Hintergrund

Vom ersten Apothekenurteil bis zur Nullretaxation

Richtungsweisende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

ks | Das Bundesverfassungsgericht hat sich schon früh mit Apotheken beschäftigt. Jeder Jura-Student kennt die schlicht als „Apotheken-Urteil“ bezeichnete Entscheidung vom 11. Juni 1958 (Az.: 1 BvR 596/56). Es ist das Grundsatzurteil zur Auslegung des Artikels 12 Grundgesetz (GG), der die Berufsfreiheit regelt. Geklagt hatte ein Apotheker, der sich durch bayerische Regelungen zur Niederlassung von Apotheken eingeschränkt sah. Mit dem Urteil konstituierte das Bundesverfassungsgericht seine „Drei-Stufentheorie“, die auch heute noch herangezogen wird, um zu beurteilen, ob ein Eingriff in die Berufsfreiheit gerechtfertigt ist. Diese Enscheidung besiegelte zudem nicht zuletzt das Bekenntnis zur Niederlassungsfreiheit von Apotheken.

Auch in den folgenden Jahrzehnten waren Apotheken immer wieder ein Thema vor dem Bundesverfassungsgericht. So entschieden die Karlsruher Richter etwa im Jahr 2002, dass der Ausschluss der Apotheken von der Teilnahme an verkaufsoffenen Sonntagen nach dem damals geltenden Ladenschlussgesetz mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar ist. Die entsprechende Vorschrift erklärten sie für nichtig (Urteil vom 16. Januar 2002, Az.: 1 BvR 1236/99). Ebenfalls für verfassungswidrig hielt das Bundesverfassungs­gericht das gesetzliche Verbot für Apotheker, Impfstoffe an Ärzte zu versenden und hierfür zu werben. Auch hierdurch seien sie in ihrem Grundrecht auf freie Berufsausübung verletzt. (Beschluss vom 11. Februar 2003, Az.: 1 BvR 1972/00, 1 BvR 70/01).

Mit dem im Dezember 2002 verabschiedeten Beitragssatzsicherungs­gesetz befasste sich das Bundesverfassungsgericht ebenfalls. Die damalige rot-grüne Bundesregierung wollte mit dem Vorschaltgesetz für das 2004 in Kraft getretene GKV-Modernisierungsgesetz die finanzielle Basis der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung stärken und der GKV finanziellen Spielraum für strukturelle Reformmaßnahmen verschaffen. Um die Arzneimittelausgaben zu senken, sollten unter anderem Apotheker, Großhändler und Arzneimittelhersteller im Jahr 2003 höhere Rabatte an die Kassen gewähren. Unter anderem Apotheker zogen deshalb vor das Bundesverfassungsgericht. Sie wollten das Gesetz noch vor seinem Inkrafttreten stoppen. Sie bemängelten, es fehle ihm an der erforderlichen Zustimmung durch den Bundesrat. Zudem seien die Eingriffe in ihre Berufsausübungsfreiheit unverhältnismäßig. Das Bundesverfassungsgericht hielt das Gesetz jedoch für verfassungskonform (Beschlüsse 14. und 15. Januar 2003, Az.: 1 BvQ 51/02, 1 BvQ 53/02, 1 BvQ 54/02; Urteil vom 13. September 2005, Az.: 2 BvF 2/03).

Für das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung bedeutsam war der sogenannte Nikolaus-Beschluss, der seinen Namen dem Datum seiner Verkündung zu verdanken hat (Beschluss vom 6. Dezember 2005, Az.: 1 BvR 347/98). Das Bundesverfassungsgericht entschied seinerzeit, dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) nicht vereinbar ist, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen – jedenfalls dann, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Dieser Beschluss fand später Eingang in das Sozialgesetzbuch 5. Buch (§ 2 Abs. 1a SGB V).

Erfolglos blieben hingegen spätere Verfassungsbeschwerden von Apothekern gegen die sogenannte Retaxation auf Null bei der Nichtbeachtung von Rabattverträgen. Die Richter nahmen sie nicht zur Entscheidung an, für die Verletzung von Grundrechten durch die angegriffenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts sei nichts ersichtlich (Beschluss vom 7. Mai 2014, Az.: 1 BvR 3571/13).

Zuletzt wies das Bundesverfassungs­gericht zudem mehrere Verfassungsbeschwerden zurück, mit denen gerügt wurde, dass sich auch EU-auslän­dische Versandapotheken an die Arzneimittelpreisverordnung halten müssen, wenn sie Kunden in Deutschland beliefern. Es sah hier weder eine Verletzung von Artikel 12 Grundgesetz, noch seien die Beschwerdeführer ihrem Recht auf einen gesetzlichen Richter entzogen, weil deutsche Obergerichte darauf verzichtet hatten, den Europäischen Gerichtshof anzurufen (Beschlüsse vom 24. März 2016, Az.: 2 BvR 1305/10, 2 BvR 1546/13, 2 BvR 2081/08, Beschluss vom 31. März 2016, Az.: 2 BvR 929/14).

Derzeit ist eine Verfassungsbeschwerde von Apothekern anhängig, die sich gegen das Urteil des Bundessozialgerichts zu den Zyto-Ausschreibungen der AOK Hessen richtet. Auch hier hatte es Nullretaxationen gegeben – gegen Apotheken, die ohne Vertrag mit der AOK krebskranke AOK-Versicherte versorgt hatten. Ob das Bundesverfassungsgericht auch diese deutlich spürbaren Rechnungskürzungen noch für verfassungsrechtlich unbedenklich hält, muss sich nun weisen. Der Fall ist dem Zweiten Senat zugeordnet – Professor Kirchhof wollte sich daher nicht zu dem Fall äußern. |


Lesen Sie dazu auch "Die Selbstverwaltung hat sich historisch bewährt"

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.