Aus den Ländern

Die Forschung hinter der frühen Nutzenbewertung

Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie

BERLIN (tmb) | Die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie am 14. und 15. März in Berlin stand unter dem Motto „Gesundheitssysteme verbessern: Gemeinsame Herausforderungen für Wissenschaft und Politik“. Aus pharmazeutischer Perspektive in­teressierten insbesondere die präsentierten Arbeiten zum Verfahren und zu den Ergebnissen der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln.

In den Plenarsitzungen standen die ­Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik und die Leistungen der ­gesundheitsökonomischen Zentren in Deutschland im Mittelpunkt. Die Themen der etwa 200 Kurzvorträge in sieben parallelen Vortragsreihen umfassten die ganze Breite der Gesundheitsökonomie von methodischen Fragen über Bedarfsplanung und Public Health bis zur Anwendung bei verschiedenen Leistungserbringern und Indikationen. Dabei ging es auch um den Marktzugang, die Preisbildung und die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln.

Die Untersuchungen zur frühen Nutzenbewertung stammen überwiegend von wirtschafts- oder gesundheitswissenschaftlichen Universitätsinstituten, von Beratungsunternehmen, die die Pharmaindustrie bei der frühen Nutzenbewertung unterstützen, und vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Aus Apothekerperspektive erscheint dabei bemerkenswert, wie viele Wissenschaftler und Unternehmen ohne pharmazeutischen Hintergrund sich intensiv mit diesen spezifischen Themen rund um Arzneimittel beschäftigen.

Große internationale ­Unterschiede

In den präsentierten Arbeiten zur frühen Nutzenbewertung sind das Bewertungsverfahren und seine Ergebnisse Gegenstand der Forschung. Es wird untersucht, welche Konsequenzen das Verfahren für die Bewertungen hat. Dazu verglich die MArS Market Access & Pricing Strategy GmbH die Markt­zugänge für Antidiabetika in Frankreich und Deutschland. Ähnlich wie in Deutschland lasse bei vielen neuen oralen Antidiabetika der fehlende Nachweis des Zusatznutzens auch in Frankreich keine hohen Preise zu und biete damit wenig Anreize für Innovationen. Obwohl sich die Verfahren in den beiden Ländern formal ähneln, ­seien dieselben klinischen Daten bei manchen Arzneimitteln unterschiedlich bewertet worden.

Viel größere Unterschiede fand Prof. Dr. Tom Stargardt, Universität Hamburg, bei einem Vergleich der Entscheidungen des Gemeinsamen Bundes­ausschusses (G-BA) in Deutschland mit den Bewertungen in England, Schottland und Australien. Dabei gingen nur Patientengruppen ein, die von den Institutionen jeweils einheitlich definiert wurden. So sah beispielsweise in 32 Fällen, in denen das englische NICE eine Empfehlung ausgesprochen hatte, der G-BA in 14 Fällen einen Zusatznutzen und in 18 Fällen nicht. Bei 14 vom NICE abgelehnten Fällen erkannte der G-BA achtmal einen Zusatznutzen an und sechsmal nicht. Von 80 positiven Entscheidungen des schottischen SMC wurden 32 vom G-BA als Therapien mit Zusatznutzen bewertet und 48 nicht. Als Ergebnis konstatierte Stargardt „erstaunlich große fundamentale Unterschiede“ in den Bewertungen, sogar wenn die Institute dieselben Studien heranziehen. Zwischen den englischen und den schottischen Bewertungen fand er zwar hohe Übereinstimmungen, beide unterschieden sich aber deutlich von den australischen Bewertungen. Als mögliche Ursachen nannte Stargardt unterschied­liche Entscheidungsmodelle, verschiedene Endpunkte und den unterschiedlichen Umgang mit nicht vorhandener Evidenz. Das NICE sei teilweise deutlich mehr als der G-BA bereit, Erkenntnisse auf andere Behandlungsgruppen zu übertragen. In der Tendenz sieht Stargardt den G-BA als strenger an. Der G-BA rechtfertige dies mit den anderen Konsequenzen seiner Entscheidungen. Denn anders als beim G-BA bedeute eine Ablehnung durch die anderen Institute automatisch, dass die Therapie für die Patienten in diesem Land (England, Schottland bzw. Aus­tralien) nicht verfügbar ist. Doch nach Ansicht von Stargardt ist zu fragen, ob die Bewertung in Deutschland das Ergebnis hat, das die Gesellschaft erwartet.

Fragen zu Bewertungen …

Dr. Andrej Rasch, Verband forschender Arzneimittelhersteller, untersuchte die vielen Fälle, in denen der G-BA eingereichte Studien von den Bewertungen ausgeschlossen hat. In 140 Verfahren sei etwa die Hälfte der Studien und die Hälfte der Studienpopulationen ausgeschlossen worden. Dies sei in 75 Prozent der Fälle mit Inkongruenz zur Fragestellung begründet worden.

Ausnahmen von der strengen Interpretation orientieren sich nach Einschätzung von Rasch am besonderen me­dizinischen Bedarf in außergewöhn­lichen Fällen. Als Alternative zum Ausschluss von Studien regte Rasch an, die vorhandene Evidenz umfassender zu nutzen, aber bei Abweichungen in der Fragestellung die Aussagekraft für die Bewertung abzustufen.

Themen anderer vorgestellter Untersuchungen waren beispielsweise die Akzeptanz indirekter Vergleiche durch das IQWiG und die Interpretation des Begriffs der patientenindividuellen Therapie durch den G-BA.

… und zu Dossiers

Während die Pharmaunternehmen und ihre Berater die Entscheidungen des IQWiG und des G-BA analysieren, vergleicht das IQWiG wiederum die eingereichten Dossiers der Hersteller. Dr. Anja Schwalm, IQWiG, verglich die Angaben zur Größe der Patientenpopulation in Dossiers für Antidiabetika und stellte bei verschiedenen Herstellern große Unterschiede für dieselben Populationen fest. Sogar wenn die Basisdaten aus denselben Datenbanken stammen, führen unterschiedliche Verfahren zur Identifikation der Zielpopulation und unterschiedliche Interpretationen von Dunkelziffern zu verschiedenen Ergebnissen.

In der Diskussion wurde beklagt, dass in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nur wenige epidemiologische Daten verfügbar sind und darum solche Interpretationen erfolgen müssen, die von vielen Annahmen geprägt sind. |

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