Arzneimittel und Therapie

Keine Überraschung

Ein Kommentar von Prof. Dr. Burkhard Hinz

Prof. Dr. Burkhard Hinz, Direktor des Instituts für Toxikologie und Pharmakologie, Universitätsmedizin Rostock

Kein Analgetikum stand in den letzten Jahren mehr im Zentrum oftmals sehr emotional geführter Diskussionen als Paracetamol. Mitte der 1950er Jahre eingeführt, entwickelte sich Paracetamol schnell zu einem häufig eingesetzten Analgetikum im nicht-verschreibungspflichtigen Bereich. Die Fachgesellschaften zogen nach und machten Paracetamol zur ersten Wahl bei der Therapie von Osteoarthrose-Schmerzen. Diese Entscheidung erschien rational, zeigt die Substanz doch eine im Vergleich zu nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) bessere gastrointestinale Verträglichkeit. Auch die in den vergangenen Jahren auf Basis neuer Beobachtungsstudien wiederholt vorgetragenen Sicherheitszweifel [1, 2] konnten diesem Standing offensichtlich nichts anhaben.

Aussagekräftiger sind nun Bedenken hinsichtlich der analgetischen Effizienz dieses Arzneistoffs. So wurde Paracetamol bereits in einer 2015 veröffentlichten Metaanalyse eine fehlende Wirksamkeit bei Rückenschmerzen bescheinigt [3]. Eine Analyse placebokontrollierter Studien in der gleichen Arbeit ergab für Para­cetamol zwar eine messbare Wirkung bei Hüft- und Kniegelenksarthrose, Letztere wurde jedoch als klinisch nicht relevant eingestuft [3]. Noch eindeutiger fällt jetzt das Urteil in der bisher größten Metaanalyse randomisierter Studien zur Wirksamkeit von Analgetika bei Osteo­arthrose aus [4]. Fazit der Netzwerk-Analyse: Paracetamol zeigt bei der Behandlung von Osteoarthrose-Schmerzen in sämtlichen Dosierungen (bis zu 4 g/Tag) keine klinisch relevante Wirkung. Eine zuverlässige Wirkung bezüglich Schmerz­reduktion wie auch Verbesserung der Bewegungseinschränkung konnte allein nach Gabe von Diclofenac (150 mg/Tag) registriert werden. Neben Diclofenac vermittelt auch Etoricoxib (60 mg/Tag) mit 100%iger Wahrscheinlichkeit eine klinisch bedeutsame Schmerzlinderung.

Überraschend sind diese Befunde keineswegs: Paracetamol ist ein vergleichsweise schwacher Hemmer des Enzyms Cyclooxygenase 2 (COX-2), das für die Synthese entzündungsfördernder Prostaglandine verantwortlich ist. So lässt sich nach Gabe von 1 g Paracetamol die für eine analgetische Wirkung notwendige ca. 80%ige COX-2-Hemmung nur zum Zeitpunkt der maximalen Plasmakonzentration nachweisen [5]. Anders Diclofenac: Nach ca. einwöchiger Gabe (2 × 75 mg/Tag) ruft die Substanz eine > 90%ige COX-2-Hemmung über das gesamte Dosierungsintervall hervor. Das NSAR vermittelt in vivo zudem eine stärkere COX-2-Hemmung als Coxibe (Diclofenac > Etoricoxib > Celecoxib) [6, 7]. Vergleicht man weiterhin die Diclofenac- und Paraceta­mol-­Plasmakonzentrationen, die für eine halbmaximale COX-2-Hemmung notwendig sind, fällt der entsprechende Diclofenac-Wert 478-fach geringer aus [5, 6].

Zusammenfassend wird durch die Ergebnisse der vorliegenden Metaanalyse erneut und eindringlich die Sinnhaftigkeit des Einsatzes von Paracetamol bei Osteoarthrose infrage gestellt. Zu bedenken ist dabei auch, dass eine ausbleibende oder nachlassende Schmerzhemmung zu ungewollten Paracetamol-Überdosierungen führen kann [8] – ein Umstand, den es im Hinblick auf die geringe therapeutische Breite von Paracetamol (Hepatotoxizität) unbedingt zu vermeiden gilt! Auf der anderen Seite lässt sich zu Recht auf das gastrointestinale und kardiovaskuläre Risiko einer NSAR-Therapie verweisen [9]. Dennoch werden wir aufgrund fehlender nebenwirkungsärmerer Alternativen auch in Zukunft nicht auf Diclofenac und Co. verzichten können. Entsprechend den von FDA und EMA bereits 2005 publizierten Behandlungsempfehlungen sollten NSAR und Coxibe rational eingesetzt werden. Konkret bedeutet dies die Verwendung der niedrigst möglichen wirksamen Dosis über den kürzesten zur Sym­ptomkontrolle erforderlichen Zeitraum. Im Falle der Osteoarthrose eignen sich NSAR somit zur symptomatischen Behandlung akuter Schübe, nicht aber zur Dauermedikation!

Quelle

[1] Etminan M et al. Chest 2009;136:1316–1323

[2] Roberts E et al. Ann Rheum Dis 2016;75:552–559

[3] Machado GC et al. BMJ 2015;350:h1225.

[4] da Costa BR et al. Lancet 2016. pii: S0140-6736(16)30002-2

[5] Hinz B et al. FASEB J 2008;22:383–390

[6] Hinz B et al. Arthritis Rheum 2006;54:282–291

[7] Schwartz JI et al. J Clin Pharmacol 2008;48:745–754

[8] Craig DG et al. Br J Clin Pharmacol 2012;73:285–294

[9] Coxib and traditional NSAID Trialists‘ (CNT) Collaboration. Lancet 2013;382:769–779

Prof. Dr. Burkhard Hinz

Institut für Toxikologie und Pharmakologie

Schillingallee 70, 18057 Rostock

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