Arzneimittel und Therapie

Tod durch medizinische Behandlungsfehler

Dritthäufigste Todesursache in den USA

Medikations- und Behandlungsfehler tauchen in den statistischen Erhebungen zu Todesursachen nicht auf und sind daher besonders schwer zu beziffern. Dass es sich in den USA um die dritthäufigste Todesursache handeln soll, wie amerikanische Wissenschaftler nun abgeschätzt haben, erschreckt ungemein.
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Medizinische Behandlungsfehler werden vergleichsweise wenig in der Öffentlichkeit beachtet, was daran liegen kann, dass große Unwissenheit über die Häufigkeit ihres Auftretens und die nicht immer harmlosen, sondern auch tödlichen Konsequenzen der Medikations- und Behandlungsfehler besteht. Während kardiovaskuläre und onkologische Erkrankungen gefürchtet und für die häufigsten Todesfälle in den Industrienationen verantwortlich gemacht werden müssen, fristen die medizinischen Behandlungsfehler ein Schattendasein. Niemand will hierfür verantwortlich sein, niemand will wissen, dass medizinische Behandlungen auch fehlerbehaftet und im schlimmsten Fall zum Tod führen können. Ein großes Problem bei der Erfassung von tödlichen Medikations- und Behandlungsfehlern besteht darin, dass sie als Todesursache nicht immer in Betracht gezogen werden und unerkannt bleiben, z. B. wenn sich ein Behandlungsfehler bei einem Menschen mit reduziertem Allgemeinzustand und begrenzter Lebenserwartung ereignet hat und er daran verstirbt. Todesfälle aufgrund einer medizinischen Behandlung lassen sich aber auch deswegen nicht einfach zählen, weil keine Möglichkeit besteht, sie standardisiert z. B. auf dem Totenschein zu dokumentieren. Gemäß der WHO werden nämlich die Todesursachenstatistiken in 117 Staaten auf Basis des ICD-Systems (International Classification of Diseases) erstellt, so auch in Deutschland. Allerdings ist die ICD-Codierung nicht dafür geeignet, Todesursachen aufgrund von Medikations- und Behandlungsfehlern, die z. B. auf menschliches Versagen oder Fehler im System zurückzuführen sind, zu erfassen, da es hierfür keine ICD-Ziffer gibt.

Bisherige Zahlen zu niedrig

Um sich der Anzahl tödlicher Zwischenfälle in der Medizin zu nähern, ist die Auswertung von Totenscheinen demnach nicht geeignet. Zwei Wissenschaftler der Johns Hopkins University vollzogen eine Analyse bisher veröffentlichter Studien, welche Anfang Mai im British Medical Journal publik wurde [1]. Nicht verwendet wurde die am häufigsten zitierte Arbeit zu jährlichen Todesraten aufgrund von Medikations- und Behandlungsfehlern, der 1999 vom amerikanischen Institute of Medicine (IOM) veröffentlichte Report „To err is human: building a safer health system“. Die hier genannten 44.000 bis 98.000 jährlichen Todesfälle in den USA aufgrund von Fehlern in der Behandlung beruhten auf Studienergebnissen aus den Jahren 1984 und 1992 und können als veraltet bezeichnet werden. Zudem geht man bei den Zahlen von einer Unterschätzung des Problems aus. Daher betrachteten die Wissenschaftler Makary und Daniel vier Studien zwischen 2000 bis 2008, die sich allesamt mit Todesfällen aufgrund von Medikations- und Behandlungsfehlern innerhalb eines Krankenhauses bzw. bei Aufnahme befassten. Sie errechneten daraufhin einen Mittelwert von 251.454 Todesfällen pro Jahr in amerikanischen Krankenhäusern durch medizinische Behandlungsfehler und gehen davon aus, dass dieser Wert den wahren Wert unterschätzt. Gründe hierfür sind, dass die verwendeten Studien nur solche Todesfälle berücksichtigten, die in den Krankenakten ersichtlich waren und dass keine außerstationären Todesfälle betrachtet wurden. Makary und Daniel kommen im Vergleich mit der jährlichen Mortalitätsstatistik zum Schluss, dass Medikations- und Behandlungsfehler nach Herzerkrankungen und Krebs die dritthäufigste Todesursache sind und ihnen daher mehr Aufmerksamkeit gebührt.

Daten für Deutschland

Auch in Deutschland ist nicht genau bekannt, welches Ausmaß Medikations- und Behandlungsfehler haben und wie hoch die Rate an tödlichen Ereignissen ist. Zahlen und wichtige Erkenntnisse sollen zwei aktuelle Forschungsprojekte des vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderten „Aktionsplan AMTS“ („Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland“) liefern. Dieser bündelt seit 2007 die nationalen Bemühungen und Initiativen um eine Optimierung und Wahrung der AMTS. Das Projekt des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beschäftigt sich mit dem Ausmaß und der Häufigkeit von Medikationsfehlern im medizinischen Alltag (geplanter Abschluss Anfang 2018) [2]. Die prospektive Studie wird an drei zentralen Notaufnahmen von Kliniken der Maximalversorgung durchgeführt. Das Projekt der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) startete parallel Anfang 2015. Es handelt sich um eine Machbarkeitsstudie zur systematischen Erfassung und Bewertung von Medikationsfehlern auf Grundlage ärztlicher Meldungen innerhalb eines erweiterten Spontanmeldesystems für Nebenwirkungen [3].

Weshalb messen?

Die Autoren fordern, in allen Bereichen des Gesundheitswesens größte Anstrengungen zu unternehmen, um Fehler in der medizinischen Behandlung zu vermeiden. Gänzlich können sie nicht eliminiert werden, da weder Mensch noch Maschine sowie deren Zusammenspiel fehlerfrei sind. Sie empfehlen insbesondere, das Melde- und Dokumentationsverhalten von (tödlichen) Medikations- und Behandlungsfehlern zu verbessern. Nur wenn Fehler sichtbar gemacht werden und die Dimension des Problems bekannt wird, können Vermeidungsstrategien für die Zukunft entwickelt werden. Nach dem Prinzip „Aus Fehlern lernen“ könnten somit besonders fehleranfällige oder risikobehaftete Prozesse identifiziert und immer wiederkehrende Fehlertypen erkannt werden. Die Autoren schlagen vor, drei wesentliche Schritte bei der Entwicklung von Strategien zur Vermeidung von Todesfällen in der Medizin zu berücksichtigen:

  • Fehler müssen unmittelbar dann, wenn sie sich ereignet haben, sichtbarer gemacht werden, um ihre Auswirkungen rechtzeitig abzufangen und Schäden abzuwenden.
  • Fehler müssen adäquat adressiert werden, das heißt, es sollten Arzneimittel und Maßnahmen verfügbar sein, um Patienten nach Auftreten eines Medikations- oder Behandlungsfehlers zu retten.
  • Das Auftreten von Fehlern muss reduziert werden, indem besonders der Faktor „Mensch“ berücksichtigt wird. Hierzu zählt, dass ein jeder eine erhöhte Aufmerksamkeit und geschärftes Bewusstsein bezüglich Fehlern zeigt und auch bereit ist, Hilfe zu rufen und in Anspruch zu nehmen. Dieser Schritt kann nur dann vollzogen werden, wenn eine Sicherheitskultur geschaffen und etabliert wurde, die es ermöglicht, Fehler einzugestehen und weg vom „Sündenbock“-Denken zu kommen.

Begrenzte Verbreitung

Die Autoren beklagen in ihrem Artikel, dass (tödliche) Zwischenfälle aufgrund von Medikations- und Behandlungsfehlern sowie Präventionsstrategien derzeit in kleinen Kreisen, zum Beispiel der Umgebung eines Krankenhauses, diskutiert werden und die gewonnenen Erkenntnisse nicht über die Grenzen dieses Bereichs hinaus bekannt werden. Es mangelt an Transparenz. In Deutschland ist dies nicht anders, es gibt aber beispielsweise seit 2004 ein Fehlerberichts- und Lernsystem für Hausarztpraxen (www.jeder-fehler-zaehlt.de). In der Datenbank sind derzeit 854 anonyme Meldungen zu Fehlern, Beinahe-Fehlern und kritischen Ereignissen enthalten, über besonders interessante Berichte wird im Bereich „Fehler des Monats“ informiert. Durch Datenbanken dieser Art ist es möglich, aus Fehlern anderer zu lernen. Wünschenswert wäre, Daten nicht nur national sondern auch international zu teilen, ähnlich wie andere Erkenntnisse in der Medizin verbreitet werden. |

Quelle

[1] Makary MA, Daniel M. Medical error – the third leading cause of death in the US. BMJ 2016;353:12139

[2] Medikationsfehler als Ursache für Krankenhauseinweisungen: BfArM startet neues Forschungsprojekt. Pressemitteilung des BfArM vom 28. November 2014, www.bfarm.de, Zugriff am 8. Mai 2016

[3] AkdÄ startet Projekt zur Erfassung und Bewertung von Medikationsfehlern. Pressemitteilung der AkdÄ vom 11. Februar 2015, www.akdae.de, Zugriff am 8. Mai 2016

Apothekerin Dr. Verena Stahl

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