebaut zu haben.

Allzu leichtfertig hat die ABDA in der öffentlichen Debatte und möglicherweise auch vor Gericht versäumt, eine weitere Argumentationslinie herauszuarbeiten. In den meisten Darstellungen wird nämlich unterstellt, dass ein Eingriff vorliegt, der einer Rechtfertigung bedarf. Doch worin besteht dieser Eingriff überhaupt? Wo ist das Handelshemmnis? Der Sinn der europäischen Grundfreiheiten ist, EU-Ausländer gegenüber Inländern nicht zu benachteiligen. Das geschieht bei der Preisbindung nicht, denn sie gilt für alle gleich. Die Preisbindung ist damit – entgegen häufigen Behauptungen – keine „Maßnahme gleicher Wirkung“ wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung. Es wäre Sache der ABDA gewesen, die Thesen über angebliche Benachteiligungen ausländischer Apotheken als verstiegen und lebensfremd zu entlarven.

Entscheidend ist dagegen, dass in den Rechtsgebieten mit nationaler Regelungskompetenz auch Ausländer grundlegende nationale Vorschriften einhalten müssen. Denn wenn das nicht mehr gelten würde, bräuchten Ausländer weder nationale Qualifikationen noch die Apothekenpflicht oder diverse Verbraucherschutzvorschriften zu beachten. Die Folge wäre eine massive Inländerdiskriminierung. Das könnten die Mitgliedstaaten nicht durchhalten und müssten dann ihre eigenständige Gesetzgebung auch in solchen Rechtsgebieten aufgeben, die nach den Regularien der EU in nationaler Verantwortung liegen.

Bei dem laufenden Verfahren geht es also nicht nur um Arzneimittelpreise, sondern grundsätzlich um die Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten. Dies wiederum macht Hoffnung. Denn angesichts der wachsenden Europa-Skepsis und des befürchteten Brexits wäre es für die EU nicht klug, das Machtgefüge gerade jetzt noch mehr zulasten der Mitgliedstaaten zu verschieben.

Sollte es allerdings anders kommen, wären die Folgen für die deutschen Apotheken dramatisch. Feste Preise wären auch im Inland nicht mehr zu halten. Das Ergebnis wären Beitrittsverträge, in denen die Krankenkassen den Apotheken unterschiedliche Boni oder Abschläge auf die Listenpreise diktieren. Für jeden Kunden müsste dann – wie jetzt bei Hilfsmitteln – erst einmal geklärt werden, ob diese Apotheke überhaupt lieferberechtigt ist. Ein solches System wollen die deutschen Patienten bestimmt nicht haben. Wenn es doch käme, würde der Zorn über unerwünschte Folgen der EU viel neue Nahrung erhalten. Das kann kein überzeugter Europäer wirklich wollen. Daher bleibt jetzt zu hoffen, dass die Richter beim Europäischen Gerichtshof die weitreichenden Folgen ihres Tuns bedenken werden.


Dr. Thomas Müller-Bohn

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